laut.de-Kritik
Technoides, Atmosphärisches und ein Köpper in die Zuckerwatte.
Review von Alexander CordasZum wiederholten Mal kehrt Jean Michel Jarre zu seiner eigenen Vergangenheit zurück. Nachdem er 2016 den finalen Teil seiner "Oxygene"-Reihe abschloss, nimmt er sich nun "Equinoxe" vor, das dem epochalen Vorgänger 1977 unmittelbar folgte.
Dabei gilt "Equinoxe Infinity" gar nicht als Fortsetzung. Vielmehr zäumt Jarre das musikalische Pferd von hinten auf. Er kümmert sich nicht in erster Linie um die akustische Vorlage des Originals, sondern zieht das Cover-Artwork als Inspiration für seine neuen Kompositionen heran. Auf ebenjenem starren insgesamt 105 Männchen (nachgezählt!) mit Ferngläsern in der Hand den Betrachter an.
Was die glotzenden Herrschaften da eigentlich treiben, hat der Franzose nie wirklich aufgeklärt. 2018 lässt er den Hörer und Betrachter aber nicht alleine, sondern gibt ihm zwei Deutungsweisen mittels unterschiedlicher Covergestaltung mit auf den Weg. Erstens: Die 'Watcher' beobachten interessiert, was wir mit unserer Technik so alles anstellen.
Zweitens: Die 'Watcher' schauen uns bei der Selbstzerstörung zu, wie wir uns und unserer Umwelt fröhlich den Garaus machen. Wer die CD/LP/Box im Netz bestellt, kann sich nicht aussuchen, welche der beiden Abbildungen er letztendlich erhält. Nette Idee.
Die akustische Untermalung der Sinnfrage, ob die Menschheit einen Ausweg findet, bevor sie sich selbst subtrahiert, gestaltet Jarre als Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Man hört immer wieder heraus, auf welches Album er sich bezieht, kaut aber keine ollen Kamellen, wenn man vom Rhythmus-Pattern von "Robots Don't Cry" einmal absieht, das er eins zu eins von "Oxygene 4" entleiht.
Das Klangbild präsentiert dennoch eine futuristische Note, die sich schon im dramatischen Opener "The Watchers" offenbart. Mit einem opulenten Grollen, flirrenden Effekten und schwirrenden Synth-Einlagen kommt der Track überaus raumgreifend daher und entführt den Hörer sofort in den Jarre-Kosmos.
Leider nimmt Jarre sich nicht die Zeit, seine Skizzen weiterzuentwickeln. Gerade die schöne Dramatik, die er mit "The Watchers" andeutet, hätte es verdient gehabt, detailreicher ausformuliert zu werden. Stattdessen verpufft das Versprechen nach nicht einmal drei Minuten im Off. Die Kurzatmigkeit dürfte dem Konzept geschuldet sein, diesem Werk eine ähnliche Spielzeit zu bescheren wie dem Original von 1977, das bei fast genau 39 Minuten über die Ziellinie schwebt.
Den Tracks hat Jarre sämtlich den Beinamen "Movements" verpasst. Hier ist alles in Bewegung. Auch dies darf man dergestalt interpretieren, wie es das Coverartwork vorgibt: Die Menschheit bewegt sich vorwärts. Nur wohin? Auf die Klippe zu oder in den Garten Eden?
"Oxygene 3" zeichnete der fließende Charakter des Albums aus. "Equinoxe Infinity" folgt diesem Duktus. Aber nur fast. In die Mitte der Tracklist hat sich ein kunterbunter Klops geschlichen, der mit Sicherheit manch altgedientem Fan sauer aufstoßen wird. Für gut vier Minuten entführt uns "Infinity (Movement 6)" ins Sugar Rush-Land, wo wir Wreck-It Ralph und Vanellope von Schweetz bei ihren irren Abenteuern begleiten.
Der leidenschaftliche Köpper in die Zuckerwatte erweist sich aber als Ausnahme. Vielmehr dominieren atmosphärische Melodie-Seligkeit ("If The Wind Could Speak", "All That You Leave Behind") oder Technoides ("Machines Are Learning", "The Opening") das Bild. Die Jarre-typischen Flächensounds sorgen für die nötige Portion Wiedererkennungswert.
Wenn das Album am Ende mit dem Titeltrack ausklingt, bleibt der Erkenntnisgewinn, dass Jean Michel Jarre ein rundes Album abliefert, sieht man vom Kirmes-Störfeuer einmal ab. Magische Momente wie in den Siebzigern sucht man zwar vergebens, aber "Equinoxe Infinity" lässt sich dennoch problemlos mit Genuss am Stück hören.
6 Kommentare mit 3 Antworten
Genau das ist das Problem: Die magischen Momente fehlen. Wenn es nicht vom großen JMJ wäre - es wäre ein Elektronik-Album von vielen. Musiker wie z. B. Kebu sind längst kreativer als ihre großen Vorbilder.
Will die Verdienste des Meisters nicht schmälern, aber der Nachwuchs hat auch unsere Aufmerksamkeit verdient... vor allem wenn er die analogen Synth-Legenden sogar live auf die Bühne bringt und dann noch so schöne Songs schreibt...
https://www.youtube.com/watch?v=oBpfjSPDjos
Naja, wirklich nix besonderes. Kompositorisch ziemlich öde und einfallslos. Läuft nur darauf hinaus, der Vergangenheit nach zu laufen und nach zu äffen. Eigenständig und magisch ist da wirklich gar nix.
ich finde es ist ein großes Werk geworden.
Für mich immer noch großes Elektrohandwerk, jedoch zu nah am 77'-Meisterwerk. Man darf es also nur als Spin off dieses Album's verstehen.
Anfangs etwas enttäuscht, bin ich inzwischen absolut begeistert! EQUINOXE, da erwartet man doch nen direkten Anschluss an das 1978er Meisterwerk! Neeee, das isses halt nicht und war auch nie so gedacht. Nach 3maligen Hören und dem Wissen, was die Idee hinter dem bzw. für das Album ist, finde ich das gute Stück immer genialer! Je öfter man es hört, umso genauer bekommt man die großartigen "Kleinigkeiten" mit, die einen Jarre ausmachen! Equinoxe Infinity ist wirklich eine würdige Fortsetzung von Equinoxe. Meine Meinung.....
Wie läuft es im Tennis?
Nichts, was nicht auch schon 1978 auch schon so hätte klingen können [https://tagpacker.com/user/peterhbg?t=Jean…
Mit dem kleinen Ausrutscher bei Infinity (Movement 6) stimme ich zu. Das passt nicht wirklich zum Album und wirkt mir zu kitschig. Der Rest ist stimmig und macht das Album eine runde Sache. Von den letzteren Alben finde ich es mit am gelungensten und hat auch potential mehrmals gehört zu werden ohne das Langeweile aufkommt.