laut.de-Kritik

Mehr Steven Wilson als Ian Anderson.

Review von

Nach der Überarbeitung der Jethro Tull-Scheiben "Benefit", "Aqualung" und "Thick As A Brick" nimmt Alleskönner Steven Wilson sich nun dem seinerzeit sträflich unterbewerteten "A Passion Play" an. Der Produzentenguru katapultiert das Album von Anfang der 70er direkt in die Neuzeit. Nicht unbedingt das, was man bei einem Klassiker hören möchte.

Angeblich nahm Wilson in Absprache mit Ian Anderson sogar teils gravierende Änderungen vor und löschte ganze Spuren. Wäre es allein nach Anderson gegangen, wären vielleicht sogar sämtliche Saxophon-Parts getilgt worden. Aber gut, wenn man nichts verändert haben möchte, kann man sich ja gleich die alte Aufnahme zulegen.

Tatsächlich klingt der neue Mix deutlich transparenter als das Original. Sehr viel mehr Details treten an die Oberfläche, die Instrumente dringen allesamt kristallklar durch die Lautsprecher. Aber auch wenn der Sound insgesamt etwas 'schärfer' gerät, ist er lange nicht mehr so 'organisch' wie auf den ursprünglichen Tapes. Die vielzitierte Seele des Albums geht tatsächlich ein Stück weit verloren. Insbesondere die zuvor tragenden Saxophone klingen vielerorts farblos und verlieren deutlich an Dominanz.

An manchen Stellen hat man gar das Gefühl, ein Soloalbum des Produzenten zu hören. Das Problem ist nur, dass es sich hierbei eben um ein Jethro Tull- und gerade nicht um ein Steven Wilson-Album handelt. So haftet "A Passion Play (An Extended Performance)" derselbe Makel an, den der Großteil sämtlicher Neuauflagen dieser Welt mit sich herumschleppt: Es ist ein Album, das eben nicht von heute stammt, sondern schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Warum muss man zwanghaft versuchen, es soundtechnisch anzupassen? Nur damit Klangfetischisten damit prahlen können, die Scheibe von anno dazumal jetzt auf ihrer schicken neuen 5.1-Festung zu hören? Besser wird sie dadurch auch nicht. Eher schlechter.

Zugute halten muss man der neuen Version jedoch, dass sie in hübscher Aufmachung und – ohne die Preisschraube empfindlich anzuziehen – mit einigen netten Gimmicks daherkommt. Neben besagtem 5.1-Mix gibt es ein 80-seitiges Begleitbuch mit einigen interessanten Hintergrundinfos, den Originalmix, das Video zu "The Story Of The Hare Who Lost His Spectacles" und die mysteriösen Chateau D'Herouville-Sessions obendrauf. Letztere wie das Hauptalbum in Stereo- und Surroundsound.

Diese 1988 erstmals unter dem Titel "Château D’Isaster Tapes" veröffentlichten Aufnahmen fanden im Vorfeld des "A Passion Play"-Songwritingprozesses statt. Die Band brach allerdings aufgrund katastrophaler äußerer Bedingungen vorzeitig ab. Waren bislang nur knapp 50 Minuten dieses Materials an die Öffentlichkeit gelangt, addiert Wilson noch mal zehn Minuten.

Im Gegensatz zu vorangehenden Veröffentlichungen, für die Anderson nachträglich zahlreiche Spuren aufnahm und hinzufügte, verwendete Wilson ausschließlich die Originalbänder. Musikalisch ist das auf den Chateau D'Herouville-Sessions Gebotene zwar nicht essenziell, für Fans jedoch hörenswert und als Bonusalbum durchaus mehr als nur das Sahnehäubchen.

Für Neugierige und Sammler lohnt sich "A Passion Play (An Extended Performance)" somit. Im Zweifel sei jedoch der Griff zum Original empfohlen. Und auch wenn der neue Mix den ursprünglichen nicht ersetzen kann, bleibt "A Passion Play" selbst mit diesem das bessere "Thick As A Brick".

