20. Februar 2003
"DSDS läuft, bis alle kotzen ..."
Interview geführt von Kai KoppKaum ein anderer deutscher Musiker ist so lange im Geschäft, und kaum ein anderer Musiker ließ sich in so langen Jahren so wenig verbiegen. LAUT sprach mit Hellmut Hattler am Rande seiner "Mallberry Moon"-Tour über Authentizität, DSDS, die deutsche Ellenbogengesellschaft und andere Themen.
Auf meine Interviewanfrage hast du geantwortet, du seist inzwischen Labelchef (Bassball.net) und schon deshalb sehr an Interviews interessiert. Du hast die Bühnenbretter lange Zeit von der Künstlerseite aus betreten. Was ändert sich, wenn man auf unternehmerischer Pfaden wandelt?
Normalerweise ist es so: wenn der musikalische Prozess abgeschlossen ist, bist du als Künstler aus dem Spiel und lässt das Produkt die anderen vermarkten. Du bist natürlich in deinem Herzen noch mit dem Produkt verbunden, aber du hast keine Einflussmöglichkeiten mehr, weil das Motto "die Plattenfirma wirds schon richten" gilt. Jetzt bin ich selbst die Plattenfirma und darf nicht mehr meckern, wenn was schief läuft.
Im Grunde geht es aber um die Kernfrage: Was passiert beim ersten Hören der Songs? Das ist für mich superspannend, weil ich das nicht mehr nachvollziehen kann. Ich habe die Songs ja inzwischen 500 Mal gehört, für mich sind es sowieso die größten Hits der Welt. Jemand der die Sachen zum ersten Mal hört, reagiert ja mit komplett anderen Assoziationen darauf, als ich selbst. Diese Feedbacks zu bekommen und auf sie zu reagieren ist für mich eine unglaublich spannende Sache.
Sehr aufregend sind auch die Auslandsaktivitäten. Einige Tracks werden auf diesen witzigen, themengebundenen Plüsch-Compilations erscheinen, so nach dem Motto: "Ich-sitze-mit-meinem-Cocktail-an-der-Bar-und-schau-den-Wellen-zu-Vol. 3". Das finde ich sehr interessant, weil ich es ja früher so detailliert nicht mitgekriegt habe. Da kam dann irgendwann eine Gema-Abrechnung, aber was da genau dahintersteckt, habe ich nicht mitbekommen.
Das heißt, das Ausland ist an deinen Titeln interessiert?
Ich kann natürlich nicht auf die kräftige Infrastruktur eines großen Labels zurück greifen und mal kurz weltweit alle Partner bemustern. Bei mir spielt der Zufall noch eine große Rolle. Aber alle Leute die das Material hören, können auch was damit anfangen. In Frankreich kommt z.B. am 11. März eine richtig ordentliche Veröffentlichung raus, die bisher auf ein sehr positives Feedback von den Radiostationen und der Presse stößt.
Auch ein Sampler?
Nein, ein ordentliches Hattler-Album, das auch "Hattler" heißen wird. Allerdings sind keine Titel von "Mallberry Moon" darauf, nur Songs von den anderen beiden Platten: der Remixplatte (gemeint ist: "Hattler - Remixed Vocal Cuts" ) und ... äh ...
... "No eats Yes" ...
Genau, so heißt sie (lacht). Von 30 bemusterten Radio-DJs haben 20 die Songs auf der Rotation. Das ist in Deutschland absolut unvorstellbar, weil die Formatradios hierzulande eigentlich alles leer fegen und eher kontraproduktiv arbeiten.
Wie kommst du dazu, ein eigenes Label zu gründen?
Das ist aus der Not geboren. Bei meiner letzten Plattenfirma, der Polydor, ist nach der Veröffentlichung der Supergau passiert. Alle Leute die für mich zuständig waren, waren plötzlich weg. Sind entlassen worden oder von selbst gegangen. Plötzlich hast du deine Vertrauten nicht mehr, die ursprünglich gesagt haben: "das ist unser Baby". Irgendjemand anderes behandelt das dann und schaut vielleicht noch, dass die Platte im Laden steht, aber das wars dann.
Du kennst inzwischen beide Seiten des Geschäfts. Was würdest du jungen Musikern raten, die im Biz Fuß fassen wollen?
Puh ... das war schon immer schwierig! Ich glaube Authentizität ist das Zauberwort. Wenn du dein eigenes Ding machst kriegt das früher oder später jemand mit. Dafür muss man natürlich etwas tun, und zwar möglichst in der Öffentlichkeit. Im Proberaum hört dich niemand. Am besten, du buchst ein paar Konzerte und fängst dann zu proben an (lacht), weil dann ein Sinn und eine Perspektive vorhanden ist.
