6. Oktober 2005

"Mittlerweile reicht's zum Leben"

Interview geführt von

Vor dem Funker Vogt-Auftritt in Mainz nimmt sich Sänger Jens Kästel ein paar Minuten Zeit, um dem laut.de-Redakteur Rede und Antwort zu stehen.Funker Vogt sind seit Jahren im EBM-Genre eine sichere Bank. Jens Kästel und Gerrit Thomas haben sich mit ihrer Hauptband und zahlreichen Nebenprojekten einen guten Namen gemacht, erst in der deutschen, inzwischen auch in der internationalen Szene. Zuletzt erschien ihr Album "Navigator".

Neben "Navigator" gab es wieder mal eine ganze Reihe weiterer Veröffentlichungen. Manche Leute sprechen in dem Zusammenhang schon von einem Fass ohne Boden. Wie seht ihr das?

Davon kann man eigentlich nicht sprechen. Es ist ja nicht so, dass wir im Jahr mehrere Veröffentlichungen auf den Markt schmeißen und irgendwelche Singles in unterschiedlichen Aufmachungen oder so nen Kram. Seit "Survivor" kam doch gerade mal die "Red Queen" MCD, die Remix-Scheibe "Revivor" und die Best Of "Always And Forever". Die beiden Alben erschienen jeweils im Abstand eines Jahres, und es ist ja nicht so, dass wir möglichst viel veröffentlichen, um möglichst viel Kohle zu verdienen. Gerade das "Revivor"-Album war eine Sache für Fans, und das Ding kaufen sich auch nur Fans. Du kannst mir aber glauben, wenn ich dir sage, dass das nicht so viele sind, dass wir davon reich werden. Außerdem ist es ja nicht so, dass wir irgendwelche lieblos gemachten CDs auf den Markt werfen. Ich fand gerade die Aufmachung von "Always And Forever" recht gut.

Das stimmt allerdings. Habt ihr aber vielleicht mal darüber nachgedacht, solche Sachen als Downloads auf eure Homepage zu stellen? Durchaus auch als bezahlte Downloads?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin kein großer Fan von Downloads, ich finde einfach, dass man noch ein Produkt in den Händen halten sollte. Außerdem ist so was immer schwierig zu kontrollieren und koordinieren.

Das war aber nicht alles, was ihr in den letzten drei Jahren gemacht habt, oder?

Nein, es gab auch noch ein paar kleiner Touren, zum einen durch Italien, und auch in den USA und Kanada waren wir unterwegs. Außerdem kamen noch die Arbeiten an unseren diversen Nebenprojekten dazu, die nun aber vorerst alle auf Eis liegen oder zum Teil sogar beendet sind. Das war alles in allem schon eine Menge Arbeit, und es war weiß Gott nicht so, dass wir auf der faulen Haut gelegen und uns einfach dieses Mal drei Jahre Zeit genommen hätten, um ein neues Album rauszubringen. Es war zeitlich einfach kaum möglich, den Zwei-Jahresrhythmus einzuhalten.

Wie läuft es für euch denn in Amerika, ist das ein Markt für euch?

Oh ja, auf jeden Fall! Ich muss gestehen, in Amerika läuft es für uns fast besser als hier in Europa. Wir sind da ja bei Metropolis Records unter Vertrag, und die sind nun mal das Nonplusultra in den Staaten. Das Land ist natürlich auch riesig, allein von daher hast du schon eine enorme potenzielle Käuferzahl am Start. Die Touren dort und in Kanada waren gut besucht und haben auch jede Menge Spaß gemacht.

A propos Touren und Spaß, ihr habt euch auf eurer Homepage für zwei Konzerte entschuldigt. Was genau lief denn da ab?

