6. November 2023
"Der PC ist das neue Folk-Instrument"
Interview geführt von Rinko HeidrichDie amerikanische Künstlerin spricht über die schwere Zeit vor dem Album "Crux" und warum ein bulgarischer Chor großen Einfluss auf ihr Leben hatte.
Cameron Mesirow, besser bekannt als Glasser, hat mit ihrem Album "Crux" wieder ein spannendes und eigenwilliges Album heraus gebracht. Um 12 Uhr New Yorker Ortszeit erscheint sie in der "Teams"-Videokonferenz, in diesen Tagen das neue Zoom, und erst einmal friert das Fenster ein. Kurz darauf findet sie doch noch einen stabilen Spot in ihrer hellen Bude, bei der man im Hintergrund klischee-like Polizeisirenen vernimmt. Verbindungen zwischen Menschen passt auch zu ihrem Album, das Zwischenmenschiches und Privates beleuchtet.
Okay, sieht nun gut aus. Ich würde gerne zum Einstieg kurz über die interessante Biographie deiner Eltern reden. Dein Vater war tatsächlich Mitglied der Blue Man Group und deine Mutter sang in einer New Wave-Band.
Yeah, das ist verdammt cool. Mein Papa war damala Teil der Berliner Show. Ich war noch zu klein und erinnere mich nicht mehr so. Er lebte auch erst in Süddeutschland und zog dann später nach Berlin. Heute wohnt er im Prenzlauer Berg-Viertel.
Als Elektro-Künstlerin sagt dir Berlin doch bestimmt auch zu.
Oh ja, Berlin ist wirklich so eine Art zweite Heimat für mich geworden. Ich bin mindestens einmal im Jahr dort und bleibe dann für ein paar Wochen. Mein Eindruck ist allerdings, dass die richtig guten Partys eher im Osten von Berlin stattfinden. Prenzlauer Berg kann manchmal schon ziemlich "posh" und hipster sein. Ich finde es aber einfach toll, dass ich ein zweites Domizil in Europa habe.
Als dein erstes Album "Rings" heraus kam, war dieser Indie-Electro-Sound ziemlich angesagt. Wollte dich das Label auch in die Richtung Yeasayer oder Passion Pit stoßen?
Ne ne, da gab es wirklich keinen Druck. Ich bin zwar mit dem Sänger von Yeasayer eng befreundet, aber eigentlich gab es jetzt nicht die große Szene, zu der ich gestoßen wäre. Ich habe natürlich mitbekommen, dass etwas Größeres entsteht. Einmal haben Yeasayer sogar angefragt, ob ich mit ihnen auf Tour gehen möchte, aber das kam letztendlich doch nicht zustande. Eigentlich gibt es nur die Gemeinsamkeit, dass wir zuhause elektronische Musik auf dem PC entworfen haben und das dann irgendwann vom Mainstream adaptiert wurde. Ich hatte schon relativ früh meine eigene Vision, die auch nie von Anfang da rein gepasst hat. Aber manchmal wollen Kritiker eben eine Schublade aufmachen und Vergleiche ziehen.
Du wirst sehr häufig mit Björk verglichen. Stört dich das oder ist es bei so einer respektierten Künstlerin eine Ehre?
Hmm, wahrscheinlich beides. Vermutlich eher eine Ehre, da ich natürlich zu Björk aufschaue. Da wir auch noch auf dem gleichen Label veröffentlichen, komme ich natürlich erst recht nicht drumrum, ständig mit ihr erwähnt zu werden. Aber es gibt Schlimmeres. Dennoch haben wir unterschiedliche Leben und ich denke schon, dass mein Sound anders ist. Die meisten Menschen wollen eben für alles Etikette und Labels. Das ist ein absolut menschlicher Impuls, der mich in diesem Fall aber nicht beschäftigt. Ich denke, meine Arbeit spricht für sich und muss nicht zwingend mit anderen Künstler:innen verglichen werden.
Die Beziehung Kritiker/Künstler ist auch nicht ganz einfach. Es ist für den Leser manchmal schon besser, wenn man die Musik des Künstlers einordnet. Diese Zeit nimmt sich gerade im Online-Bereich jedoch kaum jemand. Leser:innen wollen heute möglichst schnell eine Einordnung bekommen.
