12. Dezember 2003

"Ich habe den Hip Hop-Beat erfunden!"

Interview geführt von

Joe Zawinul ist der Arnold Schwarzenegger des Jazz. In den 60er Jahren siedelt der gebürtige Österreicher nach Amerika, um an der Seite von Miles Davis 1969 das wegweisende Album "Bitches Brew" einzuspielen. Seine Band Weather Report verändert in den 70ern nicht nur das westliche Musikverständnis, sondern die gesamte afrikanische Tradition.

Herr Zawinul, Sie haben einmal behauptet, dass Sie in den 70er Jahren den Hip Hop erfunden haben?

Das hab ich nie behauptet! Ich hab vom Beat gesprochen. Ich hab den Hip Hop-Beat erfunden, keine Frage. 50 oder 60 verschiedene Rap-Gruppen haben den Beat von "125th Street Congress" (von der 73er Weather Report-Platte "Sweetnighter", Anm. d. Red.) gesampelt und ihre Raps darüber gelegt. Ich hab nicht den Hip Hop erfunden, das hab ich nie gesagt, ich hab den Hip Hop-Beat erfunden!

Ihr Kind hat sich seit den 70ern gut entwickelt, oder?

Ach, heute ist ja alles nix! Wenn man sich Rap-Musik von heute anhört, also bitte! Ich war Teil der Szene, in der die Last Poets waren. Es ist ja heute nix da. Kein Poetry. Das sind ja Kinderreime. Blödsinn. Das ist ja peinlich. So stellen sich die Schwarzen dar, so werden sie dargestellt und wahrgenommen in der Welt. Peinlich. Aber ich bin froh, dass viele Leute ihr Geld damit verdienen, sonst wären die Gefängnisse noch voller.

Hip Hop scheint nicht Ihre Lieblingsmusik zu sein! Welche Musik hören Sie privat?

Keine!

Sie halten es wie der Schweizer Psychologe Jean Piaget, der einmal feststellte "Ich lese keine Bücher, ich schreibe welche!"

Das ist dasselbe. Aber natürlich verbiete ich niemandem Musik zu hören (lacht).

Wie beurteilen Sie die derzeitigen Entwicklungen im Jazz unter dem Aspekt Amerika - Europa?

Das ist schwer zu sagen. In Amerika ist derzeit eine Entwicklung zu erkennen, in der alles auf Marketing heraus läuft. Es geht um Investments mit denen man Geld machen kann, um die schnelle Mark. Was in der Musik passiert, ist dasselbe, was auch in anderen Sparten geschieht. Alles ist Power-Selling. What will be the right thing? Für was würden die Leute ihr Geld ausgeben? If you have the choice between being a musician or being someone who's surviving. To be a musician is a tough Proposition. Irgendwann musst du dich entscheiden, was du tun willst im Leben. Leben wie eine Ratte für möglicherweise 10 - 15 Jahre, um an deiner Kunst zu arbeiten. Oder die Schultage fortsetzen und sofort Geld verdienen. Die neue Musik ist ja nicht wirklich neu, sie ist ja nur aufgewärmt. Die jungen Musiker bräuchten Visionen und Vorbilder mit Visionen.

Das ist doch etwas, was man der europäischen Szene im Moment zuschreibt, Visionen zu entwickeln und die Musik nicht zum Produkt verkommen zu lassen ...

Ja das ist so. Der Fortschritts-Spirit ist hier viel größer als in Amerika. Generell ist es natürlich so, dass alles jazzmäßig Relevante aus Amerika kommt. Und das ist die Wahrheit. Jeder, der jemals in Amerika war, hat kopiert. Including mich. Dann kam ein Punkt in Europa, wo die Leute sagten: "OK, im Grunde ist das ja alles recht und schön, aber es ist amerikanische Musik. Wir haben die Erkenntnis und das Können." Trotzdem haben die Europäer nie so gut gespielt wie die Amerikaner. Nie!

Auch heute nicht?

Auch nicht heute! Sie spielen fortschrittlicher, aber nicht besser. No way. Da ist immer dieser kleine Unterschied, den die meisten Leute nicht hören ...

Reden Sie vom musikalischen Handwerk oder von der Inspiration?

Die Inspiration ist viel größer in Europa. Aber wenn sich die Amerikaner zusammen setzen, hat es eine andere Tiefe. Trotzdem bin ich sehr froh, dass die ganze Welt aufgewacht ist. Jedes Volk hat eine eigene Tradition. Das ist zwar schön, macht es aber nicht besser. Die Musik hat deshalb nicht mehr Swing. Ich höre einen europäischen Drummer aus 10.000 anderen heraus.

