24. Februar 2020

"Deutsche sind die besseren Fans von US-Musik"

Interview geführt von

Hits wie "Heart And Soul", "Stuck With You", "Hip To Be Square", die "Ghostbusters"-Vorlage "I Want A New Drug", "The Heart Of Rock'n'Roll (Is Still Beating)" und "Some Kind Of Wonderful" prägten den Radiosound der 80er in Deutschland im damals neu aufkommenden Pop-Radio der ARD-Servicewellen.

Wo Verkehrsmeldungen auf die Autobahnen funkten, war meist auch der smarte New Yorker Huey Lewis mit dem einprägsamen Bandnamen Huey Lewis & The News schnell zur Stelle. Seine Musikvideos erzählen von Flirts, Romanzen und dem leichten Leben zwischen Yachten und Strand-Parties in Hueys damaliger Wahlheimat San Francisco. "The Power Of Love" gehörte zum berühmten Sci-Fi-Film "Zurück In Die Zukunft". Sechs Alben formen eine immense Erfolgsserie. Nach Verkäufen mit bis zu 10 Millionen Exemplaren pro Album ist dann jedoch die Luft raus. Das Film-Duett "Cruisin'" beschert dem Popsänger im Alter von 51 Jahren noch einen Erfolg an der Seite von Gwyneth Paltrow. Es krümeln noch zwei sehr gut gemachte Studioalben nach, 2002 und 2010.

Huey wendet sich der Schauspielerei und dem Synchronsprechen in Film und Fernsehen zu. Die hochkarätigen Musiker von The News stehen zwar auch in den Startlöchern für eine Tournee, doch Huey Lewis muss die letzte geplante Tour 2018 canceln. Er hört nicht mehr gut - was wohl zu den qualvollsten Dingen gehört, die einem Komponisten, Sänger, Mundharmonikaspieler und Musikliebhaber passieren können.

Für "Weather", sein zehntes Album (2020), kämpfte er dennoch. Anlässlich dieser CD kommt er nach Berlin. Wie erwartet, verkörpert er bescheidene Coolness, ein sehr netter 'Typ von Nebenan'. Der Soul-Hardrock-Fusionierer, dem Pop, Blues und Funk zugewandt und ein großer Jazz-Fan, schaut zurück auf sein ereignisreiches Leben. Ein großer Teller Plätzchen tröstet darüber hinweg, dass wir bei Aussicht aus dem 5. Stock nur windigen Nieselregen sehen. Huey möchte gerne entkoffeinierten Kaffee zu den Plätzchen - gibt's leider nicht.

Hat dir dein Arzt wegen deines Tinnitus angeordnet, kein Koffein zu konsumieren?

Ja. Also, Koffein verengt unsere Blutgefäße macht mehrmals eine Drehbewegung mit beiden Händen, um zu zeigen, wie die Blutgefäße gequetscht werden. Ich nehme 20 Tabletten am Morgen, 16 am Abend, ich habe alle Präparate probiert, ich war im House Ear Institute, habe Hilfe an der Uniklinik von Stanford gesucht, war in der Male Clinic, war in den Unikliniken von San Francisco und der Harvard Medical School. Ich habe Chiropraktik probiert, falls es vom Rücken her kommt. Ich habe es mit Akupunktur versucht, mit salzarmer Ernährung - alles Bio. Kein Kaffee, keine Schokolade. Ich war beim Osteopathen zur Cranio-Sakral-Therapie, dann hatte ich ätherische Öle ... nichts schlägt an.

Jetzt habe ich eine neue Verordnung, das ist eine Idee aus der Genetik. Denn wenn du älter wirst, wirken dein Blutkreislauf und deine Muskeln nicht mehr sehr gut zusammen. Man kann das an Schürfwunden beobachten: Bei einem Kind heilen sie schnell; wenn du älter wirst, dauert das länger. Weil Blut und Muskeln nicht schnell genug miteinander kommunizieren. Als Folge verlieren wir auch an Sehvermögen, Gedächtnisleistung, Muskelspannung, und hören schlechter.

