12. Oktober 2018

"Das war meine allerbeste Entscheidung"

Interview geführt von

Mit seinem selbstproduzierten Debütalbum "Nie" verkaufte Fynn Kliemann mehr als 96.000 CDs, LPs und Fanboxen. Wir sprachen vor der Veröffentlichung mit Kliemann am Telefon.

Bekannt geworden als leicht schusseliger Heimwerkerking auf YouTube, ist Fynn Kliemann viel mehr als das: Webdesigner, Autor und Musiker. Dementsprechend umtriebig ist der gute Mann auch. Für sein kürzlich erschienenes Album "Nie", das wohl vor Bushidos "Mythos" auf Platz eins der Albumcharts gelandet wäre, hat er sogar einen Plattenvertrag ausgeschlagen und von Produktion über Marketing bis hin zu Vertrieb alles selbst organisiert. In der hektischen Woche des Releases klingelte er trotzdem mal in Konstanz durch.

Moin, hier ist Fynn Kliemann

Moin, erstmal herzlichen Glückwunsch zur Platte. Die ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen.

Krass Mann, vielen Dank.

Das sehen ja auch 70.000 andere Leute so und haben die schon vorbestellt.

Ja, irre irgendwie, ne?

Die Platten kommen aber ja nicht alle pünktlich an, sondern irgendwann, oder?

Genau. Die erste Rutsche, also die, die das als erste bestellt haben, bekommen das superrechtzeitig. Manche sogar schon einen Tag vor Release. Also im schlimmsten oder besten Fall, keine Ahnung was das dann ist. Viel kommt am 28. September, einiges noch mal am Montag und danach ist erstmal ein bisschen Wartezeit für die zweite Rutsche. Das ist immer ein bisschen schwierig. Wir müssen ja höher produzieren. Vor zwei Wochen haben wir angefangen zu pressen und das staut sich jetzt so bugwellenartig auf. Vor allem die Box ist sauviel Arbeit. Deshalb kann es sein, dass es hier und da ein bisschen länger dauert.

Das klingt jetzt schon ganz schön ungewöhnlich.

Ja, voll. Also dieses ganze 'Nur einmal machen' ist schon relativ speziell. Ich hoff halt, dass die Leute da Bock drauf haben.

Dir lag ein unterschriftsreifer Plattenvertrag von Four Music vor, du hast dich dann aber entschieden, alles selbst in die Hand zu nehmen. Erstes Zwischenfazit: Bereust du es ein bisschen vom Arbeitsumfang her?

Es war mir von Anfang an klar, dass das sehr viel Arbeit wird. Dass es jetzt so viel ist, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber ich muss wirklich sagen: Ich hab schon viele Entscheidungen getroffen und ganz viele davon waren wirklich gut, aber das alles alleine zu machen war die allerbeste. Das klingt jetzt floskelhaft, aber ich sitz abends teilweise da und denk mir: "Alter, bin ich froh, das alleine zu machen".

An jeder Ecke, an der ich jetzt mit anderen Leuten zusammenarbeite, merk ich immer wieder, wie froh ich bin, das an vielen Ecken nicht machen zu müssen. Ich kann einfach entscheiden, wie das produziert wird. Es wird halt immer dann gut, wenn ich selbst entscheide und immer dann schlecht, wenn jemand anderes reinredet.

In deinem Spotify-Podcast zum Album hast du ja auch angekündigt, eine Netflix-Doku über diesen Prozess veröffentlichen zu wollen. Wie stehts um das Projekt?

Netflix hat sich immer noch nicht gemeldet, ich bin da aber noch nicht offensiv auf die zugegangen. Das Problem ist, dass die fertige Filme kaufen. Kein Konzept oder eine Idee. Die Ausnahme sind diese Original-Serien. Du kannst jetzt nicht sagen "Wollt ihr das haben?" Die Geschichte des Albums ist aber auch noch nicht zu Ende erzählt. Dazu gehört halt auch die Resonanz auf Menschen. Das steht jetzt ja kurz bevor. Aktuell drehen wir fleißig alles mit und wenn das dann fertig ist, kann ich das schneiden, das dauert wieder eine Weile und dann können wir da hinfahren und fragen, ob die das haben wollen.

Die erste Vorabsingle ist ja "Morgen". Gleichzeitig ist das meiner Meinung nach ein recht ungewöhnlicher Song. Der Großteil wie "Zuhause" oder "Sardinien" ist wahnsinnig emotional, "Morgen" hingegen eine leichtgängige Nummer.

Das mag sein, aber es ist ja immer eine Mischung. Man muss den Leuten so eine Art Rundumschlag zeigen. Worum wird es generell gehen, was kann man erwarten. Dann geht es in die eine Richtung so aufmachermäßig, oder mal traurig und dann auch ein bisschen schmusig. Dann hast du aber auch mit "Kieztränen" so ne Art Trompetensound. Die Aufgabe von Vorabsingles ist aber zu zeigen: damit könnt ihr rechnen. Das ist halt bei einem Album, das nicht durchgehend Afrotrap ist, eher schwierig. Es gibt viele Facetten. Und schlussendlich kommt es darauf an, wie man "Morgen" versteht.