Sie sprechen die Traditionen der Länder an. Ich höre in Ihrer aktuellen Musik keine österreichischen Traditionen. Ich höre afrikanische ....

Des is oba net wohr. Das hören sie, aber das ist wirklich nicht wahr. Wahr ist, dass die afrikanische Tradition sich mit dem Beginnen von Weather Report verändert hat. Die sind aufgewachsen mit Weather Report und so spielen sie auch. Nach all diesen Jahren kommen die Afrikaner mit einer Musik heraus, die sehr Weather Report-isch ist. Und jetzt kommen SIE an und sagen, meine Musik sei afrikanisch. Es ist genau umgekehrt.

Nicht Ihre Musik speist sich aus afrikanischen Wurzeln, sondern die afrikanische Musik speist sich aus Ihren Ideen?

Vor 10 Jahren hab ich eine Platte produziert für Salif Keita, ("Amen", 1991). Die müssen sie haben, dort ist alles erklärt. Ich hab die Platte produziert, die Musik von Mali arrangiert und gespielt. Carlos Santana war dabei, Wayne Shorter. Miles hätte da sein sollen, aber der hot net können. Eine wunderbare Platte, aber man kann über sie nicht reden. In Frankreich ist sie zur besten Weltmusikplatte aller Zeiten gewählt worden. Amen!

Ich werde meine Hausaufgaben machen.

Die musst du haben. Das ist ein Meisterwerk. Was mich gewundert hat war, wie die Musiker meine Arrangements gespielt haben. Es war sozusagen eine Allstar-Band aus Westafrika, mit den besten Musikern der Westküste. Ich hab mich gewundert und sie gefragt "Wie kommt es, dass ihr meine Musik so gut umsetzen könnt"? Sie sagten, "wir sind aufgewachsen mit 'Black Market'" (das 76er Weather Report Album, Anm. d. Red.). Sie dachten Zawinul sei ein Zulu-Name. Für die war "Black Market" das Größte. Als sie herausgefunden haben, dass Jaco Pastorius ein Weißer ist, haben sie es nicht geglaubt. Dann haben sie herausgefunden dass Zawinul ein Austrian ist, they could not believe. Das Stück "Black Market" war vor 20 Jahren die Erkennungsmelodie von Radio Dakar. So war es! (lacht)

Zawinul und Afrika gehört also zusammen ...

Es gehört zusammen, ohne dass es eine Ursache dafür gibt. Es ist einfach in mir. Ein Masterplan, für den im Grund meine Eltern verantwortlich sind. Meinen Eltern hat meine Musik nie gefallen. Ich liebe und schätze sie aber sehr und habe mir gesagt "Wenn ich nicht für meine Eltern spielen kann, dann bin ich kein Musiker". Ich wollte eine Musik, die ich für meine Eltern spielen kann, aber möglicherweise auch in Harlem. Durch dieses Forschen habe ich das Menschliche in mir selbst gefunden.

Haben Sie Ihr Ziel erreicht? Gefällt Ihren Eltern Ihre Musik?

Seit wir in Wien mit Weather Report und großer Lasershow gespielt haben, gefällt ihnen meine Musik. "Mercy, Mercy, Mercy" (ein "Hit" von Joe Zawinul, Anm. d. Red.) hat ihnen auch gefallen. Ich wollte weder banale noch supergscheide Musik machen. Sie sollte einfach net deppert sein. Sie sollte so sein, dass die Leute es verstehen. Inzwischen hab ich meinen Weg gefunden. Meine Musik ist kompliziert zu spielen, aber einfach zu hören. Das ist das Geheimnis. Cannonball Adderley once told me: "You write such difficult music, but when you play it - it's clear." Einmal war ich in New Orleans in einer Bar gesessen. Hinter mir stand Fats Domino, mein großes Idol, und die Band spielte "Mercy, Mercy, Mercy". Er war begeistert, verstand aber den Rhythmus nicht, weil der irgendwie rumgedreht ist. Das will ich, dass du es fühlst, nicht denkst.

Apropos denken, Sie sind über 70 Jahre alt. Denken Sie ans Aufhören?

Nie. Was soll ich denn sonst machen im Leben? Ich lebe ja noch dreißig Jahre. Ich spiele mit meinen Enkelkindern Fußball und ich liebe Boxen. Ich trainiere dreimal in der Woche, Minimum.

Nächstes Jahr erscheint eine Briefmarke mit Ihrem Konterfei ...

Das muss man haben! (lacht)

Das Interview führte Kai Kopp

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