laut.de-Kritik
Was gab es noch nicht? Beatles-Kammermusik!
Review von Ulf KubankeGiora Feidman ist bekannt dafür, Werke anderer Ikonen neu und ausnahmslos berückend zu interpretieren. Nach Piazzolla, Schubert und Mozart nimmt er sich nun den Beatles an. "Feidman Plays Beatles" gewinnt den vier Pop-Pionieren tatsächlich eine neue Seite ab. Die Platte ist sogar jenen zu empfehlen, die vermeintlich schon alles in dieser Richtung zu kennen glauben.
Lang hat es gedauert: "Ich habe immer mal ein Stückchen von ihnen gespielt, nur bis jetzt halt nie systematisch." Durchaus verwunderlich, denn Feidman - ein paar Jahre älter als die Fab Four - verfolgte deren Karriere von Beginn an. Bereits 1964 war für Mr. Klezmer klar: "Es steckt eine unglaubliche Kraft in ihrer Musik. Im Grunde war ich ihr Fan von Anfang an."
53 Jahre und ebenso viele Feidman-Alben später findet der "Man with the clarinet" endlich das passende Konzept samt kongenialer Kollabo-Partner. Was gab es noch nicht? Genau, Beatles-Kammermusik! Zusammen mit den vier Celli des Rastrelli Cello Quartett plus gelegentlicher Akustikgitarre stellt er die bekannten Melodien auf eine neue stilistische Bewusstseinsebene.
Seit Urzeiten und besonders in den Händen Feidmans gilt die Klarinette als einziges Instrument, menschliches Lachen und tiefe Verzweiflung gleichermaßen authentisch zu spiegeln. Diese Fähigkeit nutzt er ausgiebig, um die jeweilige Grundstimmung der Originale zu kontrastieren oder zu unterstreichen.
Die virtuosen Rastrellis greifen von Track zu Track den jeweiligen Faden auf und verpassen Feidmans schwelgender Melodieseligkeit ein erfrischend selbstbewusstes Rhythmuskorsett mit manch tollem Solo-Einschub ("Things We Said Today"). Eine besondere Stärke: Trotz des kammermusikalischen Grundtons hauen sie gelegentlich voll in die Sahne. Ihr Einsatz bei schnellen Stücken wie "Back In The U.S.S.R." geht dermaßen offensiv zur Sache, dass es auch jeden Apocalyptica-Fan glücklich machen sollte.
Mit diesem heftigen Ansatz gewinnen sogar nervige Nummern wie "Ob-La-Di Ob-La-Da"auf ganzer Linie. Spätestens wenn Giora dort ab der zweiten Strophe in waschechte Klarinetten-Screams verfällt, entdeckt man den ollen Ohrwurm komplett neu; spontanes Grinsen inklusive.
Geht es noch intensiver? Aber hallo: Das Trio "Yesterday", "Eleanor Rigby" und "Michelle" zaubert allen Liebhabern und Hatern der Fab Four gleichermaßen Tränen der Rührung auf die Wangen. Feidman packt jene jiddische Shtetl-Melancholie aus, die er so meisterhaft beherrscht. Sogar der meistgecoverte Track aller Zeiten - "Yesterday" - mutiert vom fragil liebesbekümmerten Drama zur fast suizidalen Tragödie.
Mein ganz persönlicher Favorit ist die "Eleanor Rigby"-Fassung. Während Feidman im Weltschmerz badet, kommen die Celli im Verlauf als tröstende Kaffeehaus-Schnuckel um die Ecke und erobern den Evergreen Stück für Stück. Für diese 18 Versionen würden sicher sogar Ringo, Paul und Yoko Ono den roten Teppich ausrollen.
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