30. November 2004

"Manche Mädchen sind eben semi-erotic"

Interview geführt von

Die New Yorker sind absolute Perfektionisten. Und ihnen liegt alles daran, möglichst cool zu sein (was man in ihrem Fall ruhig wörtlich übersetzen darf). Ob Sänger Paul Banks diese Feststellungen bestätigt?

Als ihr angefangen habt, euer zweites Album "Antics" zu schreiben, gab es da etwas, das ihr ändern wolltet?

Paul: Nein, als Band gab es nichts, das wir anders machen wollten. Wir sprechen nie darüber, wie unsere Songs klingen sollen, bevor wir sie schreiben. Wir beginnen einfach mit dem Schreiben. Wenn wir einen Song wirklich beenden können, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er auch auf der Platte landet. Wir überlegen uns nie, dass ein Song in eine bestimmte Richtung gehen soll. Wir beginnen einfach, ihn zu schreiben. Wir sagen nie: Das klingt ja gar nicht nach uns, oh, das ist ja eine Veränderung. Solche Gespräche führen wir nicht. Es geht einfach nur darum, ob der Song gut ist. Und wenn wir alle was zum Schreiben des Songs beitragen können, dann bleiben wir dran, arbeiten weiter an dem Stück, und irgendwann ist es fertig.

Ich als Individuum wollte versuchen, auf dem zweiten Album ein bisschen melodischere Vocals zu schreiben. Jeder wollte für sich besser werden, in dem, was er in der Band tut. Aber als Gruppe hatten wir kein Konzept, dass wir nun anders klingen werden.

Du sagtest gerade, dass ihr an einem Song einfach so lange arbeitet, bis er gut ist. Ich denke, eure Musik ist schon sehr perfekt. War diese Perfektion von Beginn an ein Konzept der Band? Wie wichtig ist Perfektion für eure Songs?

Das ist einfach, was am Schluss raus kommt. Und: ich habe die Band nicht gegründet, ich war erst der dritte, der dazu gekommen ist. Jede Gruppe, die zusammen arbeitet, muss einen Weg finden, wie sie ihre Songs schreibt. Und wir haben eben unseren Weg, wie wir Songs schreiben und fertig stellen. Wir haben ein paar Jahre gebraucht, um herauszuarbeiten, wie wir zusammen arbeiten können. Ich bin kein virtuoser Gitarrist, ich beherrsche kein Instrument perfekt. Wenn ich schreibe, mache ich das gerne spontan. Wenn ich das dann mal performe, möchte ich das nicht mehr gerne ändern. Das ist der Grad an Beständigkeit, den ich mag. Carlos ist als Komponist sehr unnachgiebig.

Das Gefühl, dass alles sehr architektonisch, sehr strikt und genau ist ... dieser Perfektionismus, über den du sprichst: Nur so können wir vier auf einer gemeinsamen Basis spielen. Wenn ich immer wieder etwas ändern würde, würde Carl mich fragen: 'Warum musst du da immer noch dran rum machen?' Wir müssen einen gemeinsamen Nenner finden.

Ist Perfektion also nur Ausdruck eines Kompromisses?

Nein! Kein Kompromiss. Das ist einfach nur passiert. So können wir zusammen Songs schreiben. Wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt. Es gibt so viele verschiedene Inputs in einen Song, da ist es schwer, ihn zusammen zu halten, ihn nicht auseinanderbrechen zu lassen. Das ist etwas anders, als bei anderen Bands. Eine andere Band hat meist eine Person, die den Song schreibt, die Stücke der Band in einer rohen Version vorsetzt und die anderen folgen dann einer Entwicklung. Wir schreiben nicht so. Bei uns ist jedes Element zusammen geschrieben. Es ist schwer, Songs zu schreiben, wenn niemand sagt: 'Mach mal, ist schon Ok so'. Bei uns sagt jeder eher: 'Aber, aber, aber ... was ist mit dem und dem?'. Der einzige Weg, wie wir also Songs abschließen können, ist dieses System, das wir uns über die Jahre angeeignet haben. Deshalb klingt unsere Musik auch wie unsere Musik! Das ist der einzige Weg, wie wir zusammen arbeiten können.

Und dann schreibst du deine Lyrics. Ich finde, sie sind zum Teil ganz schön absurd. Wie kommst du auf die Idee, zum Beispiel über 'semi-erotic girls' zu schreiben?

Manche Mädchen sind eben semi-erotic. Das ist nicht absurd.

Ok, aber die Ideen für deine Lyrics müssen ja trotzdem irgendwo her kommen.

Ich weiß es nicht, sie kommen einfach. Manchmal habe ich einfach eine Idee, die dann die Basis für die Lyrics wird. Die Lyrics entstehen fast immer, nachdem die Musik geschrieben ist. Manchmal gibt mir so die Musik das Konzept. Ich merke ja, wie die Musik mich fühlen lässt. Und das diktiert die Stimmung. Die Ideen kommen aus verschiedenen Richtungen. Ich denke, es ist auch ein bisschen absurd, aber nicht in einer Art, dass sie bedeutungslos sind. Zumindest haben sie für mich eine Bedeutung. Vielleicht sind sie manchmal ein wenig surreal. Manchmal. Ich arbeite sehr hart an den Lyrics. Das ist nie aus dem Ärmel geschüttelt. Ich denke nie: Ach, das klingt lustig, das schreib ich. Es ist nie so einfach!

