laut.de-Kritik
Launig folkiger Spekulatius-Gig als Adventssoundtrack.
Review von Ulf KubankeAm 16.10. spielten In Extremo ihr erstes klassisches Unplugged-Konzert. Der vorliegende Gig ging als Live Radio-Show für Radio Fritz über den Äther. 14 Lieder lang spielte die Band sich akustisch durch fast das gesamte Sängerkrieg-Album. Außerdem gaben sie die vier Songs "Ave Maria", "Die Gier", "Vollmond" und "Küss Mich" zum Besten.
Wer nun glaubt, das sei alles ein alter Hut, da die Ostberliner bereits 1998 das Akustikopus "Die Verrückten Sind In Der Stadt" veröffentlichten, befindet sich auf dem Holzweg. Letzteres ist eine genretypisch rohe Gauklerparty. Dieses Konzert hingegen reflektiert erstmals die sensible, ruhige und intime Seite der Folkbarden.
Die Befreiung aus dem Stromgitarrenkorsett lässt den Songs endlich den notwendigen Raum, Luft zu holen und bringt die eigenen Stärken zur Entfaltung. Jenseits des Rockkontexts zeigt sich, welch virtuose Instrumentalisten und vielseitige Arrangeure die Mannen um Sänger Michael Rhein inzwischen sind. Das viel geschriebene Reduzieren In Extremos auf die tumbe Mittelalter-Cock-Rock Schublade ist lediglich ein dummes Klischee. Hier tischen die Gaukler dem Hörer ein facettenreiches Folk-Büffet auf.
"Die Gier" erhält ein introvertiertes Kleid aus getupften Singer-Songwriter-Farben. "Neues Glück" dreht irisch flötend auf, dass es den Pogues eine Freude wäre. "Esta Noche" kommt pianobrummend wie eine Tom Waits Ballade um die Ecke. Die sensiblen Arrangements erschaffen über die gesamte Spieldauer eine kerzenflammende Spekulatiusstimmung, die auch im Sommer an rotweinseligen Balkonabenden funktionieren wird.
Die Stimme Michael Rheins klingt inzwischen kaputter denn je. Ob man dieses raue Reibeisen mag, ist reine Geschmackssache. Der Gesang funktioniert getreu dem röhrend krächzenden Tom Waits/Shane Macgowan-Prinzip sehr gut. Bei den kraftvollen Songs wie "Frei Zu Sein", "Zauberspruch" oder "Vollmond" kann er sein trinkfest tönendes Organ ein wenig von der Leine lassen. In ruhigen Momenten wie "Ave Maria" und "Esta Noche" lässt er den Instrumenten genug Raum und begeht nicht den Fehler, die Musik mit unnötiger Dominanz zu erdrücken.
Zumindest in der ersten Auflage ist dem Auftritt noch ein Porträt beigefügt, das den Werdegang, die exotischen Musikwerkzeuge und die Persönlichkeiten In Extremos beleuchtet. Das Filmchen hätte man sich ein wenig ausführlicher gewünscht. Die Themenflut führt dazu, dass tiefgründige Aspekte der Bandgeschichte nur überschriftenartig angerissen werden. Insgesamt bekommt man hier jedoch viel Qualität geboten. Das Album ist sicherlich für Einsteiger ebenso geeignet, wie für langjährige Fans.
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