Waren das zwei Konzerte, ich kann mich spontan nur an das in Dresden erinnern. Na ja, eigentlich war das alles halb so wild. Das war einfach ein wenig unprofessionell von mir, da ich mit vollem Kopf auf die Bühne gegangen bin, und das sollte man einfach nicht machen. Da wurde dann sofort was von wegen Drogen und alles mögliche spekuliert, und zum Teil war das sogar richtig, nur waren es keine illegalen Drogen. Ich war zwei Tage zuvor im Krankenhaus gewesen und habe dort schmerzstillende Medikamente bekommen. Die vertragen sich mit Alkohol nun mal nicht sonderlich gut, und so kam eins zum anderen. Ich weiß von dem Abend auch nicht mehr sonderlich viel und habe das ganze Debakel eigentlich erst auf der Videoaufzeichnung mitbekommen. Die andere Sache war, dass ich mit einem Kerl Stress bekommen habe, der ständig auf mich losgegangen ist, ohne, dass ich ihn in irgendeiner Art und Weise provoziert hätte. Das war nun mal ein Schwarzer, und da uns diverse Leute und Medien nun mal gerne eine rechtsradikale Tendenz unterstellen, war das natürlich ein gefundenes Fressen. Dabei wurde der Kerl nachher sogar aus dem Laden rausgeschmissen, weil er sich nicht nur mit mir angelegt hatte, sondern auch mit anderen Gästen. Ich konnte da nicht mal was dafür. So viel Haare, wie ich momentan auf dem Kopf habe, hatte ich früher nie; ich bin eben eher mit Glatze oder Bürstenhaarschnitt durch die Gegend gelaufen. Dazu kamen meine Tattoos, und als noch rauskam, dass unser ehemaliger Gitarrist Thomas ganz früher in einer Skinhead-Band gespielt hat, war natürlich was los. Nur wurde dabei geflissentlich übersehen, dass der Kerl schon vierzig ist, und dass das eine astreine Oi-Skin-Band war. Das hatte mit politischer Einstellung nicht die Bohne zu tun, und keiner bei uns in der Band hat sich auch nur ansatzweise in irgendeine rechtsradikale, politische Richtung hin geäußert. Das ist absoluter Quatsch.

Mit eurem Namen, dem martialischen Auftreten und eurer Kriegsthematik seid ihr aber auch ein dankbares Ziel für die Presse ...

Das ist wohl war, aber irgendwann muss es doch auch mal gut sein und man muss sich mit der Wahrheit befassen. Das geht einfach auf die Eier, und ich habe keinen Bock, mich immer zu rechtfertigen. Da erwacht in mir höchstens mal der Trotz. Wenn mir ein oder zwei Leute gegenüber stehen und mit so was anfangen, dann versuche ich vielleicht noch, mit denen zu reden. Wenn das aber ein ganzer Haufen ist, dann sag ich einfach: "Ok, ihr habt Recht, so isses. Und, was machen wir jetzt?" Das ist mir dann echt zu blöd, irgendwann.

"Ich darf noch anschreiben lassen"

Verständlich. Du hast Thomas schon erwähnt, er ist Ende 2003 aus der Band ausgestiegen. Woran lag's?

An zwei Gründen. Zum einen hat Thomas seine Kneipe, um die er sich kümmern muss. Zum anderen war in seinem musikalischen Fähigkeiten doch eher beschränkt. Wie gesagt, er kam aus der Oi-Punk Ecke, und die ist nicht unbedingt für ihre technischen Spielereien berühmt. Thomas hat auf der Bühne ein paar sehr geile Sachen gemacht, aber dafür auch ein paar, bei denen ich mir dachte: "Was war das denn?" Wir waren einfach an einem Punkt angekommen, an dem wir wussten, dass wir einen Gitarristen brauchen, der technisch mehr auf der Pfanne hat. Es gab aber bestimmt kein böses Blut zwischen Thomas und uns, ganz im Gegenteil. Wir hängen immer noch bei ihm in der Kneipe ab, und ich darf sogar noch anschreiben lassen, hahaha.

Wie seid ihr auf Frank Schweigert gekommen?

Gute Frage, wie sind wir eigentlich an Frank gekommen ...? Ach ja, über Björn. Der kennt durch seine Tätigkeit als Manager einfach jede Menge Leute und hat uns den Frank mal empfohlen. Frank ist ein wirklich guter Gitarrist, der sich mit seinem Instrument auch eingehend beschäftigt und sehr variabel spielen kann. Frank hat da auch relativ freie Hand, was und wann er auf der Bühne spielt.

Wie und wann seid ihr auf den Geschmack von Gitarren gekommen?

Ich komme ja ursprünglich eher aus der Gitarren-Ecke und wollte eigentlich immer so groß wie Metallica werden, hahaha. Für Gerrit war das aber anfangs keine Option, da hat er sich wirklich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, so nach dem Motto: "Ich werd nie eine Gitarre auf einem Funker Vogt-Album einsetzen." Wie man weiß, sollte man niemals nie sagen, und so haben wir auf "Survivor" eben mit den Gitarren angefangen. Ich hab mich, als wir mit Funker Vogt angefangen haben, einfach Gerrit untergeordnet, weil er eben die Musik macht. Da wollte ich ihm nicht groß reinreden, und ich fand die Sachen ja auch geil. Für "Navigator" war einfach schnell klar, dass wir das beibehalten und sogar ausbauen wollen. Live ist das natürlich auch eine geile Sache und kann richtig viel Druck erzeugen, wenn die Riffs durch eine fette Gitarre verstärkt werden.