Ein Album ist eben nicht nur traurig, oder nur positiv, sondern hat viele verschiedene Gesichter. Von daher finde ich "Morgen" ganz gut so unter dem Motto "Hallo ich bin jetzt da, ich mach jetzt so Sachen und ich bin gespannt, ob ihr mit mir reisen wollt." So war das gedacht.

Die Musikvideos waren ja bisher allesamt außergewöhnlich. Für "Zuhause" hast du über 40 Tattoos gestochen und daraus eine Art Lyric-Video gebastelt. Für "Bau mich auseinander" dann persönliche Gegenstände zerschreddert. Sind jetzt weitere Videos geplant?

Das muss ich mal gucken. Eins wird es demnächst geben, das wird eine Überraschung. Mir war halt bei allen Sachen wichtig, dass es was spezielles ist und nicht einfach nur bebildert, was man sowieso schon hört. Man soll jedes Video gucken können, selbst wenn der Sound aus ist und trotzdem macht es Spaß. Jedes erzählt seine eigene Geschichte und ist dadurch keine Larifari-Abhandlung, die runtergerissen wird, nur weil man ein Bild zu dem Song braucht. Das ist ne geile Chance und eine schöne Ebene, nochmal was zusätzliches beizusteuern und was ergänzendes zu kreieren. Mal gucken, vielleicht mach ich zu jedem Song ein Video. Das bleibt ja mir überlassen.

Das erste, was man hören konnte, war "Sardinien" aus der Live-Session des YouTube-Kanals Bongo Boulevard. Zählt das für dich als reguläres Musikvideo oder wird da im Zweifelsfall noch ein neues gedreht?

Ne, das ist schon ne Live-Session. Aber bei nem Musikvideo ist halt die Frage, was man macht. Da denken sich die Leute dann, dass da bestimmt ne coole Alternative kommt und du machst den Klassiker und fährst mit dem Camcorder durch Sardinien. Oder du machst halt wirklich was ganz Konträres. Aber mal gucken, vielleicht gibt es dazu auch keins. Das ist ja das geile ohne Label und Co. Der Marketing-Plan ist immer wonach mir ist. Wenn ich geiles Footage gedreht habe, hau ich halt ein Video raus.

"Als kleiner Nirvana-Anarchist würd ich mir nicht Pop tätowieren"

Jetzt nochmal kurz zu den Labels. Einer der Gründe weswegen du den Plattenvertrag bei Four Music abgelehnt hast, waren ja mögliche Live-Auftritte ...

Das war einer von vielen Gründen. Der Hauptgrund war eher, dass ich das Gefühl hatte, das alles ganz gut alleine ohne Label zu können.

Jetzt haben aber Marteria, Casper, Olli Schulz, also drei Größen der deutschsprachigen Musiklandschaft, gemeint, du solltest auf jeden Fall live auftreten. Ändert das was an deinem Entschluss?

Ja, das sagen die.

Aber trotzdem nicht?

Nee, ich weiß nicht. Ich hab da ein bisschen Schiss und außerdem keinen Bock. Und in der Kombination klingt das halt nicht nach was, was unbedingt getan werden muss. Das ehrt mich natürlich, wenn so krasse Musiker das sagen. Clueso wollte mich sogar mit auf Tour nehmen. Das ist in meinen Augen die Musikerelite Deutschlands und das ist dann natürlich super viel wert. Aber es nimmt mir eben nicht die Angst.

Das heißt jetzt, sogar Fynn Kliemann, der immer beim Heimwerkern wieder auf die Schnauze fliegt, hat noch vor irgendwas Angst.

Vor Musik auf jeden Fall. Ich mag Livespielen einfach nicht. Ich bin schon aufgeregt, wenn ich jemandem einen Song vorspiele und der im gleichen Raum ist.

Ich stelle mir auch vor, dass das bei manchen Songs noch krasser ist. "Sardinien", "Zuhause", "Der Mann und das Meer" sind ja schon höchst persönlich. Und das teilst du dann mit so vielen Personen.

Das war immer die Angst oder das Problem dabei. Ich kann den Song nur so machen. Wenn man das dann veröffentlicht, hat man das Problem, dass man darüber sprechen muss. Das ist jetzt alles glatt gegangen. Ich denk, aufregend ist ne gute Bezeichnung hierfür.

Positiv aufregend?

Ja, klar. Du kannst dich als Musiker natürlich auch dagegen wehren und nichts dazu erzählen. Mir war wichtig, dass ich die Platte mache. Alles danach ist eine mutwillige Konsequenz, die die Sache so mit sich bringt. Ich erkläre die Songs ja auch nicht. Die Leute sollen die hören und es ist schön, wenn die was damit verbinden, aber wenn nicht dann nicht.

Was sind denn, abgesehen von deinen eigenen, Songs, die dich berühren?