Wenn wir jetzt die genetische Struktur "konservieren", beugen wir dem vor. Mit einem Koenzym, das die Alterung blockiert, NAD. Wenn wir jetzt die Wirkung dieses Gens ankurbeln, mit Sirtuinen und Veratrol und anderen kleinen genetischen Dingen (Anm. d. Red.: Sirtuine: bestimmte Eiweiß-Enzyme, Veratrol: Flüssigkeit, die chemische Reaktionen vereinfacht), dann kehrt das den Alterungsprozess vielleicht um. Das regt den Stoffwechsel an, verbessert die Zusammenarbeit von Blutkreislauf und Muskeln, stell dir das mal vor.

Bei Mäusen klappt das unglaublich gut klappt. Sie haben eine groß angelegte Studie mit Mäusen gemacht. Und die Mäuse, die dieses Zeug einnehmen, überragen die Leistung der anderen Mäuse auf einem Laufband haushoch. Je nach ihrer Stoffwechselleistung, um 40 bis 80 Prozent. Aber für Menschen weiß man noch nicht, wie das geht. Aber ich bleibe da dran, und probiere auch das aus.

Dann sind wir automatisch beim Opener deines neuen Albums: "While We're Young" – darin sagst du 'Das Leben ist kurz, also lass uns den größtmöglichen Vorteil daraus ziehen'. Ist das ein Gedanke, den du hattest, als du 20, 30 Jahre jung warst? Oder ist das etwas, was du jetzt weißt?

Ja, exakt, das ist ein Song, der aus dem Blickwinkel von jemandem geschrieben ist, der nicht so jung ist. Aber: Er ist auch nicht so wirklich alt.

Jung im Kopf?

So ist es.

Im Song "Remind Me Why I Love You Again" redest du über den Haushalt: 'Du kochst nicht, machst nicht sauber, kannst nicht mal eine Waschmaschine bedienen, dein Essen ist zu scharf, kann ich nicht aushalten', und auch über verschiedene Musikgeschmäcker, 'du stehst auf Country-Musik, ich auf Rhythm & Blues, wir haben überhaupt nichts gemeinsam, erinnere mich nochmal, warum ich dich trotzdem liebe.' Der Text ist sehr plastisch, da kann man sich die Szene super vorstellen, und der Sound klingt sehr funky. Es gab schon mal so eine Art Funk-Tune von euch, "I Want A New Drug"... Was hat dich zu Text und Musik hier inspiriert?

Wir mögen es funky. Ja, "I Want A New Drug" hatte auch dieses Funkige, stimmt. Nun, textlich: Jeder der mit jemandem zusammen ist, wie sehr du jemanden auch liebst und du mit ihm Zeit verbringst: An einem bestimmten Punkt machen die Partner*innen etwas, was dich rasend macht. So nach dem Motto: 'Oh Mann, wie kommst du denn auf den Blödsinn jetzt?' Eigentlich eine kleine Sache. Aber ich hab diese kleine Beobachtung genommen und in dem Song aufgeblasen. Da mokiere ich mich sarkastisch. Mit dem Song hatten wir eine Menge Spaß.

Wann hast du den Song geschrieben? Es brauchte geraume Zeit, bis "Weather" erschien.

Stimmt. Ursprünglich schrieb ich es mit Chris Hayes, meinem ehemaligen Gitarristen. (Anm. d. Red.: bis 2001 in der Band) Aber wir hatten verschiedene Empfindungen dabei, und dann schlug James Harrah, unser Gitarrist, ein anderes Grund-Feeling für den Song vor. Und unser Drummer Bill Gibson hatte dann eine Idee. Dann haben wir alle diese Ideen zusammen genommen, und Johnny (Anm. d. Red.: Johnny Colla spielt Saxophon für The News) machte dann ein Arrangement daraus. Es war eine wirkliche Teamarbeit.

Und mit Chris Hayes bist du immer noch in Kontakt?

Mit den Jungs? Ja, absolut.

Aber ihr könnt nicht auftreten?

Meine Hörleistung fluktuiert, sie ist sehr schwankend. Bis jetzt ist sie noch nicht gut genug. Manchmal schwankt es zum Besseren, und dann denke ich, oh es geht wieder ziemlich gut, und dann denke ich, oh ich kann wahrscheinlich singen. Aber ich war nie wieder in der Lage, diesen Zustand ausreichend lange zu halten um überhaupt eine Tour zu versuchen.

Das heißt, du kannst keine Auftritte planen?

