laut.de-Kritik

Ein Leben zwischen Jetset und Thermomix.

Review von

Zu sagen, Harry Quintana habe keine besondere Lust, sich selbst zu vermarkten, ist eine dramatische Untertreibung. Der Rapper gibt keine Interviews, spielt alle Jubeljahre mal eine Liveshow und füttert bis auf einen halbverwaisten Twitteraccount auch keine Sozialen Medien. Inmitten von inszenierten Streitereien, Bettelei um Klickzahlen und endlosen Promophasen wirkt der Münchener damit im deutschen Rap wie ein Exot. Quintana macht nur, worauf er Lust hat. Und wenn Quintana keinen Bock auf Musik hat, dann kommt eben vier Jahre lang (fast) nichts.

Als sein Fan musste man bisher nicht nur eine Menge Geduld, sondern auch erhöhte Wachsamkeit mitbringen. Dabei kommt der Nachfolger zu "El Camino" für Quintanas sonstige Gepflogenheiten fast schon kommerziell daher. Zugegeben, eine Premiumbox gibt es immer noch nicht, aber diesmal stehen die acht Songs, statt wie bisher nur auf Bandcamp und Soundcloud, sogar auf den großen Streamingplattformen zur Verfügung.

Als ein spätes Schielen auf den Mainstream-Erfolg darf man das trotzdem kaum werten. Dafür ist die EP schlicht zu strange. Für "Raro" habe er ein bisschen Zeit gehabt, "einfach rumzugammeln, was natürlich die Kreativität steigert", lässt Quintana vernehmen, und genau diese Slacker-Attitüde macht einen gehörigen Teil des Charmes der Musik aus. Die acht Songs wirken fast schon aus dem Ärmel geschüttelt, beeindrucken aber trotzdem mit ihren pointiert gesetzten Textzeilen.

In der ersten Hälfte des Albums knüpft Quintana dabei an alte Stärken an und gibt ein Musterbeispiel an unterhaltsamer Ignoranz. Die eigene Kunstfigur des verzogenen Oberschichtskinds treibt er auf die Spitze und spricht über das körperliche Unvermögen, mit Menschen bar jeglicher Statussymbole zu sprechen: "Ich kann nicht mit dir reden, wenn du überhaupt kein Ice hast."

Aber Quintana ist nicht nur von deiner Armut angeekelt, sondern auch von gewissen Kollegen: "Sonntag neunzehn Uhr, du willst wissen was ich mach'? Ich bündel' meinen Hass auf MoTrip und Ali As." Wesentlich besser kommt da LGoony weg, der sich für Quintanas Feature auf "Lightcore" revanchiert und sich - wie könnte es anders sein? - mit seinem Gastgeber in Beschreibungen des eigenen Reichtums überbietet.

Einmal mehr bewahrheitet sich auf "Raro" die alte Erkenntnis, dass derjenige am lässigsten wirkt, dem es komplett egal ist, ob er nun cool rüberkommt. Das zeigt sich auch in den kulturellen Referenzen: Wo andere Rapper sich gerne einmal in die Fußstapfen von Tony Montana und anderer Filmgangster stellen, vergleicht Quintana den Klassikerstatus seiner Werke lang und breit mit alten Disney-Filmen.

Zur zweiten Hälfte der EP ändert sich der Ton. Sukzessive driften die Punchlines von der vorherigen Überheblichkeit in schwarzen Humor ab. Tracks wie das Albumhiglight "Ingolstadt Village" sind von einer Melancholie durchzogen, die das Jetset-Leben der ersten Hälfte konterkariert. Plötzlich wirkt das Pendeln zwischen Mailänder Edelboutiquen und südamerikanischen Städten nicht mehr erstrebenswert, sondern in erster Linie einsam. Harry Quintana zeigt auf, wie es ist, wenn einen das ganze Geld, von dem die Rapper immer reden, nicht glücklich macht.

"Werd' ich ruhiger oder werd' ich nur apathischer?", fragt sich der Musiker, berichtet von Entfremdung mit alten Freunden und dem eigenen Lebenskonzept, und beobachtet, wie die Spießbürgerlichkeit, über die er sich in den ersten Tracks noch lustig gemacht hat, mittlerweile Einzug in sein eigenes Leben hält.

Wehrt er sich stellenweise noch gegen die unglamouröse Lebenswirklichkeit ("Nein, ich will nicht nach Ingolstadt Village"), streckt er andernorts bereits resignierend die Waffen: "So viele Ideen, so viele hohle Reden, meine Mutter schaut mich an als wäre sie Nofretete. Sag' mir, ist es das was du vom Leben willst? ETFs und Webergrill, vorhersehbar wie der ZDF-Fernsehfilm. So wollte ich nie werden, doch guck' hier, jetzt steht er da, im Regal, TM5. Was hab' ich nur getan?"

Mit "Raro" ist Harry Quintana ein bemerkenswertes Album gelungen. In Ästhetik und Stil nach wie vor einzigartig und nie vollständig greifbar, schafft Harry Quintana eine Mischung aus Unnahbarkeit und Überheblichkeit, aus Tragik und Absurdität. Somit gehören die 25 Minuten Spieldauer zum Spannendsten und Unterhaltsamsten, das Deutschrap dieses Jahr zu bieten hat.

Trackliste

  1. 1. Nein
  2. 2. Bruno Mars feat. LGoony
  3. 3. Surfin USA
  4. 4. Zwei Pimps feat. Gargmann & Klubking
  5. 5. Der Terminator
  6. 6. Ingolstadt Village
  7. 7. Quito RMX
  8. 8. Weiter

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