Ist es dir schon passiert, dass du die Lyrics geschrieben hast und dann dachtest: Das passt absolut nicht zur Musik, ich muss das ändern!

Nein! Ich habe Melodien geschrieben, die ich noch mal ändern musste, weil sie nicht passten. Aber Lyrics, nein! Die kriege ich immer gut hin.

Sind euch eure Songtitel wichtig? Immerhin nennet ihr den ersten Song auf eurem Debüt "Untitled".

Im Fall von "Untitled" hat der Song den Namen, weil wir diesen Song als Intro geschrieben hatten. Wir spielen ihn auf jedem Konzert als ersten Song. Das war noch, bevor wir überhaupt einen Vertrag hatten. Ungefähr zwei Jahre lang spielten wir den Song zu Beginn jeder Show. Wir haben ihn so geschrieben, dass die Leute, die uns vorher noch nicht gehört hatten einen Einstieg hatten. Wir wollten nicht gleich einen Rock-Song spielen. Die Idee war, eine stimmungsvollen Anfang zu haben. Also spielten wir immer diesen langen, chilligen Song. Das sollte die Leute darauf vorbereiten, was sie gleich passiert. Es ist also eine Einleitung. Aber "Intro" ist ein noch schlimmerer Titel, als "Untitled". Der einzige Grund, warum wir diesen Song also "Untitled" nannten, war, dass wir nicht wollten, dass er "Intro" heißt.

Aber es gibt auch andere Stücke, deren Namen nichts mit dem Song zu tun haben. Wie "Public Pervert" keinen Bezug zum Inhalt des Songs hat. Als Titel hat es eine Bedeutung für mich, es war ein Teil einer Zeile, die ich Jahre zuvor geschrieben hatte. Ich wollte sie auf diesem Album haben. Aber irgendwie mochte ich diese Zeile als Ganzes nicht mehr, nur noch diesen kleinen Ausdruck. Als wir begannen, "Public Pervert" zu schreiben habe ich ihn einfach immer so genannt. Aber als ich die Lyrics schrieb hatten sie absolut nichts mit dem Song zu tun. Der Titel erzählt dir in diesem Fall also absolut nichts darüber, worum es sich in dem Song dreht. Andere Titel dagegen signalisieren dir den Inhalt des Songs. Aber das ist ein Fall, in dem es wirklich einfach nur absurd ist.

In euren Songs kommen oft Frauennamen vor. Sind damit spezielle Mädchen gemeint?

Nein, das sind nie Mädels, die ich kenne. Das ist mehr so, dass ich Mädchennamen mag. Also ... Ja, nein, aber die handeln nie von jemandem, den ich wirklich kenne. Es geht mehr um die Idee von einem Mädchen.

Mit dem künstlerischen Aspekt des Interpol-Space, mit eurem Artwork und eurem eher strengen und dabei coolen Outfit auf der Bühne ist es wohl eure Absicht, das Gesamtbild, das die Fans von euch haben, nachhaltig zu beeinflussen. Ist es euch also sehr wichtig, auch ein stimmiges Bild von euch als Band außerhalb der Musik darzustellen?

Nein, für mich persönlich ist das nicht sehr wichtig. Ich liebe es nicht gerade, Interviews zu geben. Ich brauche mich nicht außerhalb unserer Musik darzustellen. Aber als Band gibt es zwangsläufig verschiedene Seiten, die man betrachtet. Da gibt es eine optische Seite und es gibt die Werbung und so weiter. Wir nehmen das sehr ernst. Und wir versuchen, das alles cool zu machen. Alles, was mit der Band zu tun hat nehmen wir auch von einem Design-Standpunkt aus sehr ernst. Es ist nicht so, dass wir die anderen Dinge - abseits der Musik - tun wollen. Aber sie müssen einfach passieren. Du musst halt auch mal irgendwo auftauchen, und du musst ein Design für deine CD finden, Merchandise und solchen Shit machen. Also versuchen wir es so darzustellen, dass das in unsere Design-Ästhetik hineinpasst.

Es ist also wichtig für euch, dass der Hörer euch als kohärent wahrnimmt ...

Paul fällt mir ins Wort: Es ist wichtig für mich, dass das alles cool ist. Wenn wir das jemand anders machen lassen würden, könnte es nicht cool werden, denke ich.

Geschafft! Paul scheint erleichtert, dass das Interview gekürzt wurde und er so schnell aus der Sache Raus ist. Er verabschiedet uns freundlich, aber bestimmt, während Bassist Carlos schon für das nächste Interview den Raum betritt.

Das Interview führten Vicky Butscher und Philipp Schiedel.

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