Immer mehr EBM-Bands kommen auf den Geschmack von Live-Gitarren und Live-Drums.

Ist mir auch schon aufgefallen, und ich finde das auch ganz cool. Auf CD sind Drums leicht zu programmieren, und auch Gitarrenspuren kann man am PC oder am Keyboard machen, aber live ist das schon was anderes. Ich hätte auch nichts dagegen, mit einem Live-Drummer zu arbeiten, da habe ich sogar schon ein paar Mal laut drüber nachgedacht. Zur Unterstützung wäre das schon geil, wenngleich er auch nicht alles spielen könnte, da das technisch kaum möglich ist oder zu sehr abgespeckt werden müsste. Da geht dann die Power flöten, aber prinzipiell fände ich das gut. Die Sache ist nur die, dass das immer ein zusätzlicher logistischer und auch finanzieller Aufwand ist, den du bewältigen musst. Gerade, wenn wir im Ausland spielen, käme da doch Einiges auf uns zu. Für Festivals, auf denen wir auch mit Bands mit Drums, Gitarren und Bass auftreten, wäre es aber definitiv mal eine Sache, um darüber nachzudenken. An mir soll's nicht scheitern.

Eure CDs bekommen Reviews auf Powermetal.de, Metal.de, usw. Ihr scheint im Metal immer mehr Fans zu bekommen.

Stimmt, und ich muss sagen, das gefällt mir ausgesprochen gut. Auf unseren Konzerten findest du ein sehr gemischtes Publikum, und darauf sind wir sehr stolz. Irgendwer meinte mal zu mir, dass es bei EBM-Konzerten immer so langweilig sei, weil alles so kalt und leblos wirke. Der war mit Sicherheit noch auf keinem Gig von Funker Vogt, denn wenn es irgendwo abgeht, dann auf einem Konzert von uns. Wir haben ja auch, nicht zuletzt wegen der Gitarren, genügend Elemente in unserer Musik, die sich auch im Metal finden. Ich habe Funker Vogt auch letztendlich immer als Rockband bezeichnet, auch schon zu Zeiten, als wir uns noch rein auf elektronische Hilfsmittel verlassen haben. Im Grunde unserer Herzen sind wir eine Rockband, und so verhalten wir uns auch auf Tour und auf der Bühne. Da muss einfach Party sein, man muss gelegentlich über die Stränge schlagen, ansonsten ist das doch alles kein Rock.

Lemmy von Motörhead würde dir da spontan bestimmt zustimmen. Wenn wir gerade beim Thema Tour sind, ihr wart ja auch in Südafrika und Moskau unterwegs.

Nein, Südafrika hat leider nicht geklappt, das mussten wir canceln, aber Moskau war dafür der Hammer. Wir haben da ja auch ein recht gutes Label am Start, und die Art, wie du dort von den Veranstaltern empfangen und behandelt wirst, ist einzigartig und beispielhaft. Wir waren da auch in einem Club über drei Etagen, ich will gar nicht wissen, von was der bezahlt wird, da musste der Bereich schon richtig abgesperrt werden. Der Raum für uns war absolut luxuriös eingerichtet, mit Ledersofas, Spiegeln, ein paar hübsche Russinnen waren vor Ort. Das war schon extrem cool.

Das kann ich mir vorstellen. Ich hab neulich ein Interview mit Evereve gehabt, die hatten auch nur Positives über Moskau zu berichten. Wenn ich mir eure neue Scheibe so anhören, dann hab ich das Gefühl, dass ihr immer melodischer werdet, stimmst du mir da zu?

Ja in gewissem Maße schon. Dass wir mehr Melodien verarbeiten, heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass wir auch an Härte eingebüßt haben.

Nein, das würde ich auch nicht behaupten. Ich kenne nur einige Fans der erste Stunde, die das deutlich bedauern.

Tja, die wird es wohl immer geben. Wenn jemand mir gegenüber behauptet, dass unser erste Album das beste war, dann ist das seine Meinung, und ich kann die auch akzeptieren. Nur werde ich ihm da bestimmt nicht zustimmen. Schließlich wollen wir uns als Band und als Musiker weiterentwickeln. Was haben wir denn davon, immer wieder das Gleiche zu machen, das hat überhaupt keinen Reiz für uns. Funker Vogt war noch nie auf Kommerz ausgelegt, und das wird unsere Musik auch nie sein. Wir machen einfach das, was wir wollen und wonach wir uns fühlen.

