laut.de-Kritik
Die "American Recordings", von denen nie jemand erfuhr.
Review von Michael SchuhEs war das Album, das er zwar immer aufnehmen, für das ihn aber niemand weit und breit bezahlen wollte. Schließlich war der Sänger für die Öffentlichkeit fest an ein Genre gebunden, das aber leider schon lange out war. Man hat das höhnische Gelächter der Labelbosse auch Jahrzehnte danach noch im Ohr: Wie bitte? Der ist doch schon ewig weg vom Fenster und jetzt will er auch noch herum experimentieren, aber sonst geht's noch, oder? Wie wir heute wissen, erbarmte sich ein barfüßiger Hip Hop-Querkopf namens Rick Rubin und ließ den alternden Country-Star Johnny Cash sein ersehntes Album aufnehmen, das nur aus Akustikgitarren und seiner Stimme bestand. "American Recordings" läutete 1994 sein würdevolles Comeback ein.
Jim Sullivan war damals schon knapp zwei Jahrzehnte lang verschwunden. Im Gegensatz zu Cash feierte er keine frühen Erfolge, obwohl er 1969 vermeintlich auch mit dem richtigen Sound (souliger Hippie-Folk) am richtigen Ort (Los Angeles) war, eine Nebenrolle im Kultfilm "Easy Rider" ergatterte und seine Ehefrau sogar bei Capitol Records arbeitete. Doch weder Sullivans fantastisches Debüt "U.F.O." (1969), noch der Nachfolger "Jim Sullivan" (1972) stießen damals auf Interesse. 1975 verschwand der kalifornische Musiker auf mysteriöse Weise im Alter von 34 Jahren auf dem Weg in die Country- und Westernstadt Nashville, wo er eine letzte Karrierechance witterte. Sein VW-Käfer fanden die Beamten führerlos 40 Meilen von dem Ort entfernt, wo Sullivan zuletzt gesehen wurde.
Ein unheimlich begabter Singer/Songwriter, der über UFOs sang und sich in New Mexico in Luft aufgelöst oder per UFO verdünnisiert hat: Diese Geschichte schien 2010 dank Light In The Attic in einem Happy End zu münden. Getreu des selbstgewählten Namens ("Licht auf dem Dachboden") zerrte das Liebhaber-Label besagtes '69er Debüt "U.F.O." aus der Vergessenheit zurück ans Tageslicht, was im Vergleich zu Rodriguez allerdings zu einer überschaubaren Prominenz führte (es fehlt halt der Film).
Und nun das: "If The Evening Were Dawn" beinhaltet zehn in astreiner Qualität strahlende Unplugged-Songs, aufgenommen irgendwann im Jahr 1969, die nur aus Sullivans Stimme und der begleitenden Akustikgitarre bestehen. Die "American Recordings", von denen nie jemand erfuhr. Ein Album, das Sullivan nach Aussage seiner Witwe Barbara immer aufnehmen wollte, was ihm aber natürlich niemand erlaubte, wo schon seine regulären Platten kein Mensch hören wollte. Alle im Zuge des Re-Releases zu Die-Hard-Fans mutierten Beobachter werden ihr Glück nun kaum fassen können, liefert "If The Evening Were Dawn" nun jenen reduzierten Sound, mit dem Sullivan bei seinen heute legendären Bar-Sessions in Malibu zwischen 1968 und 1970 sein Publikum zu begeistern versuchte.
Viele Nummern kennt man von "U.F.O.", anstelle des dort dank der Studioband The Wrecking Crew vollen Westcoast-Sounds erstrahlen Songs wie "So Natural" und "Jerome" ohne molllastige Streicher- und Orgel-Arrangements plötzlich ungemein direkt, verwundbar und doch genau so wunderschön. Sullivans Stimme klingt so unmittelbar, als säße er direkt vor einem, sein Anschlag ist nicht immer sauber, doch die Akkordwechsel sitzen. Keine Frage: Dieser Mann zockte nicht nur am Wochenende. Schon beim Opener "Roll Back The Time" fragt man sich wieder, warum Sullivan nicht so berühmt wurde wie Cat Stevens - oder wenigstens ein bisschen berühmt. Das im Original schon akustische "Sandman" geht hier eher als Demo durch und wirkt ohne Besenbeat schleppender. Immer im Mittelpunkt: Sullivans sehnsuchtsvolles Organ.
Das alles wäre schon perfekt, doch "If The Evening Were Dawn" legt noch einen drauf: Sullivan singt unbekannte Songs, die auch nicht auf dem parallel in toller Neuauflage erschienenen zweiten Album "Jim Sullivan" auftauchten. "Walls" entblättert das ganze Songwriting-Faszinosum dieses Mannes, dessen Talent für melodiösen Folk-Pop nie gewürdigt wurde. Wie bei Johnny Cashs posthumem Archiv-Schatz "Unearthed" hört man auch Sullivan hier und da Songs ansagen. Mitten in "Whistle Stop" fällt ihm plötzlich ein, dass er gleich in einen anderen Song übergehen könnte und nahtlos setzt das ebenfalls unveröffentlichte "Mama" ein. Schön muss es gewesen sein, 1969 in irgendeiner Bar in Malibu. Jim Sullivans Geschichte hätte anders laufen können, ja müssen. 1970 stand er kurz davor, Johnny Cashs Manager Saul Holiff zu treffen, doch er wurde nicht vorgelassen.
3 Kommentare mit einer Antwort
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
An dieser Stelle muss man wirklich mal die fantastische Arbeit von Light in the Attic loben, bei denen neben Sullivan und Rodriguez auch andere unbesungene Helden wie Bert Jansch, Karen Dalton, Betty Davis, Haruomi Hosono, Annette Peacock, Lee Hazlewood, This Heat, Michael Hurley, The Monks, Last Poets und The Shaggs, die bekanntermaßen beste Band der Welt, ein neues Zuhause gefunden haben.
Absolut, die habens voll drauf!
Ich war im Vorfeld ehrlich gesagt skeptisch, weil ich die Arrangements auf den beiden anderen Platten so liebe. Aber das hier ist wirklich hervorragend.