Ja, das ist das Problem. Wenn ich sage, 'oh, ich fühl mich heute gut, ich kann hören, lasst es uns versuchen', dann: lebt mein Keyboardplayer aber in Minneapolis, mein Bassist in Los Angeles, also schwierig da nach der Tagesform zu entscheiden und alle für Tag 'X' zusammen zu trommeln. Ich versuche zu Tapes zu singen und am Computer, und darin bin ich dann auch gut. Nur: In einer Band, mit lauten Boxen, zu spielen, ist nochmal eine ganz, ganz andere Sache.

Große Teile eurer Bandgeschichte habt ihr in San Francisco verbracht. Lebst du denn noch in San Francisco?

Nein, nein ich bin nach Montana gezogen. Da gibt's mehr Käse, weniger Ratten. (lacht) Nein, im Ernst: Ich liebe Mutter Natur, ich mag es draußen an der frischen Luft zu sein, ich bin Fliegenfischer, und Montana ist ein wunderbarer Ort. Wenn du Angeln willst oder draußen was unternehmen willst. Und wenn du Tiere mehr magst als Menschen, ist Montana deine Location.

Diese "Bay Area" um San Francisco, wo ihr in den 80ern wart, gilt ja auch als Sammelbecken für viele kreative Köpfe. Musiker, die sich gegenseitig beeinflusst haben, weil sie einander trafen. Du hast ja zum Beispiel mit Bruce Hornsby & The Range gespielt. Bei eurer Musik aus dieser Gegend aus dieser Zeit ist es gar nicht so einfach zu definieren, ob das nun Soul oder Rock ist oder was es für eine Art Stil es ist ...

Ich muss da zustimmen! Unser Zeug verteilt sich quer über die Landkarte. Und ich kalkuliere das auch nicht so. Die Plattenfirmen waren immer besorgt, weil sich unser Material nicht einordnen ließ und so vielseitig war. Sogar unser meistverkauftes Album "Sports" hatte diese Vielfalt. Also ich denke da gar nicht darüber nach. Meine Songs kommen mir eben in den Sinn, und ich mag all diese verschiedenen Stile von Musik. There you go. Was interessant ist, dass auf dieser neue Platte "Weather" die Rezensionen einhellig in die Richtung gingen: 'Oh, es ist klassisch Huey Lewis & The News.' Naja - (lacht), aber was ist denn klassisch Huey Lewis & The News? Alle sind sich einig, aber was macht denn einen Song dazu, dass er ein Huey Lewis & The News-Song ist? Da habe ich keine Idee!

Phil Lynott war der beste Hardrocker und großzügigste Typ auf dem Planeten

Du meinst, da gibt es kein Rezept, wo ihr sagt: 'Hey, diese Zutaten müssen wir reinnehmen und entsprechend planen, hier mehr Saxophon, hier mehr Keyboard, mehr dies, mehr jenes'?

Ehrlich gesagt, was ich hauptsächlich mache, geht so los: Der Song ist ein Geschenk. Okay? Der Song kommt zu dir, er ist eine Eingebung, eine Idee. Er kommt von einer Muse. Vermute ich. Also, ich weiß es ja nicht, woher Songideen her stammen... (schnippt mit dem Finger) Wenn du eine Idee hast, musst du auf sie hören. Die Idee erzählt dir, das heißt der Song selbst erzählt dir, wie er produziert werden will. Ob er Bläser will oder eine Pedal Steel-Gitarre oder was immer er haben will. Ob er eine Bridge-Passage drin haben möchte, oder was auch immer... Ich versuche einfach, dem Song zuzuhören.

Nutzt du Streaming-Dienste?

Nein, ich kann keine Musik hören. Ich hab seit zwei Jahren keine Musik mehr angehört. Musik zerfällt oder verzerrt sich für mich. Da bekomme ich zwar Resonanz mit. Doch selbst wenn ich höre, 'oh, da ereignet sich gerade etwas', dann ist es nur Chrrrrrrrrrrrrrrrrrrr, einfach Lärm für mich. Musik ist noch schwerer für mich zu hören, noch hundert Mal schwieriger zu verstehen, als Sprechen. Eine bestimmte Note (klopft auf den Tisch), bäääääng, kann in allen Frequenzen vorkommen, Harmonien, Obertönen, Untertönen, und sie prallt dann in allen Frequenzen auf mich, und das überfrachtet meine Ohren völlig. Also ich kann Sprache ein bisschen hören - aber Musik ist leider unmöglich.

