laut.de-Kritik
Ganz großes instrumentales Kino.
Review von Yan VogelDie schwedischen Soundtrack-Spezialisten Gösta Berlings Saga lassen Sounds wie Geister über vernebelte Felder schweben und fahren ein atemberaubendes Klangspektrum auf. "Konkret Musik" ist großes instrumentales Kino und aufgrund der analogen Produktion wahrlich eine Wohltat für die Ohren.
Freunde ausschweifernder Musik ohne Worte kamen in den vergangenen Monaten voll auf ihre Kosten: Toundra, Mogwai und Long Distance Calling veröffentlichten grandiose Werke voller Farben und Einfallsreichtum. Die Schweden reihen sich nahtlos in diese Klangkunst-Riege ein.
Der hölzern wirkende Albumtitel geht auf die französische Bezeichnung Musique concrète zurück, die wiederum auf eine frühe Spielart elektronischer Musik verweist. Der Entdeckergeist, die kindliche Neugier und Verspieltheit dieser Zeit vermischt das Kollektiv mit der Hochphase der Pop/Rock-Kultur Ende der Sechziger bis Mitte der Siebziger.
Analog zur Verwendung von elektronischen Klängen und Samples folgen die Schweden diesem Pfad und erweitern im Vergleich zur dominanten Rock-Besetzung auf den Vorgängern ihr Instrumentarium um einen Pool verrückter Synthesizer und Klangkörper aus dem Fundus des Produzenten Daniel Fagerström. Summa Summarum ergibt dies ein Bric-à-Brac an Texturen bei minimalistisch gehaltenen Songstrukturen.
Auch die musikalischen Themen prägen weniger die melodischen Einfälle der Vorgänger "Sersophane" oder "Et Ex" denn rhythmische und klangliche Finessen. Dies liegt mitunter an der Personalentscheidung Live-Percussionist Jesper Skarin zum festen Bandmitglied zu befördern, was der nunmehr als Quintett agierenden Band mehr Entscheidungsspielraum im Kompositionsprozess verleiht. Gerade die sorgsam kreierten Klangkollagen laden zum Entdecken und Schwelgen inmitten eines Arsenals an analogen Synthesizern ein.
Einfallsreichtum beweist die Formation bei den Songtiteln, die sich auch in schwedischen Möbelhäusern gut machen würden, wobei es einen ausgewogenen Mix aus Muttersprache und Englisch gibt. Verleitet der schwedische Titel zum Träumen, geraten die in der Weltsprache gehaltenen Titel äußerst konkret und politisch: "Closing Borders" passt als Label zu Topics wie 'Fluch' und 'Corona' gleichermaßen.
"A Fucking Good Man" bestätigt als Ausnahme die Regel. Der dort anklingende Sci Fi-Sound referiert keine Hochglanz-digitalisierte Bluray-Scheiße, sondern den Real Shit mit abgefilmten Schuhkartons, die an Schnüren aufgehängt durch die Luft gondeln und mit Alu umwickelt sind.
"Konkret Musik" gebiert einen konstanten Flow, dessen Ideenreichtum nur in wenigen Momenten gezüfelt wird, um dann nur noch inniger zu wirken. "A Question Of Currency" schreitet als Closer einer Pavane gleich ins Nirgendwo. Der schwedische Sonderweg in Sachen Corona ermöglichte der Formation übrrigens, die Platte größtenteils live im Studio einzuspielen. Im Titeltrack zischen 7er- und 9er-Metren in wilder anarchischer Postpunk-Atmosphäre um die Ohren. Zu Beginn zählt man noch mit, bis man dem ekstatischen Achtel-Geklöppel vollends hingibt.
Bei "Closing Borders" senkt sich der Himmel übers Land. Sag auf Wiedersehen zu deinem Leben, wie es dir lieb war und lasse alle Hoffnung fahren. "To Never Return" basiert auf einem Gangster-Thema, zu dem sich perfekt eine Bank oder eine Spielcasino eröffnen lässt. Eröffnen, nicht ausrauben wohlgemerkt - ist der Ertrag beim legalen Betrieb doch wesentlich höher als bei einem popeligen Überfall. Das im tiefen Register gespielte Klavier illustriert den Lo-Fi-Crime-Charakter vorzüglich, inklusive Dick Dale-Gedängel im Finale.
Die analogen Allesforscher halten sich mit Blick auf die Songlänge im Zaum. Insofern markiert die Livenachlese "Artefacts", die noch in diesem Jahr erschienen ist, eine Zäsur, liegt dort der Fokus auf den überlangen Stücken der fünf vorherigen Alben. Oder wie es Gitarrist Rasmus Booberg ausdrückt: "Ist es nicht bedeutend progressiver ein dreiminütiges Instrumental zu schreiben und auf die Stereotypen zu pfeifen?".
Weiche Übergänge wie zwischen dem Opener und "Vinsta Guldklocka" suggerieren durchaus ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ziehen den Hörer ins Geschehen hinein. Wo nötig, greift das Quintett auf definierte Abschlüsse zurück und setzt eine verdiente Pause wie nach dem atemlosen "The Pugilist".
Gösta Berlings Saga ängstigen und trösten zugleich. Sie füllen den Spalt zwischen zersplitterter Seele und reinem Ideal und treiben gleichzeitig einen Keil in die ach so wichtigen Gewohnheiten. Famos groß.
Schließen wir mit folgenden poetischen Zeilen, die von Selma Lagerlöf, Autorin des schwedischen Nationalepos "Gösta Berlings Saga" und somit Namensgeberin der Band, stammen könnten: "Solange die Feuerzunge der Inspiration glüht, brennt man im Rausch. Erlischt sie und der Himmel klart auf, dann ist das Weinen nahe, denn dies ist die unbeschwerte Zeit, die immer währt und doch so schnell verfliegt.
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