laut.de-Kritik
Düsterer Statusbericht aus der Mainmetropole.
Review von Marvin MüllerHany weiß einfach wie es geht. Zumindest hat er mit "Weg Von Der Fahrbahn" bereits bewiesen, dass er das Erfolgsrezept für außergewöhnliche Street-Rap-Alben besitzt. Keine zwei Jahre nach dem umjubelten Debüt legt der Frankfurter nun den Statusbericht aus der hessischen Mainmetropole vor: irgendwo zwischen den blinkenden Neonschildern der Laufhäuser und Spielotheken, wo abgefuckte Gestalten drauf und dran sind, sich mit dem nächsten Schuss ins Nirwana zu befördern und Nutten noch die ehrlichsten Gesprächspartner darstellen, berichtet Hanybal von der Front. Oder mit anderen Worten: "Haramstufe Rot".
Dreckiger Drum-Loop, 439-Scratches, ein monophones Sample. "Jag' die Batzen / egal wie (yallah) / mach' was", spuckt Hanybal auf den dreckigen Bordstein und entfacht sofort eine düstere wie bedrückende Atmosphäre. Hier, im Schatten der europäischen Zentralbank, folgen alle nur dem Gestank des Geldes und kommen dabei - für ihre Familie oder den eigenen Rausch - zwangsläufig vom geraden Weg ab. "Wieviel ist der Kick dir wert / wenn dein Kind sich beschwert / wegen Loch in den Klamotten?"
Mit freundlichen Grüßen an Jeyz, Azad und Sido beschreibt bereits der erste Track die Faszination um das Rap-Phänomen Hanybal sehr treffend. Das nervenaufreibende Timbre ballert die kompakten wie ausdrucksstarken Zeilen punktgenau auf den Beat, während Hany dem Hörer in einer substantiellen Sprache ein plastisches Bild zeichnet. Mit "Rakete" und "Monster" verschwimmt die düstere Grundstimmung in einem blitzenden Strudel aus Lichtern und tanzbaren Party-Beats, Abaz hat da zwei wirklich schmucke Bretter gebastelt. Huch, war da eine bunte Pille im Glas?
Kurz Luft zum Durchatmen bietet erst der Titeltrack, auf dem Hany Unterstützung von seinen Frankfurter Leidensgenossen Celo & Abdi bekommt. Der verschrobene Oldschool-Beat funktioniert für Hany und Celo prächtig, Abdi hüstelt seinen Part leicht daneben. Schließlich beenden die ersten Sonnenstrahlen eine wilde Nacht im Sündenfall, die allmähliche Rückkehr der "Realität". Für Hany bedeutet das vor allem Eins: "Kopfgefickt"! Beinahe respektvoll zählt er seine Laster auf, aussichtslos dass der Teufelskreis je bricht. Noch einer, der ein Lied davon singen kann: Styles P, der den Bericht als Korrespondent aus New York City ergänzt und ebenfalls wenig Aufbauendes zu vermelden hat: "Time is up / mind is fucked".
"Messi Ronaldo" bietet schließlich leichtere Kost in Form eines melodischen Sommer-Tracks, auf dem Olexesh und Hanybal locker um die Wette flowen. Generell scheint es, als wolle sich Hany nun mehr der Sonnenseite des Lebens widmen, gemeinsam mit seinem Bruder im Geiste Gzuz vergisst er ganz schnell seine Sorgen ("Kiffen Koksen Alken Ficken"). Der fordernde Techno-Beat lässt leider wenig Atmosphäre aufkommen und die unbändige Energie der beiden - besonders als Duo - tritt kaum zu Tage. Bestenfalls eignet sich der Track zum Kopf zuballern auf einem geschlossenen Media Markt-Parkplatz, messerscharfe Selbstdiagnose inklusive: "Meine Welt ist kapuuuuuutt!"
Hany feuert seine Silben irgendwo zwischen abgeklärtem Weltschmerz und halbstarker Selbstdarstellung mit chirurgischer Präzision und spielender Leichtigkeit auf die maßgeschneiderten Bretter, ob trappiges Gewitter mit vertripptem Labelboss ("Wo Sind Die Gegner") oder symphonischer Storyteller ("Bist Du Bereit") - Hany wohnt eine ungeheure Anpassungsfähigkeit inne. Auch Bonez MC zeigt auf "Baller Los", dass er zwar gerade mehr Bock auf Kunststoff als auf Blei hat, seine Roots indes keinesfalls vergisst.
Die kritisch zu betrachtenden Trap-Versuche des Frankfurters werden schließlich mit einem Bonus-Track wieder wett gemacht: "Skimaske" feat. Soufian überzeugt auch den letzten Trap-Hater und beweist erneut die Vielseitigkeit von Deutschlands bestem Haus-Maus-Rapper.
Eine Wiederauferstehung des 439-Duos in Form von "Blaulicht 2" setzt einer durchweg starken Platte noch die schiefe Krone auf. Der vorletzte Bonus-Track ist der heimliche Favorit des gesamten Albums und lässt auf eine Reunion des alten Duos hoffen, wie es die Fans schon seit Jahren fordern.
