laut.de-Kritik
Jay Dee lebt in seinen einzigartigen Drums weiter.
Review von Alexander EngelenIch frage mich, ob Dilla irgendwo auf einer Wolke sitzt und mitbekommt, wie viel Liebe ihm die Welt entgegenbringt. Allerseits Respektbekundungen und "Remember Dilla"-Partys von L.A. bis Tokio. Die Krokodilstränen einer gesamten Szene tropfen auf das frische Grab von James Yancey, der im vergangenen Februar das Zeitliche segnete.
So traurig sein Tod auch sein mag, der aktuell millionenfach vergebene Titel des besten Produzenten aller Zeiten wäre ihm lebendig nicht zuteil geworden. Wahrscheinlich ist es noch immer der Schock über den Verlust, der Heads wie Kritiker weltweit jede Bassline, jeden Drumloop aus der MPC des Detroiters in traurige Begeisterung stürzt.
So ist auch "The Shining" nicht der Klassiker geworden, den sich Dilla-Fans gewünscht hätten. Aber wie auch? Jay Dee lag im Krankenhaus. Dillas Mutter übernahm teilweise die Produktionsarbeit. Sie war die ausführende Kraft in der Entstehung von "The Shining", brachte ihrem Sohn Platten ins Krankenhaus, wachte nächtelang an seinem Bett, nur um irgendwann aus dem Schlaf gerissen zu werden, um einen Beat gemeinsam fertig zu stellen.
Karriem Riggins, Jazz-Drummer und langjähriger Freund von Dilla, übernahm schließlich die schwere Aufgabe den Flickenteppich aus Interludes, Beats und Ideen zusammenzufügen. Dieser Longplayer entstand zwischen Beatmungsgeräten und Arztbesuchen, im Liegen auf einer Krankenhauspritsche, die zum Entsetzen vieler zum Sterbebett wurde.
Nichtsdestotrotz braucht "The Shining" keine Erklärungsversuche über das Wieso und Weshalb. In Sachen Qualität spielt der Longplayer ohne Frage ganz oben mit. Die zwölf Tracks versprühen eine Magie, die selten ist im Genre der herzlosen Schönen und Reichen. In einem Genre, in dem der Materialismus den Ton angibt. Allein das Soul-getränkte "Baby" trägt soviel Emotionen in sich, dass der nah am Wasser gebaute Head augenblicklich zum Taschentuch greifen muss.
Bei diesen lieblichen Streichern und zuckersüßen Bläsern schmilzt sogar Madlib in Form seines Rap-Drecksack-Alter Egos Quasimoto zum handzahmen Schoßhündchen. Auch der wieder aufgetauchte Pharoahe Monch sorgt auf dem nicht minder bewegenden "Love" für Soul-Ambrosia mit Gänsehautgarantie.
Doch Dilla war nie nur der Mann der ruhigen Stunden. Das beweist eindrücklich das tonnenschwere "Jungle Love" von Stones Throw-Kollege MED und Guilty Simpson. Auf knappen drei Minuten treibt eine nüchterne Galeerentrommel die beiden, in Ketten liegenden Rapper über das imaginäre Schlachtfeld. Ich weiß nicht, bei welchem Instrumental es mir das letzte Mal so kalt über den Rücken lief. Wenn schließlich jedoch Common und D'Angelo auf "So Far To Go" über herrlich dahintröpfelndem Beat der alten Soulquarians-Tage gedenken, lebt Dilla freudestrahlend in seinen unverwechselbaren Drums weiter.
"Dime Piece" mit Gesang von Dwele liefert außerdem, mit einer Bassline wie ein Backgroundchor, den endgültigen Beweis, dass die Erfindung des Neo-Souls auf das Konto von James Yancey geht. "Won't Do", der letzte Track des Albums, gehört dem Protagonist alleine. Sein Beat, seine Raps - zusammen eine Ode an die schlichte Schönheit von Rap-Musik.
Die Zukunft wird zeigen, ob auch Dilla einer Leichenfledderei Tupac'schen Ausmaßes zum Opfer fällt. Immerhin ist "The Shining" bereits Album Nummer zwei nach dem Tod. Über abnehmende Qualität kann sich zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand beschweren.
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