In dem Zusammenhang fällt auch auf, dass vor allem beim Gesang die Effekte sehr zurück gegangen sind. Vertraust du deiner Stimme inzwischen mehr?

Was heißt mehr vertrauen, die Effekte auf der Stimme passen zu den neuen Songs einfach nicht mehr unbedingt. Bei den alten Nummern hat die Verzerrung einfach ihren Sinn, sie macht die Nummern noch mal eine Spur aggressiver und passt zur Stimmung. Bei den Songs auf "Navigator" ist das eben nicht immer der Fall. Klar macht es mir Spaß, meine Stimme besser auszubauen, aber ich weiß auch durchaus, dass ich nicht unbedingt der begnadetste Sänger bin. Mit ist auf der neue Scheibe durchaus aufgefallen, dass da auch ein paar härtere Nummer drauf gepasst hätten, aber das kann beim nächsten Album ja wieder durchaus passieren. Das fällt mir aber auch auf der Bühne auf, wenn wir beispielsweise "Fallen Hero" spielen. Das ist ja schon beinahe eine Ballade, da könnte durchaus ein wenig mehr Fett dahinter sein. Wo wir wieder bei der Sache mit dem Live-Drummer wären, hahaha.

Mir ist aufgefallen, dass ihr hauptsächlich zum Wochenende hin unterwegs seid, hat das zu bedeuten, dass ihr unter der Woche noch einem ganz normalen Daytime Job nachgeht?

Nein, aber es lohnt sich einfach nicht, unter der Woche zu touren. Die Leute bleiben aus, also warum sollen wir es uns unnötig schwer machen? Es ist auch nicht sonderlich sinnvoll, unnötig viele Konzerte in Deutschland zu geben. Wenn du die räumlich einigermaßen verteilst und das eben auf die Wochenenden legst, dann kommen die Leute schon. Wenn sie am nächsten Tag nicht raus müssen, nehmen sie auch mal einen längeren Anfahrtsweg in Kauf, so gleicht sich das wieder aus. Reich werden wir mit Funker Vogt eh nicht, aber das war auch nie die Absicht. Allerdings reicht es inzwischen, um davon zu leben und nebenher nicht noch irgendwelche Scheißjobs machen zu müssen.

Wirf doch mal einen Blick auf die Review, die ich zu "Navigator" geschrieben habe und sage, was du davon hältst.

Kann ich im Prinzip so stehen lassen. Über "Für Dich" wurde überall viel geredet und es tauchten einige Fragezeichen auf. Der Song ist aber einfach für meinen Sohn, er ist nicht für dich oder für irgendeinen Fan, sondern tatsächlich nur für meinen Sohn. Ich hab den Texte in einer Phase geschrieben, als es mir ziemlich beschissen ging, und Gerrit hat die Musik dazu gemacht. Somit ist es eben ein Funker Vogt-Song und steht deswegen auch auf dem Album. Was andere von dem Song halten, ist mir wirklich scheißegal! Wir hätten ihn auch als Hidden Track Nr. 128 auf das Album packen können, wollten wir aber nicht. Die Beziehung zu meinen Sohn ist mir einfach unglaublich wichtig, mit meiner Krankheit hat sich das nur noch verstärkt. Das wollte ich mit der Nummer zum Ausdruck bringen.

Welche Krankheit?

Bei mir wurde vor einiger Zeit MS (Multiple Sklerose, d.Verf.) diagnostiziert. Ich habe auch innerhalb kürzester Zeit einige sehr heftige Schübe bekommen, was dazu führte, dass ich kurzzeitig erblindete, mein rechter Arm war mal vollkommen taub, ich habe Schmerzen in den Knochen und was eben alles damit einher geht. Wenn du jetzt aber fragst, ob sich mein Leben seit der Diagnose verändert hat, ob ich seitdem intensiver oder bewusster lebe oder so was - nö. Ich habe auch nicht das Rauchen oder Saufen aufgehört oder noch mehr damit angefangen. Wenn ich noch weiter mit Gerrit im Auto unterwegs bin, dann gebe ich den Löffel eh nur deswegen ab, weil der Kerl immer mit 250 Sachen durch die Gegend heizt, hahaha. Das Einzige, was mir nur noch bewusster geworden ist, war dass ich so viel Zeit wie möglich mit meinem Sohn verbringen will. Deswegen ist der Song auch einzig und allein für ihn.

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