laut.de-Kritik

Scott Walker, Kate Bush oder gar Björk bleiben unerreicht.

Review von

Jenny Hval ist eine eigenwillige Künstlerin. Unter ihrem Alter Ego Rockettothesky erschuf sie wunderschöne Alben wie "To Sing You Apple Trees" oder "Medea", die sphärische Sounds, eleganten Pop und Singer/Songwriter zu glänzenden Perlen destillierten. Zusammen mit Susanna Wallumrød gab es letztes Jahr avantgardistische Collagen zu finsteren Texten ("Meshes Of Voice"). Das neue Album "Apocalypse, Girl" erblickt als ambitionierter Bastard beider Pole das Licht der Welt und bleibt dabei erstaunlich wirkungslos.

"Denke groß, mein Mädchen, wie ein König!" Mit diesem Auszug eines Gedichts des Poeten Mette Moestrup gibt sie eine zutreffende und empfehlenswerte Linie vor, die sie selbst nicht einhalten kann. Statt groß und eigenständig wirken die meisten ihrer eigenen Lyrics leider nur ebenso aufgeblasen, wie ihr Gesang. Selbstmitleidige Nabelschau ("And I grab my cunt / Am I loving myself now? Am I mothering myself?") führt weder zur großen Kunst noch zu jener ersehnten Philosophie, deren Ebene sie ebenso verkrampft wie aussichtlos erklimmen möchte.

Mit großer Künstlergeste trägt sie Plattitüden vor, die auch bei näherer Betrachtung nicht zur Weisheit gerinnen. Wenn sie vollmundig verkündet, dass die Zeitungen uns allen einreden, unglücklich zu sein und man sich ohnehin in einem Zeitalter befindet, in dem Feminismus und Sozialismus gleichermaßen durch sind, kann man nur mit den Schultern zucken. Vielleicht sollte sich die gute Jenny ein paar Texte von Leonard Cohen schnappen, um mal zu begreifen, wie herrlich Eros, Selbstreflexion und schonungslose Analyse der Gegenwart funktionieren, ohne dass es trivial wird.

Auch die betont gekünstelten, auf leidenden Manierismus getrimmten Vocals reißen so gar nichts heraus. Im Gegenteil: Seit Hval beschlossen hat, dass der Pop ihrer frühen Tage irrelevant ist, versucht sie bemüht, jenen Teich zu erobern, in dem bereits erfolgreich Scott Walker, Kate Bush oder Björk ihre Runden schwimmen. Das war schon auf ihrer Kollabo mit Wallumrød ein wenig faszinierendes Missverständnis. Hier klingt es nicht überzeugender, lediglich eine Spur gefälliger.

Echte songwriterische Ideen scheinen ihr abhanden gekommen zu sein. Die zehn Stücke hängen stattdessen als uninspirierte Suite aneinander, deren musikalische 08/15-Melodien und Arrangements einen vollkommen kalt lassen. Minimal-Elektro, sphärisches Getüdel und ein paar organische Tupfer eiern in porentief reiner Emotionslosigkeit vor sich hin.

Es klingt ein wenig, als würden die semi-talentierten, aber verbissenen kleinen Zwillingsschwestern von Björk und Portishead auf moderne Kunst machen, obwohl sie im Vergleich zu den Originalen nur des Kaisers neue Kleider zu bieten haben. Spätestens beim total nichtssagenden Science-Fiction-Poem "Sabbath" wünscht man sich, Hval möge mitsamt dem Track gleich outer Space bleiben. Einzig das gelungene Finale "Holy Land", ein hypnotischer Ambient-Track, überzeugt auf ganzer Linie. Doch eine Schwalbe macht keinen Sommer, erst recht nicht in Norwegen.

So fährt die eigentlich hochtalentierte Songwriterin und Texterin den eigenen Ruf mit "Apocalypse, Girl" genau so apokalyptisch vor die Wand, wie es die Unansehnlichkeit des Coverartworks bereits andeutet. Man kann nur hoffen, dass Jenny Hval sich alsbald wieder der eigenen Stärken besinnt und dieser prätentiöse Fehlschlag auch in ihrem Kopf schnell den Weg des Vergessens beschreitet. Bis dahin verweile man lieber bei ihren großartigen Rockettothesky-Liedern wie "On Cherry Tree Song" oder "Grizzly Man".

Trackliste

  1. 1. Kingsize
  2. 2. Take Care Of Yourself
  3. 3. That Battle Is Over
  4. 4. White Underground
  5. 5. Heaven
  6. 6. Why This?
  7. 7. Some Days
  8. 8. Sabbath
  9. 9. Angels And Anaemia
  10. 10. Holy Land

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LAUT.DE-PORTRÄT Jenny Hval

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4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 9 Jahren

    Uff, soo schlimm fand ich das Album ehrlich gesagt nicht. Musikalisch sind doch tolle Stellen drauf, "Heaven" ist z.B. richtig gut. Textlich gibts aber in der Tat etliche Stolpersteine. Muss mir noch einige Durchgänge gönnen.

  • Vor 9 Jahren

    So schlimm finde ich es auch nicht, aber im Gegensatz zu Meshes Of Voices, die ich großartig fand, berühren mich eher die zweideutigen, verstörenden Lyrics, denn die Musik an sich. Wirkt mir an einigen Stellen zu fragmentiert und nicht zu Ende gedacht.

  • Vor 9 Jahren

    Also nach einem weiteren Durchgang muss ich sagen, dass ich überhaupt nicht mit Ulfs Review konform gehe. Musikalisch ist das Album absolut fantastisch, und auch die textlichen "Schwächen" erreichen doch genau das, was sie sollen: Sie reißen aus dem Flow, sie stören. Hval geht es mMn nicht um ein "schlüssiges" Album, das unmittelbar funktioniert. Vielmehr erzeugt das Spiel mit Gendersprech, sexualisierten Bildern und der Tänzelei rund um alles, was sich BDSM nennt, genau jenes Unwohlsein, das gute verkopfte Musik auslösen kann.

    Und mit den Zeilen über Feminismus und Sozialismus sagt sie, so plakativ es auch sein mag, durchaus etwas Wahres. Utopien sind tot. Romantik ist tot. Cohen mag noch immer Sinnbild für ein verblassendes Ideal sein, aber seine Lyrik ist doch auch nur noch eine ferne Spiegelung einer vergangenen Ära. Der Charmeur, der Verführer, der gebrochene Mann, das sind alles bleiche Gespenster, die nur noch in Form von Erinnerungen durch die Popkultur spuken.

    Die Wüste ist real.

    • Vor 9 Jahren

      total guter gegenentwurf! chappeau!
      bei der cohen-these kann ich natürlich nicht zustimmen.
      die texte sind dort ja gerade stets ein spiegel/eine sarkastische erfassung der gegenwart. bei sowas sind sich alle defragmentierer und sezierer ähnlich, egal ob hval, reed, cohen oder walker.
      den rest, den du erwähnst, habe ich gesucht, nur eben bei hval nicht als originell empfunden. auuch nach dem 10. durchgang nicht.