laut.de-Kritik
Zum 100. Geburtstag ein tolles Geschenk. Nicht nur für Fans.
Review von Giuliano BenassiÜber 1.200 Lieder hat Frank Sinatra im Laufe seiner 60-jährigen Karriere aufgenommen. Das ist eine erstaunliche Menge, selbst wenn man bedenkt, dass er sein erstes Album erst 1946 und sein letztes 1994, vier Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte. Macht einen Durchschnitt von mehr als 20 Liedern pro Jahr.
Natürlich hatte er sie nicht selbst geschrieben. Die Stücke aus seinem Repertoire stammten von professionellen Songschreibern, die meisten von ihnen aus der Tin Pan Alley, wie die 28. Straße zwischen Fifth Avenue und Broadway in Manhattan bezeichnet wurde. Dort hatten die meisten Musikverlage ihren Sitz, dort entschied sich, wer berühmt wurde und wer es blieb.
Sinatra war einer der ganz wenigen, bei dem die Songwriter Schlange standen. Ob tief gesungen oder hoch, ob melancholisch oder fröhlich, Sinatra verlieh auch den simpelsten Kompositionen einen Hauch von Ewigkeit. Er war sicherlich ein Sexsymbol, wie sich an seinem Spitznamen "Ol' Blue Eyes" zeigte, vor allem aber hatte er eine beeindruckend gefühlvolle Stimme, die ihm den weiteren Spitznamen "The Voice" einbrachte.
Mitte/Ende der 40er Jahre war Sinatra die Helene Fischer seiner Zeit. Auf allen Kanälen präsent, so gut wie allen bekannt. Hätte es damals in den USA Tchibo gegeben, hätte Sinatra seine eigene Kollektion gehabt. Zum Glück waren die Verbreitungskanäle viel begrenzter als heute. Das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen, also blieben Film (Kino), Platten (Schellack) - und das Radio.
Über seine Karriere als Schauspieler in Filmen und Musicals und die als Recording Artist ist so gut wie alles bekannt. Sinatras Tätigkeit im Radio war bislang dagegen viel schlechter dokumentiert, was in erster Linie am Medium selbst lag. Da die Aufnahmetechniken vergleichsweise rudimentär waren, wurden Sendungen in der Regel live übertragen. Magnetische Tonbänder - und Vinyl - verbreiteten sich erst in den 1950er Jahren, davor wurden die Sendungen auf Acetatplatten aufgenommen, indem sie direkt in das Material eingraviert wurden. Sie waren empfindlich, konnten nur begrenzt abgespielt und auch nur schlecht kopiert werden.
Die Acetatplatten landeten in den Kellern der Sender, später in öffentlichen und privaten Archiven. Sinatra, ein Perfektionist, hortete selbst viele Exemplare, die er anhörte, um Verbesserungsmöglichkeit zu finden. Es gibt nach wie vor hunderte Aufnahmen, teilweise in einem jämmerlichen Zustand, die an verschiedenen Orten lagern.
Unter diesen Umständen ist es nachvollziehbar, wie riesig der Aufwand war, um das Material für die vorliegende Veröffentlichung zusammenzutragen. Hinzu kam der Aufwand, sie vernünftig aufzuarbeiten. Einerseits war dafür ein Sammelsurium an Tonabnehmern nötig, um die einzelnen Platten bestmöglich abzuspielen. Über einen McIntosh-Röhrenverstärker Baujahr 1958 schickte Tontechniker Andreas Meyer die Signale an digitale Aufnahmegeräte, um so Kratzer und Störsignale zu entfernen und die Tonspuren behutsam aufzuwerten.
Das Ergebnis sei bezüglich der Tonqualität besser als damals, erklärt Produzent und Sinatra-Experte Charles L. Granata stolz. Er hat sicherlich recht, was aber nicht bedeutet, dass man Sinatra im selben Raum erlebt, wie auf es auf späteren Studioaufnahmen, wie es etwa "In The Wee Small Hours" der Fall ist. Doch fühlt man sich wie in eine Zeitmaschine versetzt, in der in einem Zeitraffer die ersten 20 Jahre von Sinatras Karriere erzählt werden, vom Nobody zum Superstar, zwischendrin vorübergehend ein altes Eisen. Gleichzeitig wandelten sich die USA zur mächtigsten Nation der Welt.