Dem ungestümen Hessen brennt das Herz auf der Zunge, er kanalisiert seinen Schmerz und die Wut und verpackt sie in zwanzig Tracks voll beladen mit Drogen, Gewalt und desillusionierter Hoffnungslosigkeit. Falsche Versprechungen oder langweiliges Rumgepose finden auf "Haramstufe Rot" ebenso wenig Platz wie zehnsilbige Reimgebilde, davon gibt's ohnehin genug in den Untiefen Rap-Deutschlands. Niemals gekünstelt oder theatralisch, immer offen und direkt in die Fresse, ohne Rücksicht auf Verluste und stets gegen den Strom. Genau so, wie es ihn die Frankfurter Schule einst lehrte.
24 Kommentare mit 55 Antworten
ungehört 5/5
der titel ist ja großartig. untopbares wortspiel!
die rezi klingt so interessant. das werde ich mir die tage echt mal geben.
Meines Wissens nach ist aber Urheber dieses Titels ein gewisser Tarek / KIZ
Anwalt, ein guter Rat: spar' dir die Zeit, das ist nicht dein Ding.
Dazu sollte man den Vorgänger kennen
allein schon die tracknamen , wird wohl leider total belanglos.
Pünktlich zum den Sommer verdrängenden Schmuddelwetter ruft Hanybal die "Haramstufe Rot" aus. Im Herbst der Karriere, erlebt er seinen zweiten Frühling und liefert nach dem überraschend starken "Weg von der Fahrbahn" ein neues Album nach.
Dieses geht in positiver Weise auf Nummer Sicher. So finden sich gewohnte Representer zu scheppernden Beats ("Kiffen Koksen Alken Ficken", "Baller Los") genauso wie sozialkritische Stücke ("Kranke Welt") auf dem harten Asphalt wieder. Der stete Wechsel zwischen Tragik und beinharter Komik gelingt, wie auch im Vorgänger durch hochwertige Produktionen und energiegeladene Parts fließend. Features wie Celo&Abdi auf dem soundtechnisch verstörenden Titeltrack oder Olexesh auf dem knackigen "Messi Ronaldo" zeigen einmal mehr auf, dass sie als Gastbeiträge meist besser funktionieren als auf eigener Albumlänge.
"realität" als legitimer Nachfolger des deepen "Spiegel" setzt genauso ein Ausrufezeichen wie das nach feinster Queensbridge tönende "Fick die Welt". Zwischendurch wird mit einem hibbeligen Nimo im hypnotischen "Vanilla Sky" auf grünen Wolken geschwebt um "Kopfgefickt" in der melodisch "Schönen Neuen Welt" aufzutreffen, in der das Credo "Jag Die Batzen" in bester Oldschool-Manier ausgerufen wird.
Bei satten 20 Tracks stellt sich ab und an zwar ein Verschleißgefühl ein, die "Skimaske" mag nicht mehr ganz so motiviert sitzen, ein monotoner Manuellsen beißt sich an anderer Stelle nicht wirklich durch und das "Blaulicht" leuchtete letztes Jahr weitaus heller. In "Mein Ball" wird dazu recht unaufgeregt Autobiographisches aufgetischt, was jedoch auch die weiche Seite des harten Frankfurtes betont.
"Bist Du Bereit" fragt Hany auf dem treibend-aufbauenden Song und gibt den Teacher, was das Album weitaus weiter vorranbringt als das müde Haftbefehl-Feature bei "Wo Sind Die Gegner".
Der Hörer ist bereit für ein weiteres Jahr Hanybal. Der AHA-Effekt des Vorgängers bleibt aber aus.
4/5
Vor allem den letzten Absatz kann ich voll und ganz unterschreiben.
Realität 2ter Part - gänsehaut
Da muss ich dem Toriyamafan ausnahmsweise Mal recht geben, auch wenn ich nicht bis zur Gänsehaut gehen würde.
Allgemein schafft Hany es immer wieder, solche Themen authentisch und energetisch rüberzubringen. Etwas, das 99% aller anderen Deutschrapper vergönnt bleibt.
"Spiegel" in dieser Nische nahezu unerreicht auf Deutsch.
Also für meinen Geschmack sind da ein paar von den auf-Nummer-sicher-krasse-Bilder-auf-melancholischen-Beats-Titeln zu viel drauf. Außerdem haben sich (für Hany sehr ungewöhnlich) ein paar sehr nervige Hooks eingeschlichen. Daher nicht ganz so gut wie der Vorgänger, aber trotzdem nach wie vor ganz eigene Liga in diesem Subgenre. 4/5
Bin sogar kurz davor, die Wertung auf 3/5 zu senken. Gerade die ganzen ach so namhaften Feature-Tracks sind dermaßen vorhersehbar (Hook-Part-Hook-Featurepart-Hook), dass bei mir schon nach spätestens 5 Durchläufen die Langeweile eingesetzt hat... Schade.
Neuer Anlauf nach längerer Pause