13. November 2004

"Eine Rückkehr zu Blur würde meiner Gesundheit schaden"

Interview geführt von

Mittlerweile sind die Gerüchte über Coxons Rückkehr zu Blur dementiert. "Is anything you've ever read in the Mirror true?", amüsierte sich der Musiker kürzlich, als das britische Klatschblatt in ein Treffen Coxons mit seinen Ex-Kollegen gleich eine Reunion hinein interpretierte. Schon auf dem Southside Festival diesen Sommer, wo wir den Mann zum Interview trafen, vertrat er konsequent diese Haltung.

Im selben Outfit, das er kurz zuvor auf der Bühne trug, schlappt uns Coxon mit einer Plattenfirmen-Begleiterin aus einem Backstage-Bunker hinter der Hauptbühne entgegen. Er begrüßt uns freundlich und fragt, wo wir uns unterhalten wollen. Nun gibt es hinter Festival-Hauptbühnen gewöhnlich nur breite Zuliefererwege und keine netten Cafés. Spontan schlägt Coxon vor, sich doch einfach ins Gras zu setzen. Sein Cockney-Akzent ist zauberhaft, Kollegin Lütz ist sichtlich nervös und auch ich bin mir nicht sicher, ob es später angebracht ist, die Blur-Frage zu stellen.

Doch es entwickelt sich alles prima. Graham ist ein so sympathischer wie wirrer Kauz, an dem seine drogenreichen Jahre scheinbar nicht spurlos vorüber gegangen sind. Manchmal unterbricht er einen völlig unerwartet, wirft an den seltsamsten Stellen ein "Yeah" ein und reißt sich im Laufe der fünfzehn Gesprächsminuten bestimmt zehn Mal die Brille von der Nase, um sie nach Beendigung eines Satzes wieder aufzusetzen. Er spricht langsam und dehnt manche Worte unnatürlich lange. Oder er sagt gar nichts und schaut einen so lange an, bis man die eigene Frage für total bescheuert hält.

Du bist auf deiner Solo-Tournee in England gerade ziemlich viel unterwegs gewesen. Fühlst du dich soweit gut, wenn du alleine mit deiner Band ...

Yeah, ich ganz alleine mit meiner Band mitten auf der Bühne. Ja, das ist toll. Es dauert eine Weile, bis man drin ist, bis man die Setlist drauf hat, bis ich weiß, wo ich meine Moooves (dehnt das Wort zwei Sekunden lang!) machen und herum hampeln kann. Es ist wie eine Trainingsstunde.

Training? Wofür?

Yeah, mein Training. Frontmann-Training. Mache ich jetzt seit einem Monat.

Wir haben deine Show vor zwei Stunden gesehen. Das Training hat sich schon ausgezahlt.

Hehe, das war lustig. Es war eine ... yeah ... ich mag das Auftreten. Gerade am Tag, wenn die Sonne scheint, das ist sehr schön.

In der Tat: Punkrock zum Mittagessen.

Ich weiß nicht. Ja. Vielleicht.

Ist es schwieriger, vor einem Festivalpublikum aufzutreten?

Eigentlich nicht, denn all die Menschen sind hier, um verschiedene Bands zu sehen. Es geht vor allem um die Atmosphäre und darum, eine gute Zeit zu haben. Alles ist eher relaxed. Wenn ich weiß, dass alle nur wegen mir gekommen sind, spüre ich einen größeren Druck. Aber ich bin nicht mehr so nervös wie früher. Ich tue diese Dinge für mich selbst, in der Hoffnung, über meine Phobien hinweg zu kommen. Genau.

Heute hast du fast nur neue Songs gespielt, ich glaube drei ältere Sachen waren dabei.

Yeah. Nein, ich habe vier alte Songs gespielt. Aber normalerweise spielen wir eine Stunde und 25 Minuten. In meinen Konzerten sind es also schon einige mehr.

Spürst du als Solokünstler jetzt mehr Freiheiten als früher, beispielsweise weniger Druck, was Verkaufszahlen angeht?

An Verkaufszahlen kann ich nichts ändern ... Wie meinst du das?

Freiheiten in dem Sinne, dass dir kein Mitarbeiter einer Plattenfirma vorschreibt, wieviele Alben du mindestens verkaufen musst.

Ahh okay. Nun, mir wurde noch nie gesagt, wieviele Alben ich verkaufen muss. Ich habe auch keine Ahnung, was sie in mir sehen. Ob sie mich wie ein ganz neues Ding behandeln, oder ... (Pause) Ich weiß es nicht.

"Spectacular" ist bereits die dritte Single aus deinem Album, was ja ...

Yeah, think so.

... irgendwie auch dein eingängigstes bislang ist.

Ja, vielleicht ist es das. Ich denke, es ist vor allem ein Album für diejenigen, die keine echten Musikliebbhaber sind. Eher für Leute, die das kaufen, was ihnen das Radio vorschreibt. Leute, die ein bisschen faul sind und die sowas suchen wie einen schnellen, leuchtenden ... (Pause) ... Pophit-Trip. Man muss sich beim Hören nicht allzu viele Gedanken machen. (Pause) So leicht kriegt man mich vielleicht nie wieder.

Ist es einfacher für dich, leichtere Kost zu komponieren?