Du hast auch mit Thin Lizzy gearbeitet, und mit Phil Lynott. Das war ja ground-breaking Rock'n'Roll und Hardrock.

Ja, das ist echte Rockmusik! Hardrock-Musik. Und Philip Lynott war der beste Hardrock-Performer, den ich je gesehen habe. Er war ein wirklich guter Freund. Er fehlt mir immer noch. Ja, das war so: Bevor ich bei Phonogram Records in Großbritannien einen Vertrag bekam, da war ich in einer Band namens Clover, und da tourten wir als Vorgruppe mit Thin Lizzy. Schon unsere erste Show ging schief, wir bekamen da keinen Soundcheck. So machten die das damals, die Briten, das verstand man eben unter 'tough'.

Aber gut, nachdem die halbe Tour absolviert war, hatten sie ein Einsehen, und wir bekamen einen Soundcheck. Unsere erste Show war in Oxford, also als namenloser 'Support': The Thin Lizzy plus Support, stand auf den Plakaten (lacht). So, nun ist der Vorhang zu, es ist unsere erste Show, und wir haben gerade noch unsere Verstärker rechtzeitig zum Set installiert und die Gitarren gestimmt und räumten noch das Schlagzeug an die richtige Stelle - ich kämpfe noch damit mein Mikrofon zum Laufen zu kriegen. Der Vorhang ist noch unten und draußen aus dem Saal hörst du Sprechchöre und Stampfen und alle brüllten (macht es vor) Bam Bam Bababam Lizzy! Krrrr Krrrr Krrrkrr krrrkrrr Lizzy!

Und während das da so am Laufen war, hatten wir erst mal keine Chance, das Publikum für uns zu gewinnen, da war auch kein Ansager um uns einzuführen. Uns kannte keiner, die "Lizzy"-Rufe rissen nicht ab. Amüsanterweise hatten wir einen Roadmanager, zu dem wir meinten, komm, Frank, geh raus und kündige uns an.

Frank machte das, trat vor die aufgewühlte Menge, und sagte "Hey everybody, Thin Lizzy kommen gleich raus." Die Leute johlten vor Freude, dann sagte er: "Aber zuerst gibt's: Clover!" und dann flogen Sachen, es gab Buhrufe, Unruhe brach aus, der ganze Saal war in Aufregung.

Irgendwie haben wir uns durch das Set gemogelt, haben sogar die meisten Songs untergebracht, und als ich dann von der Bühne runterkam, wartete an der Ecke von der Bühne ein Typ, ja, das war Philip. Und Philip meinte, hey können wir 'ne Minute reden, auf ein Wort? Klar, sagte ich.

Also, sagte er, komm mal mit, nahm mich mit in seine Umkleide, platzierte mich da, und dann beginnt er zu erklären, über sein Publikum, mein Set und die einzelnen Songs und fängt an mich quasi zu coachen, mein Mentor zu sein. Spontan vom Fleck weg.

Naja, und dann blieb das über die Tour so, sie luden mich ein mit ihnen die ganze Nacht zu jammen. Dann hab ich für einige Zeit mit denen zusammengelebt, hab sie auch besucht, wenn ich gelegentlich nach London kam. Er stattete mich auch mit Klamotten aus seinem Kleiderschrank aus, und er war der freigiebigste, großzügigste Typ auf dem Planeten. Ich spielte dann auf all seinen Soloplatten. Niemand kam auf der Bühne an seine Leistung ran.

Robert "Mutt" Lange produzierte erst AC/DC und dann dich, das zweite Huey & The News -Album.

Ohja, "Back In Black" hat der produziert. Aber mich zuerst, mit Clover. Also er hat die Clover-Platten gemacht, die sind aber gefloppt. Das einzige, was er je gemacht hat, was kein Hit wurde, waren meine Aufnahmen mit Clover (lacht). Er ist immer noch ein sehr guter Freund für mich, wir reden ab und zu. Er lebt in der Schweiz, macht da sein Ding, und er ist ein guter Freund und offenkundig ein brillanter Plattenproduzent.

