laut.de-Kritik
Der ganz offensichtliche Verrat am R'n'R.
Review von Jeremias HeppelerAls ich die aktuelle Kaiser Chiefs-Single "Parachute" höre, fasse ich kurz an meinen Kopf. Nur um mich kurz zu versichern, dass die Ohren nicht vor Schreck abgefallen sind. Entwarnung, alles noch dran!
Nichtsdestotrotz ist dieser Song ein echter Schocker. So glatt poliert, dass man als Hörer nicht eine Sekunde Halt findet. So vorhersehbar, dass man die Gliederung ohne jegliche Kenntnis vorzeichnen könnte. So willkürlich von gegenwärtigen Pophits abgekupfert, dass einen das Gefühl beschleicht, man hätte dieses Ding schon hundertfach gehört.
Vom Text wollen wir gar nicht anfangen. "Parachute" hat keine, aber wirklich gar keine Identität, ohne konkretes Vorwissen ist es de facto unmöglich ihn der Band aus Leeds zuzuordnen. Die Kaiser Chiefs sind augenscheinlich an einem Endpunkt angekommen, an dem sie alle Charaktermerkmale tiefenentspannt an den Nagel hängen und sich fortan vollends bei der grauesten Masse anbiedern. Das ist Mucke für die Zumba-Stunde. Nur eine Frage gibt Hoffnung: Meinen die das überhaupt ernst?
JA! Dieses Album muss man hassen. Weil es den offensichtlichen Verrat am R'n'R markiert. Allerdings kennen wir den Verräter schon seit Jahren als scheinheiligen Mitläufer, der spätestens seit "Ruby" auf einer ganz anderen Bewusstseinsebene schwebte. Seit "Yours Truly, Angry Mob" hat die Band vier Alben veröffentlicht, die außerhalb der britischen Heimat aber kaum interessierten.
Trotz durchgängiger Pop- und Dance-Einspritzungen bewahrten die Chiefs zumindest partiell diesen gewissen "I Predict A Riot"-Spirit. "Stay Together" aber ist die finale Abkehr vom Indierock hin zum ... ja, wohin denn eigentlich. Das Album erscheint als eine einzige Blase, deren durchsichtige Oberfläche zum Zerreißen gespannt ist. Dahinter aber, das zeigt uns der Blick durch das Gummiglas, ist nicht viel zu holen. Soviel vorab.
Bands entwickeln sich weiter, das ist legitim und wichtig, aber selten wurde die Motivation dabei so offenkundig zur Schau gestellt. Frontmann Ricky Wilson gab vor Release folgenden Nonsens bezogen auf den Musikkonsum der Band vor Konzerten zu Protokoll: "Wenn wir die neue Platte einer Gitarrenband spielen, dann denkt halt jeder 'Ja, das ist ganz gut!'. Als nächstes legt dann jemand Major Lazer auf und alle fangen an zu tanzen und drehen durch. Ich erinnere mich genau an meine Worte in dieser Nacht: 'Wisst ihr was, ich glaube nicht, dass wir dieses Mal eine Standard-Gitarren-Platte aufnehmen werden'".
Mit anderen Worten: Wir wollen Mainstream-Dance-Mucke. Wir wollen Kohle. Parra. Money. Passend dazu legte auch noch Neuproduzent Brian Higgins unfassbare Zusammenhänge frei: "Ich habe gemerkt, dass es hart ist, auf einem Kaiser Chiefs-Konzert zu tanzen. Ich dachte es wäre großartig, das Ganze mit ein wenig Groove zu verfeinern". Eigentlich wären diese Zitate Schall und Rauch, wenn sie nicht so punktgenau die Stimmung von "Stay Together" definieren würden. Irgendwie erscheint das ganze Projekt als so trashig, dass es schon wieder ein bisschen spannend ist.
"Hole In My Soul" könnte der Soundtrack einer total hippen Start-Up-Werbung sein, in der ein total hipper Dude durch eine total hippe Stadt marschiert und total hippen Kaffee schlürft. "How Do You Do It To Me" zündet die große Emotionenbombe: "Why do you always try to make me feel like a nobody ..." - die Explosion bleibt aber auf Tischfeuerwerk-Niveau. "Sunday Morning" klingt als hätte man die Libertines über zwei Wochen täglich mit einer Nagelfeile abgeschliffen. "High Society" gibt mit fürchterlichem Kopfstimmen-Massaker den nächsten Rohrkrepierer.
Zwischendurch gibts gleichwohl dezente Lichtblicke, die das Album im finalen Schritt vor dem Totalabsturz bewahren: "Good Clean Fun", das abschließende "Sunday Morning" und "Indoor Firework" lassen zumindest wieder ein wenig Charakter, New Wave-Spirit und Soul erkennen. Ein bisschen ehrliche und griffige Liebe zur Materie. Ein bisschen Schmutz auf der Oberfläche.
Insgesamt aber muss man diese Platte als Ärgernis, als einen schmerzhaften Dorn im Trommelfell bezeichnen. Selbst die versprochene Trash-Spannung wird nie eingelöst, dafür ist die Scheibe technisch schlicht zu versiert. Denn einige Punkte kann man der Band nivht absprechen: Die Produktion ist hochklassig und fehlerfrei. Da gibt es Streicher, instrumentale Bridges, wohin das Ohr nur reicht und kleinere schicke kompositorische Details.
Auch tanzbar und eingängig ist "Stay Together" in jeden Fall. Und wahrscheinlich wird das Teil ein Hit, eben weil es ein Hit sein will, weil es die Industrie und gegenwärtige Trends mitdenkt und sich so offensichtlich bei ihnen anbiedert. Das alles aber zerstäubt eine gestandene Band in vollkommene Belanglosigkeit.
2 Kommentare
Ich habe in die Platte reingehört. Und ja, leider muss ich dem Autor recht geben, die Scheibe ist einfach...scheisse. Und das tut schon weh, angesichts der Tatsache dass ich die zwei ersten Alben der Band (und im geringeren Masse auch noch das dritte) immer noch sehr mag, und bei Erscheinen total abgefeiert habe...Ruby hin, Ruby her..."I Predict a Riot", "Oh My God", "The Angry Mob", "Love's not a competition"...waren und sind einfach grandiose Songs (wenn auch ohne viel Anspruch, aber dass ist ja nicht unbedingt immer notwendig)
Ganz akzeptable Popmusik. Klingt stellenweise nach Simple Minds, Coldplay oder Duran Duran. Klar, dass die alten Fans enttäuscht sind, aber ob man sich jetzt bei den Strokes, Franz Ferdinand, 80er Poppern oder Major Lazer bedient, ist doch letztlich egal!