Es gibt voll viele Songs, die irgendwas bewegen. Je nach Gemütslage. Das kann dann auch ein Mac Miller-Song sein, den ich voll krass finde. Oder "Don't Forget Me" von den Red Hot Chili Peppers. Fast alles kann dich irgendwo mal irgendwie berühren. Auch ein Song von den Arctic Monkeys oder so.

Gibt es dann auch Künstler, die du als direkte Einflüsse auf die Platte bezeichnen würdest?

Nee, nicht so wirklich. Es gibt voll viele Künstler, die wäre ich gerne oder die höre ich. Die können dann auch mal Deutschrapper sein, so ein Lord Folter, der voll merkwürdig rappt oder der Flow von Döll, das sind alles Sachen die hört man. Aber dann ist auch so ein Riff von James Blake oberkrass. Es gibt so viele krasse Musiker. Das ist immer voll durcheinander. Das ist auch mal ein Net Guy/Drum'n'Bass-Mix. Da sind so viele verschiedene Genres die da reinprasseln. Deswegen kann man auch nicht sagen: "Das ist der Typ, der für die Platte voll wichtig war".

Aber das ist auch das Schöne an unserer heutigen Welt mit den vielen verschiedenen Genres, dass man sich von allen was zusammensucht. Ich würde gerne Musik machen wie Frank Ocean. Mach ich aber nicht. Ich würde gern rappen können wie Spaze Windu. Kann ich aber nicht. Aber ich hab auch keinen Bock irgendwas nachzuspielen.

Und wie würdest du deine Musik jetzt selbst verorten?

Das ist ja eh sauschwer. Es ist schon poppig. Vielleicht so Alternativ-Deutschpop. Auch wenn das nicht die Bezeichnung ist, die ich als kleiner Nirvana-Anarchist auf die Schulter tatöwiert hätte. Aber darin kann man das wohl am ehesten einordnen

"Der Mann und das Meer" hab ich jetzt als Lobeshymne auf das Land verstanden. Hat es dich nie davon weggezogen, irgendwohin, wo es andere Möglichkeiten gibt?

Nö. Klar, zwischenzeitlich gab es dann schon, dass man sich gedacht hat, es wär geil, nicht mehr hier zu wohnen. Andere Leute kennenlernen, ein anderes Umfeld. Aber letztlich war es immer wieder das gleiche: Du kannst hier auch alles haben, musst es dir aber selbst organisieren. Es gibt nichts, was ich hier nicht machen könnte, ich muss mich nur immer selbst drum kümmern. Von daher hab ich mich relativ flott damit abgefunden. Seitdem ist es mega geil.

"Zweites Album? Boah, keine Ahnung!"

Selbst machen ist bei dir ein Lebensmotto. Webdesigner, Autor, YouTuber, jetzt auch Musiker. Gibt es irgendwas, das du überhaupt nicht kannst?

Ich kann nicht so gut kitesurfen. Aber das lerne ich auch. Es gibt nichts was man nicht lernen kann, das ist ein bisschen platt, aber man kann alles lernen. Das klingt immer so überheblich, aber es ist halt so. Ich werde nie irgendwas so richtig gut können, aber es wird auch nie etwas geben, das ich so gar nicht kann.

Deine Stimmband-OP ist jetzt drei Jahre her. Du hast ja schon davor Musik gemacht. Hat sich deine Art Musik zumachen dadurch verändert, dass du andere stimmliche Möglichkeiten hast?

Ne, ich hatte leider keine andere Stimme. Ich kann jetzt nur nicht mehr ganz so hoch singen wie vorher und ich bin nicht mehr heiser. Ich war vorher immer heiser. Ich hab gestern erst alte Sachen von mir auf Soundcloud gehört, weil da jemand ne Frage zu gestellt hat. Das war richtig rau, dafür konnte ich voll hoch singen, aber überhaupt nicht sauber. Jetzt ist meine Stimme eben ein bisschen voller und nicht mehr ganz so heiser, aber dafür nicht mehr ganz so hoch.

Ok, abschließende Frage: Hast du schon ein neues Projekt in Aussicht, wenn der ganze Trubel mit dem Album vorbei ist?

Ich hab schon viele Sachen vor. Ich will den LKW-Führerschein und den Flugschein machen. Ich muss ganz viel Zeug basteln, das Kliemannsland wird weiterentwickelt, ich bau ganz viele Beats, ich möchte oder muss auch noch zwei, drei neue Unternehmen gründen.

Also gibt es vielleicht ein zweites Album?

Boah, keine Ahnung. Das ist ja grad das schöne. Kann sein, dass es nie wieder eins gibt. Vielleicht mal wieder neue Beats, vielleicht ein richtiges Album, keine Ahnung. Ich plane so bis in 20 Minuten, danach ist immer alles so frei. Ich werde natürlich weiter Mucke machen und wenn ich Bock hab, veröffentliche ich was.

Vielen Dank für das Interview. Es war mir eine große Freude.

Krass Mann. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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