laut.de-Kritik

Von der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz.

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"Schenk mir dein Vertrauen, reich mir deine Hand", denn durch diese Schrottpresse gejagt, kommst du zwar mit Dachschaden wieder raus, aber: Es wird sich lohnen. "Denn unter Tauben und Blinden bleibt der Dachschaden unter der Augenbinde der letzte Ort, an dem dein Empfinden ein Zuhause findet."

Wer die Wupperclass ein wenig verfolgt, weiß, die sind wie die Krebszellen: "Ist es erst zu spät, wird es sehr schmerzhaft. Und es gibt keinen Weg mehr zurück, wenn du uns erst bemerkt hast." Zurück möchte man aber auch nicht, denn schmerzhaft gut ist, was die Brüder hier abliefern. Ein Abtransport in die "abgeranzte Elendsgegend meines Seelenlebens." In diesem "Schneckenhaus" kann man sich verlaufen. Vergisst man aber mal das Ziel und lässt sich einfach treiben, kann man sich vom kleinen Vogel so manches erzählen lassen.

Die Intention der Kamikazes ein Album zu schaffen, das (emotionale) Zustände aufgreift, ohne sie dabei thematisch abzuhandeln, ist definitiv gelungen. Textlich in seiner Vielschichtigkeit den Vorgängeralben überlegen, verwebt "Kleiner Vogel" fragmentarische Beobachtungen des Außen- und Innenlebens zu atmosphärisch dichten Bildern und Gefühlen: "Ich zerhau' die Wirklichkeit in tausend Stücke, tausend Augenblicke ausgeschüttet auf dem Bett, und die Frau mit den tausend Gesichtern krault mir den Rücken".

Diese Welt ist Kamikazes as usual: "Nur die Pisse bekennt noch Farbe". In autoaggressiver Rebellion wehren sich die Kamikazes gegen die Fesseln des Alltags. Und dass nur um ein ums andere Mal zu der Erkenntnis zu gelangen, dass der größte Kampf, den es auszutragen gilt, eigentlich der gegen uns selbst ist: "Ich hab Hass im Archiv und giftige Launen, doch nichts zu kämpfen da draußen, der Feind sitzt zuhause".

Mit einer Menge abgebranntem Gras in den Lungen und acht Eigenproduktionen in der Tasche, zelebrieren die Brüder die Sinnlosigkeit der eigenen Existenz: "Häng meine Zeit an die Leine zwischen leere Orte, das ist nicht leicht aber schwer in Ordnung" ("Kleiner Vogel"). Dabei ist die Akzeptanz der eigenen Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht ihre stärkste Waffe: "Du kannst Niederlagen feiern, nennst du sie beim Namen". Um den wunden Punkt herumtanzen, is also nicht. Die Kamikazes gehen immer voll auf die Zwölf, wenn es darum geht, die menschlichen Schwächen auszuloten. "Wir haben Strophen, die du fühlst wie tausend Tode / Keine Schonung, keine Biatch für den Chorus als Belohnung."

Die romantische Sehnsucht nach Befreiung, die in jedem Kamikazes-Track mitschwingt, wird in radikaler Selbstironie direkt kastriert: "Ich bin zurück unterm Küchentisch im Regenmantel". Im ständigen Spiel mit dem Freiheitsgedanken, führen die Brüder diesen kategorisch ad absurdum. Freiheit? Gibt es nicht. Außer im "Grandhotel Abgrund": "Kamikazes, denn nur Verachtung hält jung, wir spucken auf den Boden und drehn uns auf dem Absatz um". Dort ist immer ein Zimmer frei - für dich, mich und den kleinen Vogel. Besser als im Käfig ist es da allemal. Lasst uns "den Wahnsinn in die gute Stube bitten".

Wahnsinnig wirds auch mit "Folie A Deux". Hier fungieren die beiden Brüder als Gegenspieler, um sich im jeweils anderen wieder zu erkennen. Der Track ist eine gelungene Analogie zum Kampf mit sich selbst, und zeichnet in seiner Thematik des 'symbiontischen Wahns' ein komplexes Bild der Geschwisterbeziehung. Dicht gestrickte, starke Parts treffen hier auf elegantes Storytelling.

Die Wupperclass hat den Weltschmerz mit vollen Löffeln gefressen. Sie hat es aber perfektioniert, die von Selbstmitleid geschwängerten Bäuche eigenhändig mit bewundernswerter Coolness zu sezieren.

Auf "Nix muss" (produziert von Epic Infantry) und "Origami Flip" (produziert von Jay Baez) zersäbeln sie gemeinsam mit Prezident zudem auch noch alle "Michelin Männchen MCs". "Mit halbem Arsch im freien Sündenfall" ziehen sie breitbeinig (falls das mit halbem Arsch möglich ist) durchs Tal. "Ein gewisser Abstand zum wunden Punkt ist gesund." Bei aller Liebe zur Innenschau ist die Grenze nach außen immer noch klar zu markieren. Und so muss auch auf diesem Album wieder deutlich gesagt werden: "Egal wie anti du auch bist, wir sind antier".

Im Großen und Ganzen erfolgt mit "Kleiner Vogel" aber eine intensive Hinwendung zum eigenen Innern. Ein Auge schielt zwar - mit einer Menge grünem Qualm vor der Linse - immer Richtung Rinnstein, das zweite aber befindet sich in andächtiger Betrachtung des eigenen Seelenlebens, während das dritte mal mit dem Staunen eines Kindes, mal mit "juveniler Ignoranz", mal mit dem hämischen Grinsen eines verbitterten, alten Sturkopfs Anteil nimmt.

Die eigenen vier Wände hochgehen - das haben sie drauf, die Brüder. "In meinem Kerker leb ich jeden Tag als wärs mein erster." Wie um dies noch zu verdeutlichen, kriechen sie zum Schluss zurück in ihr "Schneckenhaus": "Verpiss dich mit deiner helfenden Hand, ich hab das Leben nie gekannt, das man bewältigen kann!". Der kleine Vogel hat uns abtransportiert und dann einfach liegen gelassen. Ein echt gutes Gefühl.

Trackliste

  1. 1. Kleiner Vogel
  2. 2. Nix Muss feat. Prezident
  3. 3. Fallen Summer
  4. 4. Schlüsselreize
  5. 5. Mythos
  6. 6. Antagonist
  7. 7. Folie a deux
  8. 8. Cousine des Todes
  9. 9. Origami Flip feat. Prezident
  10. 10. Grandhotel Abgrund
  11. 11. Schneckenhaus

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