Letztendlich sitzen Kritiker und Künstler in einem Boot und teilen eine gemeinsame Leidenschaft. Es kann manchmal sehr schmerzhaft sein, wenn dir jemand praktisch dein Baby wegnimmt oder Musik so interpretiert, dass du dich missverstanden und komplett falsch wiedergegeben fühlst. Aber naja, das ist dann eben dessen Einschätzung und manchmal finde ich die Ideen von Autoren auch interessant. Es ist aber nicht mehr so, dass es mich bis ins Mark erschüttert und verunsichert. Kritiken sind jetzt auch nicht der Mittelpunkt meines Lebens oder haben massiven Einfluss auf mein Schaffen oder meine Existenz. Am Ende des Tags macht jeder sein Ding und das ist okay so.
"Ich habe der Depression ihren Einfluss auf mein Leben genommen"
Bisher hattest du oft ein Konzept für deine Alben. "Interiors" mit seinem übergeordneten Architektur-Thema und wie es Menschen beeinflusst oder deine EP "Sextape", die sich mit queerer Subkultur auseinander setzte.
Ich würde nicht sagen, dass "Crux" ein ganz starres, festes Konzept hat. Es sind eher Sachen, die nun mal in den letzten Jahren vorgefallen sind und die ich auf dem Album verarbeite. Viele davon aus einer leider nicht schönen Zeit für mich und da kommt dann so eine gewisse Grundstimmung rein. Ich hatte aber nicht sofort ein Konzept im Kopf. Dieses Verarbeiten wurde immer mehr zu einem roten Faden und dann kam eben eines zum anderen. Aber Konzept? Hm, nein. Auch davor war es eher ein Ausprobieren. Das ging schon mit "Interiors" los und später mit "Sextape" wurde es musikalisch sehr experimentell.
Es hat auch keinen religiösen Einfluss, wie viele vermuten. "Crux" ist eher ein Symbol, wie Menschen in ihrem Leben zueinander kommen. Ich bin ja selber überhaupt nicht religiös geprägt oder motiviert. Es gibt hier natürlich auch den Satz "Jeder hat sein Kreuz zu tragen" und das passte ebenfalls sehr gut zu meinem und dem Leben anderer Menschen. Ich habe über das Album viel über mich gelernt, aber auch über die Leben von Anderen und ihrer Art mit Problemen umzugehen. Ich fühle mich nun noch mehr mit ihnen verbunden, wie bei einem Kreuzsymbol.
Trotz einzelner Songs gab es seit "Interiors" praktisch eine Pause von fast elf Jahren.
Ich war nach "Interiors" lange blockiert. Ich hatte an dem, was mir sonst so viel Freude bereitet hat, plötzlich keine Interesse mehr. Es war auch drumherum einfach eine schwere Zeit und ich bin eine Depression gefallen, aus der ich erst langsam wieder herauskam. Furchtbar war auch, dass ich mir selber immer mehr Druck gemacht habe, was alles nur noch verschlimmerte. Irgendwann kam eine Form von Scham dazu. Musik war ja mein einziger "Job" und auf einmal konnte ich das nicht mehr.
Puh, das klingt wirklich erschreckend. Wir kamst du da wieder heraus?
Irgendwann konnte ich zumindest die Musik anderer Menschen wieder genießen. Es hat gedauert, aber Tag für Tag kam schrittweise mein Interesse und meine Leidenschaft für Musik wieder zurück. Ich habe aufgehört, mir wahnsinnigen Druck zu machen und mir gesagt: "Ok, entspann dich und höre einfach ganz in Ruhe Dinge wie den Chor The Mystery Of The Bulgarian Voices". Da hat es dann Klick gemacht und ich bin zu einem Gesangslehrer in New York gegangen, der mir diese ganz eigene Technik beibrachte. Nicht in dem Sinne, dass "Crux" mein bulgarisches Album wäre, aber auf einmal war meine Kreativität zurück, die Blockade aufgelöst und ich konnte wieder Songs schreiben.
Ich habe auch gelernt, über Dinge mehr zu lachen und nicht alles zu ernst zu nehmen. Das Leben kann herrlich absurd sein. Und als immer mehr Lebensfreude zu mir zurück kam, habe ich wirklich jeden Moment zu schätzen gewusst. Gerade Liebe ist eine extrem starke Emotion. Sie kann dich sehr stark verletzen und verunsichern. Ich sehe das aber nun mehr als Teil eines Prozesses, den wir alle durchstehen müssen. Ich bin jedenfalls gestärkt aus dieser Krise herausgegangen. Ich habe der Depression oder Ängsten ihre Wichtigkeit und ihren Einfluss auf mein Leben genommen, weil ich das Leben an sich nicht mehr allzu ernst nehme. Ich versuche jetzt darüber zu lachen, sobald wieder düstere Gedanken auftauchen.
