laut.de-Kritik
Schiffbruch mit Stil.
Review von Manuel BergerLive liefern In Extremo so zuverlässig ab wie kaum eine andere Band. Auf Platte sieht das leider anders aus. Über die Jahre schlichen sich so einige schwächere Releases in die Diskografie der Mittelalterrock-Pioniere. "Kompass Zur Sonne" gehört leider dazu und enttäuscht vor allem im direkten Vergleich mit dem starken Vorgänger "Quid Pro Quo".
Ungefähr die Hälfte der Songs verdient zwar das Prädikat "gut". Die Stücke bewegen sich dabei aber eher im qualitativen Mittelfeld der Banddiskografie. So zum Beispiel das Eröffnungsdoppel "Troja" und "Kompass Zur Sonne". Beide Tracks erzeugen sofort ein vertrautes Gefühl, verkörpern zu 100 Prozent die In Extremo der letzten Jahre: Metallischer Mittelalterrock, bei dem die Mittelalter-Instrumente mehr melodische Klangfarbe als tragende Säulen der Songs sind. Und das ist keineswegs negativ gemeint. Diesen Stil hat die Band perfektioniert und klingt dabei entsprechend souverän. Nur hat man das schon mit aufregenderen Leads und einfallsreicherem Text gehört. Sogar Haus-Maus-Reime sind kreativer als dreimal in vier Zeilen das Wörtchen "auf" zu bemühen: "Komm steig mit auf / Schläge nehmen wir in Kauf / Mit uns geht die Sonne auf / Rollen die Stadt von innen auf."
Ähnlich plump wirds bei "Lügenpack", wo Sänger Michael Rhein die Titelhelden "mit dem Dudelsack" jagt und schunkelt: "Lügen-, Lügen-, Lügenpack – wir schneiden euch die Zunge ab." Zugegeben, auf Konzerten mit tausenden Mitgrölern dürfte das hervorragend funktionieren. Ohne diesen Boost schlafen einem bei dem nach einfachstem Deutschrock-Schema aufgebauten Lied schnell die Füße ein. Ähnliche Spannungsprobleme findet man bei dem mit "Smooth Criminal"-Gedächtnisriff ausgestatteten, aber schnell auf Halbmast segelnden "Narrenschiff" und in der zynischen Weltuntergangsdisco "Saigon Und Bagdad". Letzteres leidet neben fehlender Abwechslung auch unter unausgegorenem Mix, bei dem die Sackpfeifen wie Fremdkörper wirken. Textlich erinnert "Saigon Und Bagdad" wegen seiner Anti-Kriegslyrik an "Lieb Vaterland, Magst Ruhig Sein" von "Quid Pro Quo", schlägt musikalisch aber in eine gänzlich andere Kerbe.
Ein monotoner Drumbeat peitscht das Stück in Richtung der tanzbaren Momente Rammsteins. Im Bonusteil bestätigen In Extremo den Eindruck mit einer Elektro-Version. "Du Riechst So Gut" lässt grüßen. Ganz ehrlich: So macht der Song wesentlich mehr Spaß! Positiv hervor sticht dafür "Gogiya". Zusammen mit Russkaja feiern In Extremo eine wilde Rockabilly-Polka mit rabiater Thrash-Kante. Der ungewöhnliche Refrain eckt erst an, zündet dafür nach einigen Durchläufen umso mehr. Und paradoxerweise kommen ausgerechnet in diesem härtesten Stück des Albums die Folk-Qualitäten der Band am besten zur Geltung. Ein episches Break macht's möglich. Gesondert erwähnt sei hier auch Drummer Specki T.D., der mit Gespür für Groove und Dynamik die vielen Wechsel hervorragend in Szene setzt. Auch albumübergreifend sticht sein Spiel immer wieder positiv hervor.
Das Feature mit Amon Amarths Johann Hegg gerät allerdings lange nicht so gut wie "Gogiya" – im Gegenteil. Gemeinsam vertonen sie das schwedische Volkslied "Vem kan segla förutan vind" neu als "Wer Kann Segeln Ohne Wind" und scheitern damit auf ganzer Linie. Uninspiriert klatschen die Spielmänner Distortion-Gitarre auf den traditionellen Harfen-Unterbau, Rhein singt müde sein Mantra, und Hegg versenkt das Boot mit unpassenden, matschigen Death-Growls endgültig.
Der nächste Schiffbruch folgt sogleich: Dass In Extremo eine Schwäche für Trinklieder haben, ist bekannt, gegen "Reiht Euch Ein Ihr Lumpen" wirkt das vor vier Jahren aus dem Stand zum Fan-Favorit aufgestiegene "Sternhagelvoll" aber geradezu feingeistig. Die Lumpen könnten sie auch in die Warteliste für Frei.Wilds nächstes Album einreihen.
Mit dem auf Latein vorgetragenen "Biersegen" – entgegen des Titels kein stumpfer Kneipengröler, sondern der mit Abstand beste "typische" In Extremo-Song des Albums – und dem aus einem Gedicht von Otto Ernst und der Melodie eines weiteren schwedischen Volksliedes zusammengesetzten "Wintermärchen" gelingen zum Schluss immerhin noch zwei weitere Ausrufezeichen. Mehr als einen durchwachsenen Eindruck hinterlässt das dreizehnte Album der gerade frisch 25 Jahre alt gewordenen Band jedoch nicht.
12 Kommentare mit 23 Antworten
https://youtu.be/D-x0KRfF_Is
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde entfernt.
Ja, das stimmt. Muss ich mal ausprobieren, guter Tipp. Danke, Nomansrap.
Vom Cover her vielmehr "Kompass zum Augenkrebs"
Ganz klar: Ungehört 1/5, braucht man auch nicht diskutieren. Das Cover reicht um zu erkennen, was für Müllmusik hinter ihm schlummert.
Ich weiß nicht, was MannIN hat. Die Platte drückt richtig.
Man vermutet, dass er als Kind mit einer Stromgitarre versohlt wurde. Oder Haare statt Spaghetti essen musste. Oder im Radio Genesis hören. Man weiß es nicht. Auf jeden Fall muss es grausam gewesen sein.
Was habt ihr denn? Geht doch in Ordnung... knappe 4 find' ich.
Ok... das Cover ist aber wirklich grausam.