laut.de-Kritik
Eines der besten Akustik-Konzerte aller Zeiten.
Review von Ulf Kubanke"I've been chasing ghosts and I don't like it." Oft jagte John Cale fremden wie eigenen Geistern nach. Auf "Fragments Of A Rainy Season" fand er sie schlussendlich. "I wish someone would show me where to draw the line"" Mit diesem Überalbum, einem der besten Akustik-Konzerte aller Zeiten, zieht er 1992 die eigene, die perfekte Linie, diesmal ohne Koks und Alk. Weder vorher noch nachher gelang ihm der musikalische Solo-Tanz auf der Rasierklinge so punktgenau wie mit diesen knapp 30 Songs.
Trotz der offenkundigen Qualität bleibt die Veröffentlichungsgeschichte zur Platte ebenso verregnet und fragmentarisch wie ihr Titel. Das gute Stück war ehedem nur kurze Zeit erhältlich und entsprechend schnell vergriffen. Um alles auf einen einzelnen Silberling zu pressen, schnitt man diverse Stücke heraus und änderte auch noch die Reihenfolge der Titel.
Diese Publikation hingegen bietet erstmals überhaupt das komplette Programm eines Konzertabends. Als Bonus gibt es zusätzlich etliche String-Versionen, die bislang lediglich auf Bootlegs kursierten. Der Mitschnitt folgt außerdem chronologisch der Setlist. Besonders letzteres garantiert die volle Packung von Cales sorgfältig inszenierter Dramaturgie.
Viel benötigt er dafür nicht. Lediglich Piano, akustische Gitarre und ein andächtiges Publikum kommen zum Einsatz. Das Ergebnis gerät intensiv und faszinierend: Sogar manches Aushängeschild der MTV-Unplugged-Ära und alle Studioscheiben Cales verblassen daneben.
Ein Zufall ist das nicht. Cale verbrachte die meiste Zeit der 70er und 80er in alkoholvernebelter Betäubung. In dieser Periode schrieb er zwar nicht wenige Weltklassesongs. Doch deren Umsetzung schwankte in punkto Arrangement/Produktion oft zwischen rumpelnd, spröde und klinisch.
Endlich trocken, brachte ihn ausgerechnet die erneute, letztmalige und superbe Kollabo mit Lou Reed ("Songs For Drella" im Gedenken an Andy Warhol) privat fast wieder an die Flasche, künstlerisch jedoch komplett zu sich selbst. Das Ergebnis sind diese hochemotionalen, ultimativen Versionen aller wichtigen Cale-Schlüsseltracks, die die voran gegangenen Originale allesamt überflüssig machen.
Geschickt webt er zwischendurch ein paar Cover als Highlights ein. Elvis Presleys "Heartbreak Hotel" wandelt sich vom Rock'n'Roll-Urgestein zur suizidalen Slowmotion-Depression.
Der von Cale bewunderte Leonard Cohen erhält eine Ehrung in Form der besten "Hallelujah"-Interpretation überhaupt. Jeff Buckleys berühmtere Variante orientiert sich späterhin in Stimmung und Tonfall bewusst an dieser Fassung. Er kaufte extra eine CD mit der Piano-Version, um sich von Cale inspirieren zu lassen. So gut Buckley dies auch nachahmt: An die Intensität von Cales zerquältem Sarkasmus kommt er nicht heran. Sogar Cohen bezeichnete diese Variation seines Originals einst als die intensivste. Parallel zum Reissue koppelt John Cale das Stück als begleitendes Video aus: Unbedingter Anspieltipp!
"I got the style it takes!" Die eigenen Nummern halten kompositorisch wie textlich lässig mit. Cales Zerrissenheit zwischen Klassik und Rock spürt man in nahezu jeder Sekunde des Gigs. Sie gebiert eine Klasse, die Fans Rotwein-kompatibler Emotionen ebenso anspricht wie Freunde rasender Gefühlsausbrüche.