Keine Ahnung, das entscheide ich ja nicht bewusst. Diese Songs kamen einfach so aus mir raus. Ich kann mich nicht hinsetzen und sagen, ich schreibe jetzt "Bittersweet Bundle Of Misery". Es lief eben so und aufgrund dieser Songs, die ich geschrieben hatte, entschied ich, einen Produzenten zu engagieren. Denn ich merkte, huch, das sind ja Popsongs, die ich da schreibe, hey, vielleicht verkaufe ich ja mal ein bisschen. Oh, jetzt habe ich Lust, live zu spielen, vielleicht sollte ich einfach raus gehen und live spielen.

Das geschah alles nach einer längeren Ruhephase. Ich bin bei Blur ausgestiegen und hatte mich danach besonders auf meine häusliche Situation konzentriert. Und auf meine psychische Gesundheit. Dadurch kam wohl eine Art Gelassenheit zustande, die diese Songs beeinflusste.

Mein Highlight ist ja "All Over Me", was mich etwas an Becks "Sea Change"-Album erinnert hat. Die Streicher sind großartig. Hast du dich bei den Arrangements von jemandem inspirieren lassen?

Von Beck?

Nein, egal.

Ich glaube ... (Pause) ... wie hieß der Song nochmal? Ah ja, richtig, es war ein bisschen John Lennon in "All Over Me", jetzt wo du die Streicher ansprichst. "Are You Ready" versprüht sicherlich ein wenig Ennio Morricone, Scott Walker und solches Zeug. Vielleicht.

(Lange Pause)

Wisst ihr, ich kann meinen Songs nicht mutwillig musikalische Einflüsse einverleiben, sie müssen sie schon selbst fordern, damit sie glücklich werden. Und so haben wir es gemacht.

Hattest du bei früheren Aufnahmen wie z.B. bei "The Kiss Of Morning" auch manchmal das Gefühl, Streicher würden gut funktionieren, warst aber zu faul, eine Hochglanz-Produktion zu fahren?

Nee, ich war ganz zufrieden mit, äh ... das hatte mehr mit einer Entdeckungsreise in die Weiten amerikanischer Musik zu tun. Bis heute. Ich war einfach sehr glücklich mit meiner Pedal Steel-Gitarre und ein paar Orgeln. Orgel, Gitarre und Schlagzeug sind sowieso meine Lieblingsinstrumente. Ich bin kein großer Fan von Streichern, aber auf diesen zwei Songs sind sie okay. Ich stehe mehr auf E-Pianos und liebe es, damit Streicher zu ersetzen.

Auf der Bühne ist das ja auch einfacher.

Ja, wobei ich auf der Bühne alles so simpel wie möglich halten will. Am Ende von Blur hatte ich genug von der Einstellung, die neue Platte exakt so auf die Bühne zu bringen mit backing tracks, DAT-Maschinen und all solchen Sachen, aus denen dann irgendwelche Streicher rauskommen. Das bringt doch nichts. Aus den Boxen soll das kommen, was die Leute oben auf der Bühne spielen, und nichts vom Band.

Dürfen deine Bandmitglieder im Studio eigentlich auch Ideen einbringen?

Nein. Ich sage ihnen, wie sie die Songs spielen sollen und dann gehen wir auf Tour. (Pause) Ich glaube auch nicht, dass sie Interesse hätten, Sachen vorzuschlagen. Ich fühle mich alleine sehr wohl im Studio. Ich hasse es, dort zu sitzen und nichts zu tun zu haben. Wenn ich schon in ein Studio gehe, dann will ich dort auch etwas machen. So geht es schneller.

Schaust du dir heute noch Bands hier an? (Wir hantieren mit dem Festivalplan)

Ja, spielen Wilco schon? Wir müssen ja heute abend noch mit dem Bus heimfahren, oh god! Ah, nachher sind Franz Ferdinand dran und ... oh, Polly Harvey verpasse ich knapp, schade.

Gestern spielten die Pixies hier einen Wahnsinns-Gig.

Ja? Ich habe mal für sie in London eröffnet, ist schon 'ne Weile her.

Hast du die Band auch getroffen?

Nein. Vor Jahren habe ich Kim und Joey getroffen, aber ... Ich glaube, wir haben um den Support gebeten, und sie sagten zu. Die Pixies spielen ja, als sei ihnen alles egal. Wenn sie "Surfer Rosa" nicht gemacht hätten, wären sie sicher eine der schlechtesten Bands der Welt. (alle lachen) Aber glücklicher Weise machten sie "Surfer Rosa", denn darum sind sie sehr wichtig. "Come On Pilgrim" geht noch, aber danach ... naja. Die Produktion auf diesen Alben ist durch die Bank ziemlich furchtbar. Deshalb kann ich sie mir auch nicht anhören.

Vor zwei Jahren interviewten wir Drummer Joey und der machte keinerlei Anstalten, sich eine Pixies-Reunion vorstellen zu können. Meinst du, es könnte eine Zeit kommen, in der du mal wieder mit deinen alten Kollegen zusammen spielst?

Nein, ich bin jetzt auf meinem Weg. Mein Leben hat sich sehr verändert seither. Ich würde meiner Gesundheit sehr schaden, wenn ich wieder zu Blur zurück ginge.

Du meinst die Tourneen?

Nicht wirklich, ich meine schon sie. Was das alles bedeutet, die Symbolik und all das.

Triffst du die Jungs noch ab und an?

Eigentlich nicht. Manchmal treffe ich Alex, weil wir beide gerne in Schuhläden einkaufen, aber das ist auch schon ewig her. Busy busy.

Das Interview führten Jasmin Lütz und Michael Schuh.

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