laut.de-Kritik

Gestrige Spaß-Punk-Tunes zum Treibenlassen.

Review von

Meine Güte, was waren die neunziger Jahre doch für eine unkomplizierte Zeit. In vielen Bereichen zeigte sich diese Ära zwar geschmacklos und verantwortlich für unverzeihliche musikalische Totalausfälle wie Eurodance und Boybands. Heute können Zeitzeugen jedoch wehmütig vom unbeschwerten Leben in der Tamagotchi-Dekade berichten, in der die Welt noch nicht bis in das kleinste Gerät vernetzt war und sich die Menschen nicht wegen Genderbegriffen an die Gurgel gingen.

Nachdem sich der weinerliche Grunge selbst begraben hatte, fanden Bands wie Green Day, Blink 182, Sum 41 und die vielleicht eher etwas weniger beachteten Goldfinger fruchtbaren Boden für ihren leichtfüßigen Spaßpunk vor. "Verwässerte Teenie-Scheiße" unkten schon damals die eingefleischten Punks, die noch Blut und Wasser in den Anfangszeiten schwitzten, oder in der Hardcore-Szene zu Hause waren.

Die dürften auch 2017, neun Jahre nach dem letzten Goldfinger-Langspieler, keine warmen Worte für die Truppe aus Los Angeles übrig haben. Deren Devise heißt vielleicht auch "Fuck the System", aber bitte in Missionarsstellung und bei eingeschaltetem Licht. In Zeiten von Klimawandel, Bürgerkriegen und einer lebendigen Karikatur im weißen Haus wissen Aktivisten gar nicht, was sie zuerst auf ihre Transparente schreiben sollen. Bei Goldfinger zeigen sich die tiefsten Stirnfalten, wenn sich der Himmel beim Joint rauchen bewölkt.

Die Formel ihres Soundgemischs haben die Kalifornier auch nach 14 Jahren Bandgeschichte kaum verändert. Noch immer spielen sie eine Mischung aus College-Punk und beschwingtem Ska-Rhythmen. Auf "The Knife" klatschen sich die beiden Einflüsse gegenseitig ab wie Wrestler in einem Tag-Team-Match. Dazu gibt es mit dem Blink-182-Drummer Travis Barker, der für das Album hinter den Fellen saß, noch einen extra Schlag "Oldschool" obendrauf.

Der Opener "A Million Miles" lässt sofort wieder Bilder von "Tony Hawk's Pro Skater" auf einer flimmernden Röhrenkiste vor dem geistigen Auge auftauchen. In zwei Teilen der kultigen Serie gehörten Goldfinger bereits zum Soundtrack. Mann, zu solchen Klängen habe ich damals eine echt schwere Gap geschafft. Die Musik sollte man jedoch keinesfalls nostalgisch verklären. Ohne den Rückblick auf verkratzte Skateboarddecks und Szene-Gassenhauer wie "No Cigar" von Millencolin wirkt Goldfingers Material etwas gestrig. Vielleicht liegt das an der irgendwie heil überstandenen Pubertät, wahrscheinlich aber eher am größeren musikalischen Horizont.

Trotzdem, oder gerade deswegen macht "The Knife" durchaus Laune. Das Album lädt ein zu einer sorglosen Pause von dem ganzen verkopften Wirrwarr, das sich im 21. Jahrhundert breitgemacht hat. "Someday you'll find / Everything will be alright" singt John Feldman in "Get What I Need". Es wird sich schon alles richten. Genau die Stimmung fängt auch der lässig groovende Reggae-Track "Tijuana Sunrise" ein. Gerade ein hässliches Beziehungsende durchlebt? Einfach die Sorgen und Probleme wegsaufen!

