laut.de-Kritik
Realnessdebatte beendet.
Review von Dani FrommPunk ist tot, Hip Hop ist tot, Grime sowieso. Sollte dem aller Unkerei zum Trotz doch nicht so sein, so kriegen die angeschlagenen Genres doch zumindest die ranzige Realnessdebatte nicht von der Backe: "They say grime is not poppin' like it was back then. Rap is not honest like it was back then."
Ja, ja. Früher war alles besser. Irgendwie tröstlich, dass die Vergangenheitsverklärungsmechanismen offenbar nicht nur bei uns bestens greifen. Auch in England scheinen sie davor nicht sicher. Zudem haben sie dort noch ein ganz anderes Problem: "How comes nobody credits us Brits?"
Eine Frage, die man durchaus stellen darf. Die lyrischen und vor allem technischen Fähigkeiten britischer MCs, insbesondere der Höllenspitter aus den Grime-Kellern, stehen, Dizzee Rascal vielleicht einmal ausgenommen, tatsächlich in keinem Verhältnis zu ihrer Popularität. Von Kano jedenfalls reden nach all den Jahren immer noch viel, viel zu wenige.
"My sound is the realest", postuliert der unterdessen schlecht gelaunt, was nur angemessen erscheint, denn: "Life can get really, really real." Besonders in Londons East End, das zu vertreten bei Kano allerhöchste Priorität genießt. Entsprechend birgt "Made In The Manor" von vorne bis hinten kompromisslose "real east end theme music", allerdings stark schwankenden Härtegrades.
Zwischen den ordentlich angepissten Willkommensgruß "Hail", den mit solidem Punkvibe nach vorne geprügelten Drums von "New Banger" und den Zugaben "Garageskankfreestyle" und, ganz bescheiden betitelt, "Flow Of The Year" packt Kano überraschend viele sanfte, beinahe schon zarte Töne.
"T-Shirt Weather In The Manor", ein detailreiches Porträt einer, Kanos, Hood, reitet zwar auch noch dreckige, rohe Klaviersounds. Der Sonnenschein mag sich in britischen Breiten etwas abmühen müssen, der allgegenwärtige karibische Einschlag in Melodien und den Vocals bricht sich dagegen weit entschlossener Bahn.
Mit Ragga- und Dancehall-Vibes durfte man rechnen. Verblüffender wirkt, wenn "This Is England" plötzlich eine astreine Soul-Hook auffährt oder "A Roadman's Hymn", ebenfalls verziert mit einer Menge Gesang, den Sirenen und dem Bass reichlich Streicherklänge unterhebt. "Now we're fuckin' rapping for fashion, now everybody is trapping." So weit gehen die Zugeständnisse zum Glück dann doch wieder nicht.
Außer mit den herrschenden Zuständen, die einem schon einmal den "Deep Blues" mitgeben können, und - erwähnte ich es schon? - mit seinem Viertel befasst sich Kano mit Zwischenmenschlichem. So sinniert er seiner aus den Augen verlorenen "Little Sis" hinterher und wälzt den Umstand um und um, wie sich einstige Freunde zu "Strangers" auseinander entwickeln konnten. Was soll man machen? Die Liebe, nach der alle so verzweifelt auf der Suche sind, kriegt man halt doch nur von Menschen, nicht von der Straße: "You hug that road but road don't show love."
... weswegen man ruhig zwischendurch ein wenig Zuneigung zurückgeben kann: "Our Quincy was Wiley, our Michael was Dylan." Grimes Quincy darf dann auch gleich im nächsten Track zusammen mit Giggs zu Fanfarenklängen aufmarschieren. Bei "Deep Blues" hat Damon Albarn die Finger mit im Spiel.
Trotzdem bleibt dieses Album von vorne bis hinten Kanos Veranstaltung: "I rep east London with the realest quotes." An der Aufrichtigkeit seiner Mission bleiben am Ende keine Zweifel bestehen: "Made in the manor so it's fuckin' authentic." Realnessdebatte beendet. Vielleicht sollte ich, statt mich über Herrenhandtäschchen und ähnlichen Mist zu wundern, wieder viel mehr Grime hören. "Can I get a Amen right now?"
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
ist fake das neue real oder ist real per se schon fake?
Die Grenzen verschwimmen
wie real muss man sein, um fake ausschließen zu können oder ist fake ein Produkt der Realness?
bin ich real, wenn ich an fakes erkenne, dass sie Realness faken oder fake ich um real zu sein?
Was hat das mit Real Madrid zu tun?
bin ich real, wenn ich andere als fake bezeichne oder ist mein Verhalten fake und deren real?
bin ich nicht fake, wenn ich mich selbst als real bezeichne oder sind die Faker real weil sie eben real bleiben beim faken?
Ich hoffe diese Fragen wird Pablo Escobar in Bälde klären. Es besteht Redebedarf