Also eigentlich die alte Empfehlung: an sich glauben und spielen!
Genau! Aber die Öffentlichkeit ist wichtig. Nicht bekifft im Kämmerlein sitzen und sich vorstellen was wäre, weil das bekommt niemand mit und es wartet auch niemand darauf. Das ist wirklich wichtig zu realisieren, dass eigentlich niemand auf einen wartet.
... und was rätst du der Plattenindustrie?
Ach Gott, Plattenfirmen strecken sich nach dem erhofften Erfolg und kaufen das ein was in Amiland schon funktioniert, um daraus einen deutschen Ableger zu machen. Es sei denn, man erfüllt die Erwartungen die an einen gestellt werden. Meine Vergangenheit ist in dieser Hinsicht auch eine heftige Hypothek die ich mit mir rumschleppe. Da wusste jeder schon im vornhinein, was hätte kommen müssen. Wenn es dann nicht kommt heißt es entweder: "warum machst du nicht wie damals", oder "du machst ja immer noch wie damals". Insofern kann ich allen jungen Bands und Musikern nur raten, macht das, was für euch/dich wirklich wichtig ist. Alles andere ergibt sich. Jemanden einen Gefallen zu tun, ist ein Fass ohne Boden, ein Kreisverkehr aus dem du nie mehr rauskommst.
Wie beurteilst du die aktuelle Diskussion um das Urheberrecht in Zeiten des Internet? Stichwort: MP3, Tauschbörsen, Raubkopien ...
Es gibt bestimmt ein Segment, in dem viel kopiert wird und das mit heftigen Einbußen für die Firmen und natürlich auch die Künstler verbunden ist. Zu diesem Segment gehöre ich aber nicht. Meine Musik wird eher von Erwachsenen gehört, die sich eben keine gebrannte Kopie reinziehen wollen, sondern ein seriöses Produkt wünschen. So ähnlich wie ein interessantes Buch. Das kopierst du auch nicht im Copy-Shop, liest es und wirfst es dann weg. Ich sehe aber auch die Chance einen großen Multiplikator zu erhalten. Ich habe, bevor das neue Album rauskam, einige Titel ins Netz gestellt, sogar in einer sehr guten Qualität. Wenn die jemand hört und sie gefallen ihm, kauft er sich das Album sowieso. Und wenn er sie sich unbedingt brennen will, dann soll er halt. Ich sehe, dass die Chancen überwiegen, und wenn die rechtlichen Probleme mal gelöst sind, ist das für alle natürlich besser.
Ist auf deiner neuen CD ein Kopierschutz?
Nein! Ich finde die Option o.k., aber wenn jemand das Ding cracken will, dann schafft er es auch.
Dein aktuelles Album trät den Titel "Mallberry Moon". Was will uns diese Wortschöpfung sagen?
Es bezieht sich auf ein Bild, das ich in mir trage. Ein Gedanke ist dabei die Verkommerzialisierung der Gesellschaft. Dieses Isoliert-sein und sich trotzdem in kommunikativen Gierpalästen, den Malls - diesen Einkaufszentren die auch in Deutschland nach amerikanischem Vorbild entstehen, befriedigen. Jeder hat die Ellenbogen ausgefahren und ist trotzdem mit den anderen unter einem Dach. Und darüber scheint der Vollmond als Projektionsfläche. Der Mond ist ja ein Sinnbild für das Unbewusste im Menschen. Wenn man diesen Mond und seine Distanziertheit über die Gier im Mall stellt ... eigentlich möchte man Zuwendung erfahren und wendet sich eher dem Mond als diesem Treiben zu, das Individualismus voraussetzt. Das ist mein Bild für "Mallberry Moon".
Du bist aus der deutschen Musikgeschichte nicht wegzudenken. Vor 30 Jahren hast du Jazzrock und Fusion gespielt, als die Begriffe noch nicht einmal etabliert waren ...
Damals hieß das Pop. POP! Ich habe kürzlich in einer der ersten Sounds-Ausgaben einen Artikel über Kraan gefunden, der lief unter der Bezeichnung "neue deutsche Popgruppen". Wir waren eine Popgruppe (lacht) ...
In den 90ern hast du mit Tab Two an vorderster Front der Hip-Jazz Bewegung agiert und das Genre entscheidend geprägt. Kannst du uns aus deiner jetzigen Sicht und mit etwas Abstand das Ende von Tab Two noch einmal beschreiben?
Es war einfach so, dass Jo Krauss das beendet hat. Ich sage es jetzt mal mit meinen Worten: Er hat gesagt, er will das nicht mehr machen, weil ich ihm den Geist geraubt hätte.
Das heißt, es wird keine Zukunft für Tab Two geben?