Das ist Punk zum Prokrastinieren, das sind Tunes zum Treibenlassen. In dieser Einfachheit liegt aber auch ein musikalischer Stolperstein, denn originell wäre das vielleicht noch 1996 gewesen. Heute lassen sich anhand des Sounds etliche Songs aus dem Hut ziehen, die so oder so ähnlich klingen. Das lahme "Don't Let Me Go" sickert zähflüssig durch die Boxen, und trotzdem frisst sich der sonnige Refrain mitsamt dem Trompetensolo irgendwie in die Hirnwindungen rein.

Ab dieser Stelle liefern Goldfinger dann nur noch mehr vom Gleichen. Die gute Laune bleibt erhalten, aber man fragt sich irgendwann zwangsläufig, warum die Kerle auf einmal elfminütige Lieder raushauen, um dann festzustellen, dass sich das Klangbild einfach nicht mehr verändert. Wer heutzutage noch mal in die Verlegenheit kommt, das Album in einem großen Elektronikmarkt Probe zu hören, der erlebt nach dem Kauf garantiert keine Überraschungen mehr.

Ein fairer Deal, den sich die Band aber mit viel Monotonie erkauft. Auf "See You Around" gibt es kurz vor Schluss noch mal den 90s-Overkill, wenn sich Blink-182-Sänger Mark Hoppus die Ehre gibt. Das sorgt noch einmal für nostalgisches Schwelgen, wirkt aber wie die vertonte Version eines potenziellen American Pie 5.

"The Knife" lässt noch einmal Halfpipes und Red Cups hochleben, bevor Fidget Spinner, Anglerhüte und Dabbing dieser Zeit den letzten Sargnagel verpassen. Ein romantischer Blick zurück, doch ewig lässt sich das Gefühl von damals auch nicht aufwärmen. Dann lieber nochmal die Originale von einst anschmeißen und hoffen, dass sich der Himmel bei einem Joint nicht zuzieht.

Trackliste

  1. 1. A Million Miles
  2. 2. Get What I Need
  3. 3. Am I Deaf
  4. 4. Tijuana Sunrise
  5. 5. Put The Knife Away
  6. 6. Don't Let Me Go
  7. 7. Beacon
  8. 8. Who's Laughing Now
  9. 9. Say It Out Loud
  10. 10. Orthodontist Girl
  11. 11. See You Around
  12. 12. Liftoff
  13. 13. Milla

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2 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Was waren dass für Zeiten: mit Kumpels zwei Falschen Berenzen Saurer Apfel an der Tanke (nach zehn!) kaufen, besoffen Radfahren und genau zu solcher Mucke den Abend bei 'nem Blech Tiefkühl-Pommes und Playstation ausklingen lassen.

    Dass waren die Zeiten, in denen mich der Sound von "Hang Ups" vollkommen umgeblasen hat, vor allem Tracks wie "Superman" oder "Carlita". Ska war für mich damals was neues, und es gab in unserer Gegend darum echt einen Hype.
    "Hello Destiny" kam für mich ebenfalls gerade zur rechten Zeit, auch wenn das Album eher im Freundeskreis, als in der Disco gefeiert wurde.

    "The Knife" hab ich mir auf Spotify ein paar mal reingezogen, hängen geblieben ist bisher "Tijuana Sunrise" und der Track mit Mark Hoppus. Wenn wir gerade beim Thema sind: wenn ich mir das neue Blink Album im Vergleich anhöre, dann krieg ich das Gefühl, dass Goldfinger mächtig "ohooos" von Blink abgeguckt hat ;-)

    Wenn jetzt noch Tourdates kämen, dass wäre nice.
    In diesem Sinne,
    Skank down!

  • Vor 7 Jahren

    Sollte ich wohl mal reinhören, wenn das Album den kratzigen Baggersee-Charme der frühen 00er Jahre versprüht. Hab beim Namen Feldmann allerdings immer so meine Zweifel, der Typ ist die Kommerzialisierung des Genre in Reinkultur. Wenn ich nur an All Time Lows "Dirty Work" denke, könnte ich kotzen. Grausam.