laut.de-Kritik

Art-Pop in schaurig-ruhiger Atmosphäre.

Review von

"In The Same Room" ist ein eleganter Elektro-Popsong von Julia Holters zweitem Album "Ekstasis" aus dem Jahr 2012, der auf vorliegendem Werk zwar nicht zur Aufführung gelangt, aber den Zweck andeutet: Holter zieht Bilanz. Sechs Jahre, nachdem sie sich inspiriert vom griechischen Tragödiendichter Euripides dazu entschied, eine musikalische Laufbahn einzuschlagen, hat sich die stilistisch furchtlos hakenschlagende Singer/Songwriterin ein für Art-Pop-Verhältnisse riesiges Publikum erspielt.

Maßgeblich dazu beigetragen hat ihr bislang letztes Album "Have You In My Wilderness", mit dem sie es sogar in Londons altehrwürdige 2000er Location Shepherd's Bush Empire geschafft hat. Auch ich muss zugeben, mich erst 2015 in die Sängerin verliebt zu haben, als sie sich auf ihrem vierten Album von den abstrakten Klangskulpturen einer Joanna Newsom abwendete und stattdessen ein monumentales Folk-Epos vom Schlage einer Joni Mitchell servierte.

Da passt es natürlich wunderbar, dass "In The Same Room" vor allem Songs aus diesem Wunderwerk beinhaltet. Allerdings nicht in einem herkömmlichen Livesetting, sondern in besonderem Ambiente: Holters Album ist der offizielle Startschuss der neuen Livereihe "Domino Documents" ihres UK-Labels Domino, die in Anlehnung an die legendären BBC-Peel-Sessions Studio-Aufnahmen präsentiert, die innerhalb von ein bis zwei Tagen unter Live-Bedingungen in einem Londoner Studio aufgenommen worden sind.

Der 32-jährigen Pianistin gelingt zusammen mit Corey Fogel (Schlagzeug), Dina Maccabee (Bratsche) und Devin Hoff (Stehbass) ein intimer und musikalisch reduzierter Blick auf ihr Schaffen, der aufgrund der fehlenden Streichersätze wieder mehr Kammerpop-Charakter aufweist. "In The Same Room" funktioniert somit als eine Best Of der anderen Art.

Vom experimentellen "Loud City Song"-Album stammen der düstere Opener "Horns Surrounding Me", das hier aggressiver klingende "City Appearing" sowie das wie für solch eine Akustikvorstellung gemachte "In The Green Wild", das mit minimalsten Mitteln knisternde Spannung erzeugt.

Die Hits stammen derweil vom besagten "Have You In My Wilderness"-Album: Allen voran die Cembalo-Perle "Feel You", das einen immer und immer wieder geisterhaft heimsuchende "Silhouette" und der krönende, für Holters Verhältnisse beinahe breitbeinig stampfende Abschluss "Sea Calls Me Home". Dagegen führt sie uns im desillusionierten "How Long?" durch tiefsten Weltschmerz und zieht in "Vasquez" all ihre Jazz-Register.

"In The Same Room" belegt eindrucksvoll das Talent der Amerikanerin und ihrer Band für schaurige Atmosphären, die sich aus den großen Melodien herausschälen. Seelenruhig und kunstvoll umgarnt Holter ihre Zuhörer mit einem imaginären Band, ungefähr so wie die Szene mit den Bäumen im Video zu "Our Sorrows".

Man darf gespannt sein, wen Domino als Nächstes ins Londoner Studio bittet. Dirty Projectors oder Matthew E. White wären in solch einem Setting auch gut vorstellbar.

Trackliste

  1. 1. Horns Surrounding Me
  2. 2. So Lillies
  3. 3. Silhouette
  4. 4. How Long
  5. 5. Feel You
  6. 6. Lucette Stranded On The Island
  7. 7. In The Green Wild
  8. 8. City Appearing
  9. 9. Vasquez
  10. 10. Betsy On The Roof
  11. 11. Sea Calls Me Home

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