(ernst) Wenn er sagt "ein für alle mal", dann nehme ich mal an, dass das auch so gemeint ist. Zu mir hat er gesagt, dass es für ihn beendet ist, und er sich jetzt mit Gleichgesinnten umgeben wird. Das muss ich einfach so hinnehmen. Natürlich habe ich alles versucht, das hinzubiegen, aber ich bin immer wieder auf ein klares "Nein" gestoßen. Ich fand es superschade! Wenn du so was über Jahre hinweg angeleiert hast und die Ernte, in dem Augenblick wo sie ansteht, nicht einfährst - das finde ich schon fast ein Verbrechen. Auf der anderen Seite eröffnet die Situation auch wieder neue Chancen und Möglichkeiten. Wenn etwas zusammen bricht entsteht entweder wieder etwas Neues oder du bleibst am Boden liegen.
Bei dir ist mit dem Projekt Hattler wieder etwas Neues entstanden. Aber auch die alten Rockdinosaurier Kraan gibt es seit drei Jahren wieder.
Dinosaurier habe ich nicht gehört, die sind doch ausgestorben ... (lacht)
Wie kam es zur Wiedervereinigung?
Es gab eine Anfrage für ein Festival in Herzberg. Die haben jedes Jahr eine Band auf dem Plan, die es eigentlich nicht mehr gibt und arbeiten relativ militant daran, die jeweilige Band für einen Gig zu reformieren. Die gemeinsamen Sessions waren total spannend und witzig, eine unglaubliche Erfahrung. Wenn man sich so viele Jahre nicht gesehen hat und dann das alte Material auspackt ... (lacht) ... das ist in unseren Genen festgeschrieben.
Ihr habt nicht nur dieses eine Festival gespielt. Inzwischen gibt es genügend Material für ein neues Album namens "Through". Wann dürfen wir damit rechnen?
Mai, Juni. Ich überlege auch, ob es eine DVD geben wird. Es gibt eine Surround-Version von "Through", die hat mich völlig umgehauen, die wäre es wert.
Kommen wir noch einmal zu den Anfängen deiner Karriere zurück. Du hast sechs Wochen vor dem Abi die Schule geschmissen und bist nach Berlin gegangen, um dort in einer Musikkommune zu leben. Der Traum aller Musiker.
Ich musste ja relativ lange ein einwandfreien Lebenswandel vortäuschen sonst hätte ich das noch früher gemacht. Damals war man ja erst mit 21 volljährig und sobald ich es durfte habe ich mich aus dem Staub gemacht. Ich wusste, dass ich das Abitur nie im Leben brauche, weil mein Ding die Musik war, das war völlig klar. Die Jungs in Berlin (Jan Fride, Peter Wolbrandt, Johannes Pappert) haben dann gesagt: "lass 'es' uns gemeinsam tun". Es ist natürlich eine großartige Zäsur im Leben, wenn du dich gemeinsam mit deinen besten Freunden gegen den Rest der Welt stemmst. Nur die Schule zu verlassen, ist noch kein Verdienst.
Du bist also über eine Sozialrevolution ins Profilager des Musikgeschäftes gekommen ...
Das war damals viel weitreichender als einfach nur zu sagen "Ich will Superstar werden" und lass mich jetzt für einen Contest aufstellen. Das Geld, das wir mühsam eingenommen haben, war unser gemeinsames Eigentum. Musikalisch ging es um den Anspruch, anders zu klingen als andere Bands. Das Zauberwort ist Authentizität. Natürlich haben auch Drogen eine Rolle gespielt. Wir haben Stunden und Tage am Stück durchgespielt. Das waren Sessions die kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, nächtelang. Dadurch hat sich etwas ganz Eigenes entwickelt, einfach durch das Tun und nicht dadurch, dass wir einen Plan gemacht hätten ...
Du beschreibst das Gegenteil der derzeitigen Talentcastings wie etwa "Deutschland-sucht-den-Superstar"? Wie beurteilst du generell die DSDS-Mode?
Ein paar Zuhälter suchen sich ein paar Models, die sie auf den Strich schicken. Mehr ist es ja nicht. Sie versuchen, durch die anderen Geld zu verdienen. Wir waren damals selbst die Models, aber wir haben uns keinen Zuhälter gesucht. Aber es ist natürlich auch eine Projektionsfläche für junge Leute. In diesem "das könnte ich sein" liegt ja auch ein großer Reiz, es ist ja nicht nur abgeschmacktes Abzocken. Was da aber psychologisch passiert, darüber möchte ich lieber nicht nachdenken. Die Medien werden in diesem Spiel genauso benutzt, wie sie benutzt werden wollen. Wenn die Werbeeinnahmen stimmen, wird die Sendung weiter geführt, bis alle kotzen. Auch die Radios in Deutschland liefern ja eigentlich nur den Soundtrack zum Werbeblock. Im Grunde finde ich das eine wirklich schlimme Entwicklung. Denn die Leute, die einen eigenen Kopf haben und wirklich kreativ sind, haben in diesem System eigentlich keine Chance mehr.
