laut.de-Kritik

Die Berliner in der Mitte des Geschehens oder irgendwo am Arsch.

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Zwei Jahre nach dem sehr guten "Oh, Ein Reh" stehen Grossstadtgeflüster endlich wieder auf der Matte. Recht unkonventionell gibt es mit der Mini-LP "Fickt-Euch-Allee" nicht nur den deutschsprachigen Song des Jahres. Die hier enthaltenen fünf Tracks bilden konzeptionell auch den Auftakt zu einer Serie weiterer Extended Plays, die lose zusammen hängen. Der erste Teil legt gut vor.

Der hochmoderne Elektroclash fließt durchdacht und eigenständig aus den Boxen. Das Trio bedient sich mit der gebotenen Dreistigkeit des Kreativen bei diversen Genres und Szenen. Vom edlen Clubsound klauen sie sich die elektrische Basis, ohne oberflächliches Schicki-Micki-Getüdel. Dem deutschen Hip-Hop stibitzen sie frechen Rap, ohne Hang zu Gosse oder Prolltum. Und der alten Tante Punk entlehnen sie die rotzige Attitüde ohne dessen simple Muster. Das Ergebnis zeigt einfach allen Subkulturen den Finger und bietet damit großen, individualistischen Pop, wie er immer sein sollte.

Das Titelstück ist ein Hammer. Zeitgeist war gestern. Sicherheit und Übersichtlichkeit gehen eh den Bach aller Illusionen runter. Also einfach mal jener Generation, der man alles fürs Leben versprach, die perfekte Trümmer-Hymne schneidern! Die "Fickt-Euch-Allee" ist ein waschechter Altar der Angepisstheit. Am Ende sind alle breit, dabei nicht bereit, sich den letzten Funken Spaß und Tanz auf dem Pulverfass nehmen zu lassen. "In meinem Wochenendhäuschen in der Fickt-Euch-Allee / Hier hinter all den Bergen aus
Verbrannter Erde ist die 'bright side of life' / Hier wächst mein Gras über euch.
"

Auf dem Holzweg aber der Berliner Medienwald, der das Stück längst als Hauptstadthymne preist. Denn so einfach lassen sich die drei von der Zankstelle nicht vereinnahmen. Grossstadtgeflüsters Ansatz ist viel universeller und trifft das Lebensgefühl so einiger Millionen - von der Weltstadt bis zum Dorfacker - ins Mark.

Das folgende "Blaues Wunder" hält textlich das originelle Niveau und setzt musikalisch noch einen drauf. Eleganter Pop-Appeal, dessen angenehm minimales Geplucker im Duett mit einer unprätentiösen Gitarre gar nicht weit von Roisin Murphy wurzelt. "Ich bin nicht sonderlich schön, aber schön sonderlich / Dafür ist mein Glas voll und ich bin es auch. / Ich bin dein blaues Wunder."

"Wo Ist Die Party" glänzt hernach mit bierfreundlichem Beat zu gelungenen Zeilen. Es macht Laune, ihrer Aufzählung von Anfang bis Ende zu lauschen. Alle Außenseiter von "den Ratten und den Geeks" bis zu den "Schatten und den Freaks" feiern mit. Das Spektakel ist überall, egal ob "in der Mitte des Geschehens oder irgendwo am Arsch".

Lediglich das etwas belanglose "Die Einigung" kommt nicht ganz an die Highlights heran. Doch die kleine Schwäche hält nicht an. Im tripppigen Finale "Weisse Kaninchen" zeigt Jen Bender gesanglich eine neue, nahezu psychedelische Facette. Das angekiffte Grundgefühl konterkarieren sie dabei clever mit einer Kelle tanzbaren Neons. In dieser Qualität freue ich mich schon jetzt auf die zweite Episode dieser Serie.

Trackliste

  1. 1. Fickt-Euch-Allee
  2. 2. Blaues Wunder
  3. 3. Wo Ist Die Party
  4. 4. Die Einigung
  5. 5. Weisse Kaninchen

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