Besteht denn nicht auch die Sorge, dass du dich mit "Crux" zu weit öffnest? Du verarbeitest ja auch den Tod eines Freundes.
Nein, denn es ist ja nicht nur ein Thema, das jetzt speziell mich betrifft. Auf "Crux" befinden sich viele universelle Themen, die uns alle betreffen. Wir haben alle schon einen lieben Menschen verloren und wir werden auch in Zukunft um diese bittere Erfahrung nicht herum kommen. Es war für mich auf jeden Fall eine Therapie, um diesen tiefen Schmerz zu verarbeiten.
"Ich bin gerne von schönen Dingen umgeben"
Das kann ich gut verstehen. Nochmal zu dem bulgarischen Chor: Du hast, wie natürlich viele Amerikaner, auch europäische Wurzeln in dir. Ein Teil deiner Familie kommt aus Schottland. Gab es da vielleicht auch schottische Folk-Einflüsse?
Ja, mein Vorname Cameron ist typisch schottisch. Einen bewussten Einfluss von schottischer Musik auf "Crux" gab es nicht, aber prinzipiell sehe ich mich trotz der elektronischen Sounds schon als eine Art Folk-Künstlerin. Vielleicht jetzt nicht im klassischen Sinne, ich bin ja keine ausgebildete Künstlerin einer Akademie. Und überhaupt suche ich meine Inspiration in diesen intellektuellen, akademischen Zirkeln. Mich interessiert, was Menschen auf diesem Planeten machen und das fließt in meine Musik ein. Ich studiere da keine Richtung, sondern arbeite viel an meinem PC. Eigentlich ist für mich der PC das neue Folk-Instrument unserer Zeit, weil er all diese Möglichkeiten bietet. Ein Folk-Artist im konservativen Sinne hat nur seine Stimme und ein Instrument. So ist das bei mir auch, nur geht es eben noch schneller und ganz ohne Vorwissen. Jeder hat dazu die Möglichkeit und niemand muss Kurse oder Konservatorien besucht haben. Es gibt keine Hürde, du kannst sofort mit Apps oder Programmen wie Garage Band, Logic und Cubase musikalische Ideen umsetzen. Aber ich will das auch nicht kleinreden, natürlich musst du dich vorher auch mit diesen Tools auseinandersetzen. Trotzdem musst du kein Genie an deinem Instrument sein, ich bin jedenfalls keines. (lacht)
Aber erkenne ich da im Hintergrund bei dir nicht eine klassische Harfe?
Ja, ich mag es einfach, von solch schönen Dingen umgeben zu sein. Diese Harfe funktioniert leider nicht mehr richtig, sieht aber einfach toll aus und ich schaue sie mir gerne an.
Stichwort akademisch: Ich habe schon das Gefühl, dass deine Musik als intellektuell betrachtet wird. Oder ist das nur eine deutsche Sichtweise und in Amerika ist das anders?
Um ehrlich zu sein beschäftige ich mich nicht so sehr mit anderen Interpretationen meiner Musik. Ich komme wie gesagt nicht aus dem Bildungsbürgertum und habe auch im Freundeskreis keine größeren Überschneidungen zu akademischen Kreisen. Aber wenn das jemand so betrachtet, ist das auch in Ordnung. Hey, ich schaue gerade auf die Uhr und habe noch einen anderen Termin. Ist das okay für dich oder hast du noch viele Fragen?
Hey, das ist absolut okay. Hier ist es ja auch schon ziemlich spät. Ich bin auch schon früh aufgestanden und werde nun mal langsam runterkommen.
Hey, ihr habt doch richtig gutes Bier und mach dir dazu noch leckeres Essen. Das wird dir bestimmt dabei helfen.
Bier und Essen ist schon mal eine gute Idee! Ich habe auch vorhin noch Ren & Stimpy in deiner Insta-Story gesehen. Das passt doch zum Thema Absurdität ganz gut, ich werde mir gleich ein paar Folgen reinziehen.
Das ist eine absolut fantastische Idee! Ich habe die Show so sehr geliebt und bin immer noch großer Fan. Das wird dir mit absoluter Sicherheit gut tun.
1 Kommentar
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.