22. Juli 2011

"Ich höre unsere alten Alben nicht mehr"

Interview geführt von

Incubus-Sänger Brandon Boyd über 20 Jahre Incubus und den ungewohnt melancholischen und poppigen Sound des neuen Albums "If Not Now, When?".Incubus-Frontmann Brandon Boyd dieser Tage ans Telefon zu bekommen, ist durchaus ein schwieriges Unterfangen. Die Eröffnung des bandeigenen Pop-Up-Stores in Los Angeles hielt die Kalifornier in den letzten zwei Wochen vor Albumveröffentlichung ganz schön auf Trab. Unzählige Pressetermine und dann auch noch jeden Abend eine komplette Show für die Fans vor Ort. Doch was lange währt, wird endlich gut, auch wenn es letztendlich für gerade mal 15 Gesprächsminuten gereicht hat.

Seit der Veröffentlichung eures letzten Albums "Light Grenades" sind fünf Jahre vergangen. Wo habt ihr gesteckt?

Brandon: Es war damals für uns aus vielerlei Gründen eine absolute Notwendigkeit, der Band eine Pause zu gönnen. Wir waren einfach ausgelaugt. In den vergangenen zehn Jahren waren wir kontinuierlich auf Tour und haben permanent Alben veröffentlicht. Wir haben hart gearbeitet und es lief wirklich gut für uns. Doch nicht nur als Band, auch als Individuen hatten wir lange nicht die Chance, uns zu entspannen und das Leben an sich einfach nur zu genießen.

Warum war es gerade jetzt an der Zeit, mit Incubus wieder auf der Bildfläche zu erscheinen?

Als ich die Arbeiten an meinem Soloalbum beendet hatte, fühlte ich mich sehr inspiriert, wieder gemeinsam mit meinen Kollegen Musik zu machen. Das erste Mal auf mich allein gestellt zu sein, hat mir aufgezeigt, wie talentiert die Musiker meiner Band tatsächlich sind, wenn es darum geht, neue Ideen zu entwickeln. Michael hatte zur selben Zeit gerade sein zweites Jahr an der Universität hinter sich und war ebenfalls voller Tatendrang. Wahrscheinlich wollte er auch einfach seinen Hausaufgaben für einige Zeit entfliehen.

Du hast dein Soloalbum "The Wild Trapeze" angesprochen: Worin genau besteht für dich der Unterschied, ob du alleine an Songs oder gemeinsam mit deinen Bandkollegen arbeitest?

Da ich bisher noch nie an einem Soloalbum gearbeitet hatte, war es für mich eine Art Übung in Sachen Selbstständigkeit. Ich habe mich selbst immer zuerst als Songschreiber und Sänger gesehen, erst dann als Musiker an sich. Ich kann zwar einige Instrumente spielen, aber ich würde mich nie als professionellen Gitarristen, Pianisten oder Drummer bezeichnen. Das heißt nicht, dass ich es nicht liebe, diese Instrumente zu spielen, aber ich würde mich nie auf ein und dieselbe Stufe mit den Musikern meiner Band stellen.

Von daher war es eine sehr interessante Erfahrung für mich, an einem Soloalbum zu arbeiten, da ich hier meine eigenen musikalischen Ideen niedergeschrieben habe und nicht nur die Songs von Michael oder den anderen in der Band ergänzt habe. Ich vergleiche das gerne mit Architektur: Normalerweise bin ich dafür zuständig, durch meine Kreativität, das Grundgerüst des Hauses fertig zu stellen. Ergibt das einen Sinn?

Definitiv!

Gemeinsam mit Incubus arbeite ich immer an komplizierten Hochhauskonzepten, wohingegen mein Soloalbum mehr mit einem kleinen Zwei-Schlafzimmer-Haus zu vergleichen ist. Es ist zwar charmant und liebevoll gestaltet, doch es ist nicht mit Hunderten von Zimmern ausgestattet.

Es macht Spaß, allein auf mich gestellt Musik zu schreiben, doch es hat auch eindeutige Grenzen. Für mich als Künstler war es sehr wertvoll, meine eigenen Grenzen kennenzulernen und zu verstehen, wie grenzenlos das Arbeiten an Musik mit Incubus ist.

Bedeutet Grenzenlosigkeit im Fall von "If Not Now, When?" auch die aktive Suche nach einem neuen Sound?

Ich würde nicht sagen, dass wir aktiv auf der Suche waren, wir sind vielmehr kontinuierlich daran interessiert. Als Songschreiber hat man letztlich immer ein Interesse daran, den Entwicklungsprozess der eigenen Band ständig am Leben zu erhalten. Wir waren bisher mit vielen unserer Songs und der Art diese zu schreiben, sehr erfolgreich, daher ist es immer wieder eine Herausforderung, nicht das Offensichtliche zu tun.

Worin siehst du die Hauptunterschiede zwischen der Band von heute, und der, die 1991 gegründet wurde?

Die Jungs, die Incubus vor 20 Jahren gegründet haben, hatten nie im Kopf, eine Band zu werden, die weltweit Stadien füllt und mehrere Millionen Alben verkauft. Wir haben Musik vielmehr entdeckt und uns auf Konzerten von anderen Bands inspirieren lassen. Wir waren damals ja auch gerade mal 14 oder 15 Jahre alt. Für uns war das alles ein großer Spaß, der nirgends hinführen sollte. Eine Vision dahinter fehlte komplett. Das ist heute zwar anders, doch das Interessante daran ist, dass wir noch immer dieselben Jungs sind. Die Jungs, die einfach eine gute Zeit haben wollen.

Musikalisch habt ihr euch über die Jahre allerdings stark verändert. Assoziierte man Incubus früher mit funkigem Crossover, dominieren nun melancholische Popballaden.

Unsere Alben spiegeln immer unseren derzeitigen Standpunkt im Leben wieder. Für mich als Texter ist das Schreiben von Songs Teil des Prozesses, mich selbst zu entdecken. Zu verstehen, wer ich bin und wo ich in dieser Welt stehe. Das Potential, Kritik zu erhalten, sei sie positiv oder negativ, ist mit einem Album wie diesem natürlich sehr hoch. Doch auch wenn diese Gratwanderung oft recht schwierig ist, lernen wir durch Kritik viel über die Musik, für die wir uns zu dem jeweiligen Zeitpunkt entschieden haben.

Was geht dir in diesem Zusammenhang durch den Kopf, wenn du dir heute die ersten Alben von Incubus anhörst?

Ich höre diese Alben überhaupt nicht mehr. Sie gehören zu einem komplett anderen Abschnitt meines Lebens. Um ehrlich zu sein habe ich sogar eine recht komplizierte Beziehung zu ihnen, da ich damals überhaupt nicht wusste, wie man einen guten Song schreibt.

Noch dazu wusste ich nicht, wie man richtig singt. Ich konnte zwar den Ton halten, wusste allerdings nicht im Geringsten, was ich da überhaupt tue. Ich habe dann viel Zeit damit verbracht, mich als Sänger und Songschreiber weiterzuentwickeln. Unter diesem Gesichtspunkt finde ich unser neues Album wesentlich kreativer und musikalisch um einiges anspruchsvoller. Es hat mich als Sänger und auch als Musiker enorm gefordert.

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