Wie hast du die Zusammenarbeit in Erinnerung?

Mutt hat 90 Prozent der Sachen geschrieben, von der Musik, und ich hab alles umgeschrieben. Ich wiederum habe die Texte verfasst, die hat er dann umgeschrieben.

Kommen wir vom Hardrock zum Bluesrock. Weißt du, dass wir in Deutschland eine lebendige Bluesrock-Szene haben?

Ihr mögt Bluesmusik hier? Ja, das war mir schon lange klar. Denn ich habe eine ganze Schar an Musikerfreunden, die Blues lieben und nach Deutschland gegangen sind und hier blieben. Hier gibt es den Raum für wirklichen Rhythm & Blues-Stuff. Da besteht schon lange mehr Wertschätzung für sowas. Also lass uns dem ins Auge sehen: Die deutschen Fans sind bessere Fans für authentische amerikanische Musik, als es Leute in Amerika sind. Das war schon immer der Fall.

Es gibt großartige amerikanische Jazzinstrumentalisten, die setzten nach Europa über. Denn Amerika hat da ein sehr kurzes Gedächtnis. Der zweite Grund ist, wir sind verrückt nach Fernsehen. Und verrückt nach Berühmtheiten. Manchmal ist die beste Musik nicht diejenige, die am besten ausschaut (lacht).

Ich trampte '68 als Typ aus San Francisco durch Europa

Du bist auch als erstes nach Europa gegangen, um Musik zu machen, und von dort aus sogar nach Marokko, dort hast du in Marrakesch gelebt. Als Straßenmusiker, mit deiner Mundharmonika.

Ja, das war zwischen College und Highschool. Mein Vater sah das so für mich vor, er bestand darauf, dass ich ein Jahr Auszeit nehme, des Lerneffekts wegen - anderenfalls würde ich nichts dazulernen. Also war ich ein Jahr lang in Europa als Straßenmusikant unterwegs. Damals war so ein Umherziehen üblich: Das machten viele, dass sie trampten, herumwanderten und mal was komplett anderes erlebten. Echt viele taten das in unserem Jahrgang, viele Student*innen.

Also hast du dann ne Menge Leute aus verschiedensten Nationen getroffen?

Ja, genau, exakt, wirklich viele verschiedenartige Leute. Also ich machte das wirklich sehr typisch für die damaligen Verhältnisse. Ich startete in London. Dann nahm ich die Fähre nach Frankreich, trampte über das ganze Festland von Frankreich nach Spanien, den ganzen Weg, weiter nach Marokko, Marrakesch, hangelte mich da für drei Monate durch, spielte Mundharmonika auf dem Marktplatz, rechts von mir ein Schlangenbeschwörer, links von mir ein Einrad-Akrobat. Als ich dann ausreisen und wieder nach Spanien wollte, verlor ich meinen Reisepass. Das war eine wirklich witzige Sache - so konnte ich nicht über die Grenze nach Portugal.

Ich musste nach Sevilla zurück, ins Baskenland, weil dort eine US-Botschaft war, und ich musste 20 Dollar auftreiben. Diese 20 Dollar wollten sie als Gebühr, um den Ersatz-Pass auszustellen. Dort wiederum hab ich dann diese Kids getroffen, Kunststudent*innen. Sie freundeten sich mit mir an, fanden heraus, dass ich aus San Francisco stammte. Ja, und es war 1968, hey. Da explodierte San Francisco. Klar, da wollten sie alles drüber wissen, und ich wusste alles. Über Grateful Dead und so fort, ich kannte ja alle diese Leute, ich wusste über The Grateful Dead Bescheid, und ich erzählte diesen spanischen Kunst-Leuten von meinem Dilemma, und dann meinten sie: 'Wir schmeißen ein Konzert für dich, damit du das Geld zusammen bekommst'. Sie stellten wirklich ein Konzert auf die Beine. Und sie machten Werbung mit meinem Namen, 'Huey Lewis Con Los Blues'.

Es war eine ganz bezaubernde Kampagne, die sie da lancierten. Die Location war unheimlich laut, für, ich meine, es waren 1.200 Leute und ich hatte ja noch nie für so viele gespielt. Also war ich nervös. Braucht man denk ich nicht betonen, warum. Also alles was ich bis dato getan hatte, war Straßenmusik, so für mich selbst.

