laut.de-Kritik

Schall und Rausch.

Review von

Es gibt doch wirklich und wahrhaftig nichts, das es nicht gibt. Mit russischer Ska-Punk-Polka hätte man mit etwas Phantasie vielleicht noch rechnen können. Aber aus Trier? Ivan Ivanovich und die Kreml Krauts führen mal wieder eindrücklich vor: Egal, ob zwischen Genres, Sprachen oder Nationen gezogen, Grenzen sind Schall und Rauch.

Vielleicht auch Schall und Rausch, auf jeden Fall aber Schall: Die im Titel aufgebotenen "Katschigari", zu Deutsch "die Heizer" nehmen vielleicht nichts sonst allzu ernst, wohl aber ihre Profession: Sie sorgen für ordentlich Druck auf dem Kessel und brennen vielleicht kein besonders raffiniert choreografiertes, wohl aber ein zünftiges Feuerwerk ab.

"Katschigari" bietet astreine Abrissmucke, zu der sich problemlos bis zum Kollaps mitspringen und mitgrölen lässt. Letzteres gerne schief, aber bitte lauthals. Macht Frontmann Ivan Ivanovich auch nicht viel anders: Schönheit bleibt offenbar Nebensache, Hingabe zählt dagegen alles. Der Mann gurgelt und rotzt seine Zeilen unterschiedslos auf Tresen oder Tanzfläche, auf Kneipen- oder Küchenfußböden und klingt dabei, als habe er seine Stimmbänder ausgiebig in einer Eins-zu-eins-Mischung aus Borschtsch und Wodka mariniert.

Da er sich mit wenigen Ausnahmen des Russischen bedient, könnten einem die fast schon unpassend zarten Blumen der Poesie, die auf diesem Nährboden gedeihen, leicht durch die Lappen gehen. Bloß gut, dass irgendjemand die mangelhaften Sprachkenntnisse des hiesigen Publikums vorausgeahnt und eine deutsche Übersetzung ins Booklet gepackt hat. Cпасибо! Sehr fürsorglich.

So weiß ich nun, was ich sonst nur anhand der musikalischen Umsetzung hätte vermuten können: "Katschigari" deckt auch inhaltlich alle Stationen einer wüst durchfeierten Nacht ab, vom Vorglühen mit den Kumpels auf dem Weg zur Party ("Ech, Gari") über den Scheiß-auf-alle-Konventionen-Abzappelexzess ("Tanzuj") hin zur Erkenntnis, dass das Leben immer noch kein Ponyhof ist ("Zhizn Ne Sachar").

Wenn die anderen zur Arbeit gehen, schwankt "Rannim Utrom" nach Hause. Wobei ... nach Hause? In "Prasnulsja" gilt es zunächst einmal, mit den überall verstreuten Habseligkeiten die Bruchstücke der Erinnerung wieder zusammenzuklauben, um herauszufinden, wo in alles in der Welt man da nur zu sich gekommen ist.

Dass die Melancholie zum Suff untrennbar dazugehört, versteht sich fast von selbst. Im Klangbild der Kreml Krauts sorgt meist das Schifferklavier für die wehmütige Note. Die rumpeln Gitarren, Bass, knackige Drums, aber vor allem die Bläser allerdings allzeit rechtzeitig über den Haufen, ehe irgendjemand in Weinerlichkeit ersaufen könnte. Die Frau is' weg? Kannste nicht mehr viel machen, also: "Tanz' doch! Leb' jetzt! Bleifuß!"

Dass schnell-schnell-schneller kein taugliches Konzept darstellt, haben die Kreml Krauts begriffen. Deswegen nehmen sie immer wieder das Tempo raus, schalten zwei bis drei Gänge zurück. Die Songs dürfen frischen Schwung holen, mit dem Resultat, dass sie am Ende nur um so rasender um die eigene Achse kreiseln.

So Ivan Ivanovich Chöre zur Seite gestellt bekommt, erinnern die nirgends an zarte Sängerknaben. Eher schon an einen Haufen besoffener Matrosen, die freundlich dabei helfen, gegen eventuell aufkeimende Traurigkeit anzuschreien. Die bekommt so wenig Chancen, sich nachhaltig einzunisten.

Das Spiel mit Dynamik und ungewöhnlichen Rhythmen lässt beinahe vergessen, dass die Songs allesamt doch recht ähnlich gestrickt sind. Auch der Gesang bietet, abgesehen von ein, zwei gesprochenen Passagen, wenig Abwechslung, bis ... ja, bis die letzte Nummer dann doch noch ein paar Erwartungen zermalmt, und Ivan Ivanovic und die Kreml Krauts zum Schunkelwalzer locken. Gut so. Es gibt eben tatsächlich nichts, das es nicht gibt.

Trackliste

  1. 1. Tanzuj
  2. 2. Pa Darogam
  3. 3. Katschigari
  4. 4. Rannim Utrom
  5. 5. Prasnulsja
  6. 6. Odna Pered Zerkalom
  7. 7. Jean-Baptiste Rosenthal
  8. 8. Rubacha
  9. 9. Zhizn Ne Sachar
  10. 10. Praschlo
  11. 11. Ech, Gari
  12. 12. Sljozy Wesny

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