Die Sammlung beginnt mit Sinatras erstem Radioauftritt als Mitglied der Hoboken Four, benannt nach der Stadt in New Jersey, die vom anderen Ufer des Hudson Rivers sehnsüchtig auf Manhattan blickt und in der Sinatra aufwuchs. Das war 1935, als er gerade mal 20 Jahre alt war. Anschließend schloss er sich Tommy Dorseys Orchester an, bevor er ab 1942 unter eigenem Namen auftrat. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein Superstar, vor dem die Mädchen zu kreischen begannen und in Ohnmacht fielen – ein Phänomen, das sich bei den Beatles und Rolling Stones zwei Jahrzehnte später wiederholen würde.
Seine Popularität verdanke Sinatra neben dem Kino auch den unzähligen Radiosendungen, in denen er als Gast auftrat oder die er unter eigenem Namen führte. Nahtlos ging es von Werbung für Zigaretten, Vitaminpräparate oder Abführmittel zu Sketchen und Gesangseinlagen über, begleitet von Orchestern und dem frenetischen Klatschen des anwesenden Publikums. Während des Zweiten Weltkriegs sendete er aufmunternde Botschaften an kämpfende oder verwundete Soldaten. Und er sang viele Duette ein, mit Berühmtheiten seiner Zeit wie Milton Berle, Nat "King" Cole, Peggy Lee, Doris Day, Dean Martin oder Dorothy Kirsten.
Sinatra war vieles in einem: Entertainer, Märchenonkel, tröstende Schulter. Für seinen Erfolg arbeitete hart, sehr hart, kam aber stets locker und mit einem Lächeln herüber. Diese Erkenntnis herauszuarbeiten ist der größte Verdienst dieser Sammlung. Für eingefleischte Fans gibt es natürlich auch das eine oder andere Bonbon. Etwa, dass 90 bisher unveröffentlichte Stücke dabei sind, davon 48, die Sinatra sonst nicht aufgenommen hat. Dazu gesellen sich viele Klassiker in alternativen Versionen.
Wer noch mehr davon hören möchte, wird übrigens bei der Smithsonian Institution fündig, jenem Konglomerat aus Museen und Forschungsprojekten, das sich mit der Geschichte der USA befasst und auch an dieser Veröffentlichung maßgeblich beteiligt war. Auf deren Webseite kann man eine CD mit weiteren 26 Stücken erwerben.
100 Jahre alt wäre Sinatra zum Zeitpunkt der Veröffentlichung geworden. Ein tolles Geburtstagsgeschenk, also. Natürlich entsprechend verpackt, mit schönen Essays von Nancy Sinatra, dem Experten Michael Feinstein und Produzenten Granata sowie Notizen zu jedem einzelnen Stück.
Das Schlusswort soll nun dem Songwriter Irving Berlin gehören, einem Meister seiner Zunft, der 1947 nach Sinatras Darbietung von seinem Stück "Help Me To Help My Neighbour" gerührt ans Mikrophon trat: "Du machst deine Sache toll. Ich bin mir sicher, dass nicht nur ich das so empfinde, sondern alle, die dir zuhören. Millionen von uns sind dir dankbar für das, was du machst. Good night, Frank, and God bless you."
7 Kommentare mit 7 Antworten
auch wenn er nur auf seine präsenz beschränkt ist, der helene fischer vergleich nimmt der rezi den ganzen glanz
hat sinatra doch wirklich nicht verdient.
Es geht ja dabei nur um den Bekanntheitsvergleich. Wen sollte man denn als Deutschen anführen in dem Zusammenhang? Götz Alsmann oder Helge Schneider xD?
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
ja der Bezug hat wirklich weh getan....
Bilder, man stelle sich vor die 80 Jahre alte Helene tritt zum letzten Mal live auf und auf Wolke 7 hört niemand geringeres als "Ol' Blue Eyes" zu. Gruselig..............
Zum "einfach hören" ist mir die Sammlung zu sehr durchsetzt mit Gesprächspassagen. Primär historisch interessant, dann aber durchaushörenswert.
Sintra hat den Jazz in die Croonerei gebracht .
Sinatra mit Helene vergleichen geht gar nicht aber Frankie auch noch eine Tchibo Collection zusprechen, was hat der Autor sich gedacht, manche Vergleiche sollte man lassen.