Der Trend geht zur Prostitution. Auch in der Gesellschaft?
Ich denke es gibt eine Anspruchshaltung in der Gesellschaft, die lautet: es ist jemand da, der es mir richten soll. Dieses nicht selbst verantwortlich sein wollen ist eine große Krankheit in unserem System. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall, immer stehen wir da und wollen, dass sich jemand um uns kümmert und alles bezahlt.
Die Tendenz, keine Selbstverantwortung für sein Leben zu übernehmen ...
Das ist absolut krass zur Zeit. Aber wenn ein System alles vorgibt und reglementiert verhindert es natürlich auch einen individuellen Forschergeist. Das "Ich-zieh-jetzt-mal-auf-eigene-Faust-los-und-schau-was-geht" endet ja in der bitteren Erkenntnis, dass es schon alles gibt und alles gemacht ist. Ich kann aber nur schauen, dass ich im Karpfenteich zum Hecht werde und nicht Karpfen bleibe. Die Begeisterung, etwas Neues zu schaffen, ist nicht sehr verbreitet im Moment ... dennoch ist sie nicht tot. Sie will nur wachgeküsst werden.
Ich habe fast das Gefühl, dass wir zwangs-wachgeküsst werden ...
Richtig. Du brauchst immer eine kleine Katastrophe um wieder umzudenken. Viele Musiker die sich jahrelang als Sideman durchgeschlagen haben, werden nicht mehr für Tourneen gebucht, spielen keine Gigs und stehen jetzt vor der Frage: "Begebe ich mich jetzt ins Grab oder gebe ich Gas"? Wenn nicht alles reglementiert ist kommen auch die Impulse zur Selbsterfrischung wieder.
Könnten auf der gesellschaftlichen Ebene der 11. September 2001 und der aktuelle Irak-Konflikt solche wachrüttelnden Katastrophen sein?
Das sind ja abstrakte Katastrophen, die nicht nachvollziehbar sind. Aber es hat auch ein sehr starkes emotionales Moment. Die sichere Situation in Frage zu stellen nützt immer sehr viel. Je konkreter desto klarer. Wenn dir einer die Fresse einhaut und du am Boden liegend deine Vernichtungsgefühle spürst, das ist eine viel klarere Information als auf dem Sofa im TV das Grauen zum Obstsalat serviert zu bekommen. Direkte Dinge sind sehr viel heilbarer. Wenn ich mir ältere Photos anschaue sehe ich in den Gesichtern der Menschen andere Ausdrücke als heute. Im Moment sehe ich sehr satte und selbstgerechte Gesichter. Das darf sich ruhig ändern.
Du wirst dieser Tage Vater ...
Bin ich gerade geworden ...
... wann?
Vergangenen Samstag.
Wie vereinbarst du das Familiendasein mit deinem unsteten Berufsalltag, Tourneen, Studio ...?
Es stabilisiert mich. Im amerikanischen gibt es das Wort "survival value". Der Staat schickt seine Jungs in Krisengebiete und sucht dafür Leute aus, die Familie und Kinder haben, weil sie einen höheren Überlebenswillen haben. Wenn die in einer schlimmen Situation sind, wo andere einfach aufgeben, kämpfen sie weiter, weil sie zuhause gebraucht werden. Das stabilisiert. Meine Familie liefert mir eine stabile Basis, auf der ich irres Zeug machen kann.
Was wünschst du dir von deinem Publikum?
Ich erwarte, dass ich sie glücklich mache. Also eigentlich können sie eher etwas von mir erwarten. Ich liebe offene Menschen, die erkennen, dass sich jemand verändern und dabei eine nachvollziehbare Person bleiben kann. Da bin ich wieder am Anfang: Authentizität. Wer das in mir begreift und dadurch auch mein Werk begreift, gehört zu meinem Lieblingspublikum. Ich stehe nicht so sehr auf Leute, die irgendwann stehen geblieben sind und mir völlig zugedröhnt vorschwärmen, wie geil die alten Zeiten waren. Leute, die Offenheit demonstrieren, sind mein Lieblingspublikum.
Hellmut, vielen Dank für dieses ausführliche Interview.
Wann erscheint denn das Interview? Noch vor der Tour?
Das reicht wahrscheinlich nicht mehr.
Wäre aber schön. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als einen Anspruch an ein Publikum zu haben, das gar nicht da ist. (lacht)
Das Interview führte Kai Kopp
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