Die Opening Band war eine Gruppe namens Nuevos Tiempos, die 'Neuen Zeiten'. Die waren markerschütternd (lacht). Sie waren wirklich wahnsinnig gut, hatten eine Choreographie, einen Bläsersektion mit zehn Leuten, ausgewählte Klamotten, und ich sah das und dachte, boah, ich werde sterben danach. Bei mir war's ja dann nur ich allein mit einem Gitarristen.

Die andere Gruppe hörte auf, wir waren dran, und wir hatten eine wirklich mini-kleine Bühne, die mitten in den Zuschauerbereich hineinragte.

Folgende Szene: Wir gehen raus, man kündigt uns an, Beifall, der Applaus beruhigt sich, und dann war es 'pin drop quiet' - absolut still. Definitiv nichts zu hören. Und ich dachte, oh oh, (lacht), das ist nicht gut ... Wir fingen an zu spielen, und während wir spielten, war es so still, es hat mir Angst gemacht, da habe ich einen enormen Druck verspürt. 'Mann, wir floppen hier total, wir werden total untergehen', hatte ich das Gefühl. Dann beendete ich noch einen Song, es gab eine kleine Atempause, und dann: Tumultartiger Applaus!

In dem Moment ertönte förmlich ein kleines Glöckchen über meinem Kopf, und ich spürte: 'Das ist das, was ich im Leben tun will.'

Welche Songs hast du zu der Zeit gespielt?

Oh, Lightnin' Hopkins, manche Muddy Waters-Tunes, welche von Sonny Terry (Anm. d. Red.: US-Mundharmonika-Legende), also wir arbeiteten uns durch etwa zehn Songs. Was für ein Spaß das damals war.

Du hast einen Haufen Liebessongs gemacht im Lauf der Jahrzehnte. Dabei ist es so: Der Mann hat den ersten Schritt zu machen. Da gab es Songs wie "Give Me The Keys And I'll Drive You Home", "Doing It All For My Baby", nun auf der neuen Platte "Pretty Girls Everywhere". Das passt ja eigentlich gar nicht zu unserer feministischen Ära, oder? Hat sich da die Rolle als männlicher Liebessongschreiber verändert?

Ja, ich denke durchaus, dass sich die Rolle verändert hat. Hat sie! Das wurde auch Zeit und ist wahrscheinlich eine gute Entwicklung. "Pretty Girls Everywhere" ist aber kein moderner Song. Der stammt von Eugene Church, ich habe an dem Text nichts verändert. Das ist ein wirklich alter Song. (Anm. d. Red.: von 1958. The Walker Brothers coverten ihn, und auch die Muddy Waters Band mit Eric Clapton) Der Titel ist auch 'oldschool'. Wenn es das ist, wovon du sprichst, das war damals natürlich noch anders.

Also ich hab den Song so kennen gelernt: Den hatten wir 1986 schon auf unserer Tour mit den Neville Brothers. Sie supporteten unsere Tour. Zu denen entwickelten wir ein gutes Verhältnis. Aaron Neville, der Leadsänger, ist ziemlich schwierig zu verstehen, denn er kommt aus New Orleans und spricht mit dem dortigen Akzent. Und er sagte vier Mal zu mir: 'Huey, ich ha'-hier-'nen-Tune, "Pretty Goil", von Eugene Choich". Den musst du spielen, der ist genau auf deiner Linie.' Und ich meinte, 'hm, whatever, keine Ahnung, vielleicht kenn' ich ihn', und er redete weiter, 'den muss ich dir schicken'.

Und tatsächlich: Nach der Tour kam mit der Post eine Seven Inch-Vinyl von Aaron Neville, mit diesem Song von Eugene Church. Damit konnte ich zu der Zeit nichts anfangen, wir waren in den Achtzigern. Also hab ich die Platte einfach irgendwohin weggeräumt. Und 2017 fand ich sie wieder. Da sagte ich, 'wow', legte sie auf, (schnippst), 'das ist ein guter Song für uns!'

Wenn du auf eine einsame Insel gehen würdest und nur ganz wenig Gepäck mitnehmen dürftest, welche sieben Platten würdest du auswählen?