Cales stolzer Gesang wandelt sich, gibt mal den Stoiker, dann den Melancholiker, ab und zu den glutäugigen Maniac. Die Hände am Piano tun es der Stimme gleich. Als herausragender Pianist mit individuellem Anschlag fegt er durch die gesamte Palette des Spektrums. Von perlendem Schwelgen hin zum Akkordhäcksler ist es oft nur ein kleiner Schritt.
Ein Entkommen aus diesem Strudel der totalen Empfindung gibt es für den Hörer nicht. Genau deshalb hat die Platte keine Halbwertszeit. Obwohl viele Tracks sofort ins Ohr gehen, ist der Lack durch Ungezähmtheit plus Komplexität auch nach dem 100. Durchlauf noch nicht ab. Kein Rost, purer Edelstahl!
Wer den Wahnsinn am Schlafittchen packen will, greife unbeirrt zu "I'm Waiting For My Man". Während Reed seinerzeit auf "The Velvet Underground & Nico" die abgestumpfte Heroin-Perspektive zeigte, knallt Cale seinem Publikum eine aufgeriebene Kokain-Version um die Ohren. Ähnlich knackig gelingt die nervenblanke Phobiker-Hymne "Fear Is A Man's Friend". "Life an death are just things you do when you're bored. So say, fear's a man's best friend!"
Diesem ganzen Adrenalin impft er als Gegengift eine hohe, geradezu betörende Dosis melodischer Killer. Das in Mittagssonne ruhende "Buffalo Ballet" genießt die allerletzten Wildwest-Augenblicke unbekümmerter Idylle, bevor ihm die aufkommende Zivilisation ein Synonym zur eigenen Ausrottung wurde. "Gold came and went, quickly spent!" Nach diesem Lied glaubt man kaum, es könne noch eindringlicher gehen.
Weit gefehlt! Ausgerechnet das in Studiofassung blutarme, kaum sichtbare "Dying On The Vine" ("Artificial Intelligence" 1985) mausert sich zum womöglich empathischsten Cale-Song überhaupt. Die Zeilen des Walisers schwanken zwischen Burroughsschem Surrealismus, drogenberauschtem Aussteigertum und der harschen Realität des Krieges. Doch Cale singt so befreit wie nie zuvor. Ganz bei sich und dem Song, dient er nur Melodie und Dynamik, um alles zu gewinnen und eines der besten Stücke zu erschaffen. Was für ein Hammer!
Danach kann eigentlich nichts mehr kommen. Dennoch schafft Cale es. Zum Ablöschen serviert er in nonchalanter Eleganz "Style It Takes". Seine liebevolle Hommage an Andy Warhol fasst das eigene Schaffen mit Velvet Underground plus die gesamte Philosophie von Popart und Individualismus auf gerade einmal drei Minuten zusammen. Gebündelte Leidenschaft und Kreativität, dargeboten als schöne Piano-Miniatur zum Genießen. "You want your freedom, make your freedom mine!" Sollte es mich jemals auf eine einsame Insel verschlagen und ich dürfte nur wenige Alben mitnehmen: Diese CD ist definitiv dabei.
3 Kommentare
Ok... Sowas von angefixt
Album für die Insel. Mein allerliebstes von Cale. Eine Best-of-in best-ever-version Scheibe.
Oh ja, John Cale...diese Scheibe ist definitiv eine der großartigsten aller Zeiten... und Signore Ulf...ich habe John Cale in den 80ern sogar live gesehen(Stuttgart in einem kleinen Club), also besoffen kam er mir nicht vor, den seine Performance war astrein! Bester Song damals: "Fear"...jagt mir auch Heute noch unendliche Schauer über den Rücken. Oh und "Dying for the vine" hatte er auch im Programm. Übrigens ich finde die Studio Version eigentlich auch ganz gelungen...und an den Rest hier bei LAUT:
ANHÖREN!!!!