laut.de-Kritik

Das Potenzial des Rappers offenbart sich erst am Ende.

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Ein Künstlervertrag bei Maskulin hat einiges für sich. Wer sich in Flers Gravitationsbereich aufhält, kann sich dem trumpesken Trubel um den Rapper kaum entziehen. Für die überlebenswichtige Aufmerksamkeit wäre also im Übermaß gesorgt. Die naheliegende Kehrseite besteht darin, dass dessen nicht immer unproblematisches Image gleichsam auf seine Künstler abfärbt. Begleitet von den eingespielten Streitereien verabschiedete sich Jalil vor zwei Jahren vom Einfluss Flizzys. Nun betätigt der Berliner den "Reset"-Button, um sich endgültig loszusagen.

Auf das Highlife folgt mit "Losing Control" der tiefe Absturz: "Geprägt von den Lügen der Menschen. Bin paranoid und ich weiß, ich vertrau' nicht mal mir." In bedrückender Atmosphäre gibt sich Jalil seinen düsteren Anwandlungen hin. "Ich schwöre, dieses Leben macht mich manisch-depressiv", erklärt er auch in "Bluffen", das schon etwas abgeklärter von Verrat, Albträumen und Schlafstörungen berichtet: "Ich hör' links und rechts nur die Wände sprechen. Doch Face-to-Face sind sie mundtot. Alte Freunde wollen dich nicht essen sehen, denn am Ende geht es nur um's Brot."

Leider enden damit bereits die interessanteren Ansätze für eine lange Zeit. "Top Boy" bietet Schlagwort-Rap zum Einschlafen und "Moves" Trap-Einerlei um Bitches und Bullets. "Jede Nacht" beraubt Jalil mit Autotune-Einsatz seiner stimmlichen Stärke. Hinzu kommen Gastrapper, die für ihre Verhältnisse konsequent unterdurchschnittlich abliefern. Neben "Authentik sein Vater" LX unterläuft Bonez MC das überschaubare Niveau wieder denkbar plump: "Deine Mama kriegt 'ne Blume zur Besänftigung. Dumme Hure lutscht an Schwänzen 'rum".

Auf "Morgen" verbindet sich eine kitschige Hook von XAY mit den hinlänglich bekannten Zeilen eines Manuellsen: "Wer mir nicht gönnt, dem ficke ich sein Leben. Denn glaub' mir, dieser Straßenscheiß hat Regeln". Dem lyrischen Nullpunkt nähert sich schließlich ausgerechnet ein Frankfurter, der sonst zu den gewitztesten Rappern gehört. "Ich kann mich nicht kontrollieren und hau' dir mit Stock auf Stirn", versucht sich Hanybal schon sprachlich schief an einem Battle-Part, "Du, deine Schwester und Eltern haben Sex zu viert". Es verbleibt rätselhaft, weshalb er sich derart unter Wert verkauft.

So schrumpft die Erwartungshaltung von Song zu Song immer weiter, bis Jalil auf der Ziellinie doch noch überrascht: In "Poster" skizziert er seine von Armut geprägte Kindheit, aus der ihm die Helden des Hip Hop einen Ausweg wiesen: "Jedes Mal bevor ich dann schlafen geh', seh' ich Ice Cube und auch Kris Kross. Die Idole in meinem Kindskopf. Denn wenn ich nicht zu ihn' aufschau', schmeißt das Schicksal mich wieder ins Loch". Mit hoher Glaubwürdigkeit hebt der Berliner die Bedeutung von Vorbildern hervor und entwickelt sich auf diesem Weg selbst zur Identifikationsfigur.

Das beachtlichste Ausrufezeichen setzt Jalil jedoch mit "Ich Kann Nicht Atmen". "Ich fühl' den Schmerz in meiner Brust, hab' das Knie in meinem Nacken sitzen", gibt er in geradezu gespenstischer Ruhe die Tötung George Floyds aus dessen Perspektive wieder, "Schrei nach meiner Mutter, kann nicht atmen, und ich weine fast. Hatte nie das Recht, was auch ein Weißer hat". Immer wieder schneidet er Szenen aus Floyds Todeskampf in den Song. Das ist ebenso schwer erträglich wie diskussionswürdig, zugleich aber auch im Sinne seines Anliegens konsequent umgesetzt.

Es ist bedauernswert, dass Jalil erst am Ende das Potenzial offenbart, das er die vorangegangen 45 Minuten leichtfertig verschenkt hat. Mit seiner tiefen, auch anderweitig einsetzbaren Erzählerstimme verfügt er über eine optimale Grundlage. Wenn er sich nun noch von der sicherlich auch bei Fler erlernten dogmatischen Trap-Oberflächlichkeit befreit, sollte er seine relevante Stellung halten können. Der Blick auf die in weiten Teilen fragwürdige Gästeliste unterstreicht, dass es der Rapper bei seinem nächsten Album einfach im Alleingang probieren sollte.

Trackliste

  1. 1. Losing Control
  2. 2. Ganz Charmant (mit LX)
  3. 3. Moves
  4. 4. Top Boy
  5. 5. Bluffen
  6. 6. Champion (mit Hanybal)
  7. 7. CRhyme Pays (mit DJ DeeVoe)
  8. 8. NBA (mit Bonez MC)
  9. 9. 45 (mit Samra)
  10. 10. Magnet
  11. 11. Mach Keine Faxen (mit Maxwell und Joshi Mizu)
  12. 12. Jede Nacht
  13. 13. Poster
  14. 14. Morgen (mit Manuellsen und XAY)
  15. 15. Ich Kann Nicht Atmen (mit Eli Preiss)

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