Sieben Alben? Also die erste wäre eine Louis Armstrong-Platte, die heißt "Satch Plays Fats", 1955, ein Quintett, Louis Armstrong spielt Musik von Fats Waller. Das ist überhaupt eine der besten Platten, die du je wirst hören können in der Geschichte. Armstrong auf der Höhe seiner spielerischen Leistung - fantastisch!

Dann die zweite wäre Ella Fitzgerald, "The Early Years", mit Chick Webb (Anm. d. Red.: Schlagzeuger der Schellack-Ära, der mit 34 starb). Chick Webbs Orchester war nicht nur eine der am besten arbeitenden Bands. Es war eine dunkelhäutige Band, und es war noch die Zeit der Schwarzweiß-Segregation, weit vor Integration in Amerika, und Ella war Sängerin für Chick Webbs Band.

Als Benny Goodman die Gruppe in New York entdeckte, wusste er, wie gut Chick Webb war. Aber 'schwarze' und 'weiße' Leute konnten damals nicht zusammen auf derselben Bühne erscheinen. Benny Goodman wusste ganz genau, wie gut Chick Webb war. So, in dem Bemühen, seinem Publikum diese komplett 'schwarze' Band vorzustellen, veranstaltete er einer Art Band-Wettbewerb in New York, bei dem die Bands nacheinander auftraten. Das war phänomenal. Erst kam das Chick Webb Orchestra, dann das Benny Goodman Orchestra. Das war erstmalig, dass eine 'schwarze' Band und eine 'weiße' Band in derselben Nacht auf derselben Bühne standen.

Chick Webbs Sängerin war Ella Fitzgerald, und diese große Platte heißt daher "Ella - The Early Years with Chick Webb", unglaublich.

So, hätten wir zwei Platten (lacht). Schallplatte Nummer Drei ist mein Favorit überhaupt, würde ich sagen, Frank Sinatra live "At The Sands", mit Count Basie, ist ein fantastisches Zeitdokument von 1966. Er spielt alle seine Hits. Die meisten waren Nelson Riddle-Arrangements. Aber Quincy Jones überarbeitete sie alle für die Basie-Band. Das bedeutete: Keine Streicher!

Rohrblätter covern die ganzen Streicher-Parts und das ist hinreißend. Sinatra ist in Topform und diese Band, by the way, spielte und spielte und spielte so dermaßen viele Shows live, dass sie "off the paper" war, wenn du verstehst, was ich meine - völlig unbeschreiblich. Sie waren eine eingeschworene Einheit. Ich sah die Band 1966, im Oak Mountain Amphitheatre, ohne Sinatra, mit der Basie Band. Und sie waren so unglaublich.

Nummer Vier: Da nehme ich ein Steely Dan Album, denn ich mag die Band sehr, ich könnte auch Fagens Platte ... ach, nee, ich nehme "Asa". Also ich denke einer ihrer besten Arbeiten, im Rückblick betrachtet.

Dann wähle ich eine Bruce Hornsby-Platte, weil er mein Freund ist. Ich nehme die erste, denn ich hab drei Songs davon produziert (lacht verschmitzt). Und ich nehme eine Little Walter-Platte, denn er war mein Mentor an der Mundharmonika. Da entscheide ich mich für die "Greatest Hits"-Platte mit "My Babe", "Roller Coaster", den ganzen Kram. (Anm. d. Red.: Little Walter gehörte zur Chicagoer Bluesszene und nahm kein Album auf, er starb mit 37)

Und dann, lass mich nachdenken ...

Vielleicht noch von einer Frau?

(Denkt nach) Sarah Vaughan! Ich liebe Sarah Vaughan, und ich nehme ihre Version von "Lush Life", dem Billy Strayhorn-Tune (Anm. d. Red.: Opener von Sarahs Album-Klassiker "Sassy" von 1956). Das war immer mein liebster Song von Sarah. Gut? Hey, das Interview hat gar kein bisschen weh getan!

Ja, weil ich dich jetzt nicht nach der "Ghostbusters"-Plagiats-Story frage.

Oh, darüber kann ich nicht reden. Ich wurde verklagt, als ich das letzte Mal versucht habe, die Story zu erzählen. Aber ich kann dir das erzählen, wenn das Aufnahmegerät abgeschaltet ist. Denn es ist eine faszinierende Story.

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