laut.de-Kritik

Je zu einem Ed Sheeran-Song geflennt?

Review von

Wenn Künstler*innen sattsam ausgenudelte Hits anderer Künstler*innen interpretieren, dann endet das, wir haben es gerade erst wieder gesehen, häufig in seelenlosem Kommerz-Müll. Es gehört allerlei dazu, um das Unterfangen "Cover-Album" überhaupt ansatzweise interessant erscheinen zu lassen. Herz, Seele und eine künstlerische Vision könnten enorm helfen.

Imany hat all das, und obendrein hat sie den denkbar passendsten Titel für das Ergebnis gefunden: "Voodoo Cello" trifft haargenau dem Kern dieser Platte. Wobei ... genau genommen, hätte es "Voodoo Celli" heißen müssen, Plural. Acht (!) dieser Instrumente kommen zum Einsatz, um Erfolgsnummern wie "I'm Still Standing", "Like A Prayer" oder "Wonderful Life" in neue, erfrischend ungewohnte Gewänder zu kleiden.

Produziert und arrangiert hat Imany diesen Streicherirrsinn selbst: Unter ihrer Regie spannen besagte acht Celli einen kompletten Klangkosmos auf. Sie tönen hier wie fließendes Wasser, da wie ein aufgescheuchter Insektenschwarm. Leichtfüßig hüpfen sie durch einen Song, kreischen im nächsten wie Sirenen, oder bohren sich mit langgezogenen, klagenden Tönen tief und tiefer ins Gemüt, während Finger auf hölzernen Korpussen einen Rhythmus dazu trommeln.

Egal, ob sich die Streicher dezent zurückhalten, oder ob sie sich (wie in "Les Voleurs D'Eau") zu pompösen, fast überwältigenden Passagen auftürmen: Der Fokus liegt stets auf Imanys dunkler, ausdrucksstarker, durch und durch berückender Gesangsstimme, die gleichermaßen im Soul, im Jazz und im Blues zu Hause ist.

Dass die Songs allesamt nicht aus ihrer eigenen Feder stammen, gerät von der ersten Sekunde an fast in Vergessenheit, derart inbrünstig von Herzen kommen die Zeilen, und so gut passen sie auch. Was einst Jacques Brel (wenn auch en Français in "Ne Me Quitte Pas") versprach, lässt sich im eröffnenden "If You Go Away" genau so gut als Verheißung für dieses Album verstehen: "But if you stay I'll make you a day like no day has been or will be again."

Ja, bleiben wir getrost noch ein bisschen. So nämlich haben wir "Believer" von Imagine Dragons oder "All The Things She Said" von TaTu noch nie gehört. Sollte man außerdem (warum auch immer) je das Bedürfnis verspüren, zu einem Ed Sheeran-Song hemmungslos flennen zu wollen: Man täte gut daran, ihn sich zu diesem Behufe von Imany vorsingen zu lassen.

Nicht nur die Übersetzung von Cat Stevens "Wild World" in ihre Muttersprache Komorisch zeigt Imanys intensive Auseinandersetzung mit den Texten. Diese Frau singt nicht einfach irgendwelche Songs, sie transportiert Botschaften ihr am Herzen liegen. Deswegen Sheerans Nummer über eine cracksüchtige, obdachlose Prostituierte ("The A Team"), deswegen Hoziers bittere Abrechnung mit der katholischen Kirche und ihrer verdrucksten Sexualmoral ("Take Me To Church"), deswegen Elton Johns unkaputtbare Selbstversicherung: "I'm Still Standing". Die Ballade "Little Black Angels", ein klares Statement gegen Rassismus und Diskriminierung, passt ebenfalls genau ins Bild.

Das wirklich, wirklich Tolle an diesem Album: Imany setzt sich nirgends ins gemachte Nest. Ohne abzukupfern findet sie Wege, um zu bewahren, was die ursprünglichen Fassungen besonders machte. "Total Eclipse Of The Heart" liefert hierfür das beste Beispiel: Wie Bonnie Tyler sich im Original ausweidet, wie sie beinahe um ihr Leben, auf jeden Fall aber um ihre Karriere singt ... niemand könnte das je kopieren, jeder derartige Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Imany probiert es deshalb gar nicht erst. Sie ersetzt Tylers nackte Verzweiflung mit klagendem Gesang. Für den latenten Irrsinn, der elementarer Bestandteil dieses Songs sein muss, sorgt stattdessen das völlig durchgeschossene Streicherarrangement.

Auch "Like A Prayer" entwickelt in Imanys getragener, überirdisch ruhiger Interpretation bislang ungekannte Melancholie. Es wirkt, als sei Madonnas Song endlich angekommen, "... and it feels like home": vermutlich das Höchste, das eine Coverversion erreichen kann.

Im Zusammenspiel entfalten Texte, Gesang und teils unvorhersehbar irrlichternde Celli durchaus beängstigende Magie. Obwohl jeder Song nach dem gleichen Muster funktioniert, nutzt sich der Zauber auf Albumlänge nur minimal ab. Jähe Ernüchterung stellt sich erst ein, als am Ende eine elektronisch aufgebrezelte Version von "Wonderful Life" noch schnell das einheitliche Bild zerschießt: eine seltsame Entscheidung, aber immerhin hilfreich, um sich wieder aus Imanys Bann zu befreien.

Trackliste

  1. 1. If You Go Away
  2. 2. Believer
  3. 3. Wonderful Life
  4. 4. I'm Still Standing
  5. 5. Les Voleurs D'Eau
  6. 6. All The Things She Said
  7. 7. The A Team
  8. 8. Like A Prayer
  9. 9. Take Me To Church
  10. 10. Total Eclipse Of The Heart
  11. 11. Little Black Angels
  12. 12. Wild World
  13. 13. Wonderful Life (Stream Jockey Rework)

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Sehr geehrte Laut.de Redaktion,

    ich habe diese Sängerin schon früher wahrgenommen, weil ihre Musik des öfteren bei meinen Radtouren nach Polen im Radio lief. Ich fahre seit dem Sommer 2009 jedes Jahr mit den Fahrrad nach Lodz, um meinen alten Studienkollegen Witslaw zu besuchen, der Young- und Oldtimer repariert und verkauft. Er ist wahnsinnig und plant jetzt, eine Karosserieanpassung eines 1975er Super Bee an die Chassis eines modernen Elektroautos, um so schrittweise einen Elektro-Dodge zu bauen. Er versucht es schon seit Jahren aber ein Auto so umzubauen ist höchst problematisch und kostspielig. Er bot mir an, einen Chevrolet SSR aus dem Jahre 2003 zu kaufen, allerdings habe ich mich schon so sehr an mein Rad gewöhnt, dass ich das schöne Automobil nicht wollte. Erstaunlich, wie man sich verändert. Ich kaufe dieses Album vielleicht meiner Frau.

    Es grüßt,
    Heinz Fischer