laut.de-Kritik

Die Essenz von Deep House.

Review von

Heißt man nicht gerade DJ Koze oder Nicolas Jaar und wird von Musikjournalisten qua Pawlow'schem Reflex mit Experimentierfreudigkeit verbunden, gestaltet es sich im Jahre 2018 schwierig, ein House-Album zu kreieren, das den Hörer noch hinterm Ofen hervorlockt.

Ebendas gelingt dem Wahlberliner Iron Curtis auf "Upstream Color" it Bravour, so viel sei vorab festgestellt. Über zwölf Tracks breiten sich verschiedenste Arten der Melancholie aus, stets ungemein sanft und zurückhaltend transportiert. Johannes Paluka, so Iron Curtis bürgerlicher Name, verwendet dafür aber keine glattgebügelten Klänge, sondern arbeitet mit einer unglaublichen Detailversessenheit und hält seine Sounds so rau und plastisch.

Das Intro "Ease Pt. 1" gibt erste Vorstellungen davon, wohin die Reise geht. Verspielte Tupfer erinnern an besagten DJ Koze, ehe der stampfende Beat von "Boorang" einsetzt, der schon alleine aufgrund seiner geschmeidigen Claps Bestnoten verdient. Unzählige knarzende Effekte begleiten eine geniale, unaufdringliche Bassline und erinnern zart an die etwas schnelleren Nummern eines Dave DK.

"Werc Werc Werc" grollt hingegen deutlich mehr. Das wehmütige Moment, das quasi jeden von Palukas Tracks auszeichnet, speist sich hier aus geradezu überirdischen Synthie-Lines und perfekt gesetzten Klavier-Loops. Schwer zu sagen, ob schon so früh das Highlight des Albums aus den Boxen dröhnt - einer der besten Tracks des Jahres.

"Debris (Davos)" ruht anschließend in bester Smallville-Manier in sich. Hier offenbart Iron Curtis eine weitere Qualität: Natürlich gibt es deutliche Parallelen zur facettenreichen Hamburger House- und Techno-Schule. Diese eignet er sich aber nicht schlicht an, sondern lässt sich von ihr auf unverfängliche Weise inspirieren. In einem derart übersättigten Genre nutzt Paluka die wahrscheinlich einzige Möglichkeit, noch etwas Aufregendes zu kreieren.

Das Titelstück pumpt dann - abermals mit zahlreichen Ecken und Kanten versehen - über vier Minuten bis zum einem Build-up dahin, bis sich ein Schwall aus verzerrten Samples und flimmernder Elektronik ergießt. Diese Minuten kommen Dave DK eindeutig am nächsten.

Nach dem Klavier-Interlude "Bethanien" folgt "Lucent", der längste Track des Albums. Besonders an dieser Stelle darf die ungemein satte Produktion nicht unerwähnt bleiben. "Upstream Color" sollte man tunlichst laut hören. Die dichten, verworrenen Klangteppiche wirken zu keiner Zeit überfrachtet, sämtliche Elemente - und deren gibt es viele - lassen sich glasklar identifizieren. Das gilt beispielsweise für die verschiedenen Hi-Hats, die sich unter die flächigen Arrangements schieben.

"Home To You" klingt im Anschluss weniger melancholisch, als es der Titel vermuten lässt. Der entspannte Rhythmus, gepaart mit repetitivem Charakter erinnern an Moomins Output. "Holding Back" wartet mit klassischen House-Keys auf, lässt Platz für die Implementierung eines Samples und veranschaulicht Iron Curtis Herangehensweise hervorragend: Keine Hast, sondern eine behutsame, intensive Architektur liegt den Stücken zugrunde.

"Irma" und "Mt. Gordon" beschließen das Album auf nachdenkliche Art. Nach dem ersten Durchgang macht sich beinahe ein Art mulmiges Gefühl breit, das aber schnell grenzenloser Euphorie weicht: Iron Curtis legt mit "Upstream Color" ein Album vor, das nicht weniger als die Essenz von Deep House verkörpert und 2018 die Referenz im Genre darstellt.

Trackliste

  1. 1. Ease Pt. 1
  2. 2. Boorang
  3. 3. Werc Werc Werc
  4. 4. Debris (Davos)
  5. 5. Upstream Color
  6. 6. Bethanien
  7. 7. Lucent
  8. 8. Home To You
  9. 9. Ease Pt. 2
  10. 10. Holding Back
  11. 11. Irma
  12. 12. Mt. Gordon

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