Trackliste

CD I A Passion Play

  1. 1. Lifebeats/Prelude
  2. 2. The Silver Chord
  3. 3. Re-Assuring Tune
  4. 4. Memory Bank
  5. 5. Best Friends
  6. 6. Critique Oblique
  7. 7. Forest Dance #1
  8. 8. The Story Of The Hare Who Lost His Spectacles
  9. 9. Forest Dance #2
  10. 10. The foot Of Our Stairs
  11. 11. Overseer Overture
  12. 12. Flight From Lucifer
  13. 13. 10.08 To Paddington
  14. 14. Magus Perdé
  15. 15. Epilogue

CD II The Chateau D'herouville Sessions

  1. 1. The Big Top
  2. 2. Scenario
  3. 3. Audition
  4. 4. Skating Away on The Thin Ice Of The New Day
  5. 5. Sailor
  6. 6. No Rehearsal
  7. 7. Left Right
  8. 8. Only Solitaire
  9. 9. Critique Oblique (Part I)
  10. 10. Critique Oblique (Part II)
  11. 11. Animelee (1st Dance)
  12. 12. Animelee (2nd Dance)
  13. 13. Law Of The Bungle (Part I)
  14. 14. Tiger Toon
  15. 15. Law Of The Bungle (Part II)

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4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 10 Jahren

    Ich finde ja nicht, dass das Album "sträflich unterbewertet" wurde. Es ist ein anstrengendes, verkopftes Etwas, das allzu offensichtlich "Thick As A Brick" fortsetzen wollte - und für meinen Geschmack deutlich gescheitert ist.

    • Vor 10 Jahren

      Gescheitert - ja. Aber immerhin erhobenen Hauptes. Anderson wollte noch einen draufsetzen und er hat es geschafft, gerade auch im Hinblick auf die Konzerte, die er mit diesem Material gab und das wahrscheinlich das Exzentrischste darstellen, für das Jethro Tull jemals ihren Namen hergegeben haben, allerdings hat Anderson mit dem Album "A Passion Play" sein Publikum und nicht zuletzt die Kritiker verfehlt. Was ich nur bedingt schade finde, da ich glaube, daß mit dem Scheitern von "A Passion Play" als Album erst ein retrospektives Werk wie "Minstrel In The Gallery" ermöglicht wurde.
      Gruß
      Skywise

  • Vor 10 Jahren

    Ob TaaB oder A Passion Play, sind beides klasse eigenständige Alben.Wobei letzteres ein Stück weit schwerer zugänglicher gewesen ist. (jetzt ein noch ein nachträgliches Review zu Homo Erraticus und ich bin zufrieden)

  • Vor 10 Jahren

    Puh, jetzt wollte ich mich schon aufregen, dass ich mir erst kürzlich das Original gekauft und nicht noch die paar Wochen gewartet habe. Aber so wie sich die Review liest hab ich mal wieder alles richtig gemacht.

    Und doch das Album is unterbewertet (Viele Tull-Alben sind das: „Stormwatch“, „Rock Island“, „J-Tull.com“). Es mag vielleicht kann TaaB sein, aber ich finde es klingt homogener und nicht so abgehackt. Bei TaaB hatte ich immer das Gefühl, Anderson hat mehre Song geschrieben und diese aber alle unter einem einzigen Titel veröffentlicht.

  • Vor 10 Jahren

    "Nur damit Klangfetischisten damit prahlen können, die Scheibe von anno dazumal jetzt auf ihrer schicken neuen 5.1-Festung zu hören? Besser wird sie dadurch auch nicht. Eher schlechter."
    Selten so nen Dünnpfiff gelesen. Scheinbar hat der Autor noch nie richtig Mehrkanal gehört und erfahren, welchen Mehrgewinn so ein Mix haben kann. Ich selber möchte das in den meisten Fällen solcher Wiederveröffentlichungen nicht missen.