laut.de-Kritik
Willkommen im Delay-Himmel.
Review von Manuel BergerRussian Circles liefern im August ihre sechste Scheibe ab. Und "The Glowing Man" von Swans muss erstmal durch die Hirnwindungen dringen. Deshalb sollte man mit Prognosen für das Post-Album des Jahres noch ein wenig vorsichtig sein. Anwärter auf den Titel oder wenigstens einen Treppchenplatz sind aber auch If These Trees Could Talk.
Die Band, deren Name das Hipster-Instrumental-Post-Klischee in etwa so schön erfüllt wie God Is An Astronaut, dürfte mit dem dritten Longplayer keinen Sympathisanten des Genres enttäuschen. Okay, einige Hörer schaffen es anscheinend nicht, das Album zu Ende zu hören. Dem Facebook-Feed der Band nach zu urteilen liegt das aber eher an zu grandioser Qualität: "I'm trying real hard to finish the album but I can't stop listening to 'The Giving Tree'!" Welche Band freut sich nicht über solche Probleme?
Besagter Track übt schon eine gewisse Faszination aus. "Unser Leadgitarrist hat ein Händchen für Gitarrenmelodien im Verbund mit Grooves", zitiert der Pressetext einen der insgesamt drei Gitarreros, Mike Socrates. "The Giving Tree" ist der perfekte Beleg dafür. Schon nach den ersten Sekunden der feinen, aus nur wenigen Noten bestehenden Melodie beginnt der Kopf hypnotisiert mitzunicken. Der Bass bildet das rhythmische Fundament, die beiden anderen Gitarren liefern Zusatzharmonien. Zack Kelly am Schlagzeug stößt erst nach anderthalb Minuten hinzu, um den Kopfnicker zu komplettieren. Via Tremolosalven und Distortion verhelfen die Musiker dem Song zu stetem Spannungsaufbau.
Wer allerdings von der Repeat-Taste nicht loskommt, verpasst das spritzige "Berlin" und "One Sky Above Us". Letzteres besticht vor allem durch sein Tom-Interlude und natürlich das daran anschließende Grande Finale. Spätestens dann sollte man wirklich die Repeat-Taste betätigen. Denn es wäre wirklich schade, die aufgebaute Atmosphäre einfach verfliegen zu lassen. Also nochmal mit "Solstice" die Zeit auf Stop schalten.
Mein persönlicher Repeat-Favorit ist "Iron Glacier". Mit über acht Minuten das längste Stück des Albums, kriecht der Gletscher recht heavy und düster daher. Zack legt sein ganzes Gewicht in die Drums, auch die Gitarristen gehen sehr energisch mit ihren Instrumenten um. Umso befreiender wirkt der Kontrast, wenn zwischendurch federleichte Melodien abheben. In der Komposition stecken gewissermaßen gleich zwei Songs. Denn pünktlich zur Halbzeit reanimiert die Band das Intro und startet von dort aus einen neuen Aufbau, dreht das zuvor gebotene Szenario quasi um — diesmal herrscht zunächst trügerische Ruhe, zum Schluss kracht's dagegen noch einmal so richtig.
Als Arrangement-Highlight ist jedoch "Earth Crawler" zu preisen. Eine feine, verzahnte Delay-Melodie brechen If These Trees Could Talk wiederholt mittels Distortion-Attacken auf. Und um noch einmal auf Socrates' Zitat zurückzukommen: Das allgegenwärtige Delay-Pedal sorgt stets für ein rhythmisches Element in jeder Melodie.
So gut die Herren damit allerdings auch umgehen — bisweilen verlassen sie sich doch ein wenig zu sehr auf ihre Effektwand. Nach nicht allzu langer Zeit hat man das Rezept verstanden und kann darin versinken, aber wünscht sich insgeheim doch auch ein wenig Abwechslung vom immergleichen Delay-Prozedere. Ja, Effekte sind was Schönes, aber leider verliert man dadurch manchmal den Blick für die Welt außerhalb von Tretern und Soundwänden.
Andererseits: If These Trees Could Talk ohne ihre Laufzeitverlängerung wäre in etwa dasselbe wie ein Baum ohne Äste. Irgendwie leer und sinnlos. Und wir wissen schließlich: Repeat ist in diesem Fall Gott. Also genießt es.
7 Kommentare mit 9 Antworten
Ganz exquisit.
Wirklich schön. Schade, dass die so unbekannt sind. Gefällt mir noch besser als "Red Forest".
Hatte ich noch nicht auf dem Schirm, klingt aber beim reinhören schon mal sehr gut!
Hört sich alles vielversprechend an. Was klassischen post-rock/metal angeht bin ich allerdings zu sehr durch 'the fire in our throats...' von Pelican verwöhnt... WAS mich dazu bringt: Pelican hat kein Künstlerprofil bei laut!? Ein Meilenstein für die o. genannte Scheibe wäre auch definitiv angebracht.
Ach, Meilenstein? Gute Band, gutes Album, aber man muss es ja nicht gleich übertreiben.
#TeamSantiago,
zumal (man möge mich korrigieren) Mogwai, GY!BE und Isis noch keinen Stein hatten und alle drei mE vorher einen verdient hätten, weil sie die Grundlage für ein "The fire in our throats..." überhaupt erst schufen..?
Die können auch gern vorher einen gekommen. Die 3 Wochen kann ich warten.
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@Santi: Hm, ich dachte, vielleicht hast du ja Recht - dann hab' ich aber nochmal Last Day of Winter gehört.
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Die Platte verliert für mich einfach nichts an Intensität und Originalität, auch nach x Durchgängen. Großes Songwriting, atmosphärisch, gutes Albumkonzept, einmaliges Schlagzeugspiel, geiler Gitarrensound, Gänsehaut.
*b
Wenn ein Meilenstein für Post Metal, dann als aller erstes Neurosis – Through Silver in Blood. Die Band hat immerhin schon das erste Post Metal Album rausgebracht, da waren viele der hier genannten Band noch nicht mal gegründet. Ich kann mich auch noch mit „Souls at Zero“ anfreunden, aber TSiB is halt schon der Monolith in der Diskographie.
Guter Einwurf! Dachte fälschlicherweise, Neurosis seien in einer meiner inaktiven Phasen bei laut.de schon bedacht worden, aber nein!
In dem Fall wäre es gemessen an internationalem kulturellen Impact wohl eher "Souls at Zero" als TSiB. Persönlich greife ich heutzutage im Neurosis-Fach am häufigsten zu *ducktsichhinterderBandeweg* "The eye of every storm".
TSiB is halt einfach auch mein persönlicher Favorit, schon das Titellied is der Wahnsinn. Aber ja, vom Einfluss her sollte es eigentlich SaZ sein. Oder wir einigen uns auf „Enemy of the Sun“ einigen, als Kompromiss
Mit „The Eye of every Storm” konnte ich mich nie wirklich anfreunden. Da fehlt mir einfach der letzte Funke.
danke für die bewertung. if these trees could talk sind echt ne sichere bank im post-rock. musikalisch und emotional etwas befreiter als der vorgänger, aber immer noch die mission vor augen: die menschen über die musik der natur näher bringen. und höre ich diese musik, so bilde ich mir immer wieder ein, es bestehe eine verbindung zur natur, allein auch aufgrund der iwi einzigartigen "verzweigtheit" der musik mit ihrem atmosphäre erzeugenden hall.
Find die Band zwar ziemlich cool, aber gerade diese Naturverbundenheit spür ich so gar nicht. Wenn die jetzt nen anderen Namen hätten, glaubst du, du würdest das dann auch noch so sehen? Ernst gemeinte Frage.
Naturverbundenheit hör / spür ich im Postrock eigentlich vor allem bei Sigur Rós. Und da macht der Gesang halt auch viel aus, der hier ja wegfällt.
berechtigte frage. natürlich erzeugt die band mit ihrem namen, den songtiteln, alben-konzepten, promo-fotos etc. ne ziemlich eindeutige identifikationsfläche. und meine phantasie wird daraus auch saftig gespeist. rein musikalisch sind da aber auch diese "verzweigtheit", die ich ansprach (kann das schwer beschreiben..), der hall, das münden von ruhigeren, aber unter stetiger spannung stehenden passagen in ausbrüche, die aber trotzdem immer (natürlich?) kontrolliert wirken, die abwesenheit von elektronischen spielereien etc. + der faktor x, den ich nicht benennen kann, der diese musik aber in meinen ohren so naturnah wirken lässt. all das erweckt in mir halt bilder von einer leidenden, aber sich behauptenden natur gegenüber dem menschlichen zerstörungspotential, verkappte romantik, aber wirksam. post-rock erkenne ich dann als gut an, wenn er individuelles kopfkino bei mir erzeugt und mich dabei tief berührt, und das ist bei if these trees could talk bei diesem album sowas von der fall.
davon abgesehen: sigur rós spielen aber in sachen musikalischer interpretation von natur in ner viel höheren liga, kein vergleich zu if these trees could talk natürlich.
"the giving tree" ist echt der über-song der platte.. geht allerdings noch in die verlängerung mit "berlin".