laut.de-Kritik
Nichts ist politischer als das zutiefst Private.
Review von Dani FrommSatte elf Jahre liegt "R.A.P. Music", der Grundstein von Killer Mikes überaus erfolgreicher Zusammenarbeit mit El-P, mittlerweile zurück. Als Run The Jewels haben die beiden hernach einen gar mächtigen zweiten Karrierefrühling erlebt und ihre Namen nachhaltig in die Hip Hop-Historie gekratzt.
Während sich die andere Hälfte des Duos, was politische Statements betrifft, stets etwas zurückzuhalten schien, war es für Michael Render mit Vollabriss nie ganz getan: Er nutzte seine neu hinzugewonnene Reichweite immer wieder, um sich zu positionieren und zu engagieren. Damit hat er viele beeindruckt, manche*n verstört, aber auch den einen oder die andere ordentlich vor den Kopf gestoßen.
Wenn er nun, nach über einer Dekade, wieder den Alleingang wagt und mit Titelgebung und Covergestaltung fett unterstreicht, dass es sich dabei um eine persönliche Angelegenheit handelt: Es hätte schon schwer verwundert, hätte sich dieses Album als irgendetwas anderes herausgestellt als ein hochexplosiver Molotov-Cocktail. Ein ums andere Mal führt "Michael" den Beweis, dass nichts politischer ist als das zutiefst Private.
Am offenkundigsten tritt die unauflösbare Verwobenheit dieser beiden Bedeutungsebenen in "Motherless" zutage. Ein Mann trauert um seine Mama, versucht, natürlich erfolglos, das Loch, das der Verlust in sein Herz gerissen hat, mit Worten zu stopfen: Intimer gehts eigentlich nicht. Michael Render erzählt hier nicht nur seine ureigene Geschichte, "a Black boy born to a teen mama". Er beschreibt damit zugleich die Situation ungezählter anderer Kinder von anderen Müttern, die selbst noch Kinder waren, als sie Mütter wurden.
Damit adressiert er ein strukturelles Problem. Aufgewachsen meist ohne Vater, im günstigeren Fall in der Obhut einer zugewandten Großmutter, in der Regel in finanziell klammen Verhältnissen, ungeplant, ungewollt, als ein weiteres in einer auch so schon endlos scheinenden Reihe von Problemen: Dass ein solcher Start ins Leben eine Bürde darstellt, an der die Betroffenen ein Leben lang, sogar über Generationen hinweg, zu schleppen haben, liegt eigentlich auf der Hand. Die Startbedingungen haben Auswirkungen darauf, wie Menschen ticken, funktionieren, reagieren.
Klingt banal, stimmt aber, und liefert auch eine ganz gute Erklärung dafür, warum "Michael" klingt, wie es klingt. Killer Mike möchte, so erklärte er sich unlängst in einem Interview, zum einen demonstrieren, dass er sich schon vor Run The Jewels einen Namen gemacht hatte, und er wolle zum anderen zeigen, wer dieser Michael sei: ein Schwarzer Junge aus Atlanta, nämlich. Einer Stadt im weithin konservativen, mit der Bibel wedelnden Süden der USA, in deren Geschichte aber auch die Bürgerrechtsbewegung eine wesentliche Rolle spielte.
Traditionen und das Aufbegehren dagegen liegen Michael Render also im Blut. Klar, dass ein Album, das seine Person und seinen Werdegang erklären soll, bis an den Rand vollgestopft sein muss mit Soul und vor allem mit Gospel. Sakrale Sounds, Orgeln und Chöre grüßen aus nahezu jedem Track, wenngleich sie auch nicht überall so prominent im Mittelpunkt stehen wie in "Shed Tears" mit seinem exaltierten, grellen Gesang, in "Slummer", "Motherless" oder dem abschließenden "High And Holy". Das kippt gen Ende vollends in eine Predigt: "Lay your worries down, give God all your burden." Für jemanden, der an die Kraft des Gebets glauben kann, vielleicht tatsächlich eine Hilfe.
Gekommen wie Moses, um sein Volk aus der Knechtschaft zu geleiten, hinterlässt Killer Mike dennoch keinen weltfernen, sondern einen ausgesprochen zupackenden, handfesten Eindruck. Die Worte Dave Chappelles, die "Run" eröffnen, scheint er sich zur Maxime erhoben zu haben: "You're a leader. Lead!" No I.D. räumt mit Fanfarenstößen den Weg dafür frei. Killer Mike packt jede Menge Schwarze Geschichte in seine Lyrics, aber auch eine bittere Beschreibung des gegenwärtigen Zustands: "The way to freedom ain't won", heißt es da. Die Konsequenz? "You gotta run." Run and hide? Run the country? Nicht anzunehmen, dass Killer Mike diese verschiedenen Deutungsoptionen versehentlich offen lässt, dafür wirkt alles an "Michael" schlicht zu schlüssig. Selbst an den Stellen, an denen der Backgrundgesang über die Bars schwappt und den Rap schier zu ersäufen droht, wenn alles überfrachtet gerät und entsprechend anstrengend zu konsumieren wird, erschließt sich irgendwie, warum es genau so, nicht anders, klingen muss.
Auch die zahlreich aufmarschierten Gäste ergeben Sinn, repräsentieren sie doch die unterschiedlichen Einflüsse und Stationen auf Killer Mikes Weg. Leider offenbaren sie auch seinen schon mehrfach demonstrierten Hang dazu, sich in schlechter, mindestens jedoch fragwürdiger Gesellschaft zu zeigen. Bei jedem Respekt vor und allem Verständnis für Schwarzen Aktivismus: Muss man wirklich dem ausgewiesenen Antisemiten Louis Farrakhan eine Bühne bieten? Einem Mann, der seine Titulierung als "Black Hitler" zur Ehrenbekundung uminterpretiert, weil seiner Meinung nach "Hitler ein großer Mann" gewesen sei, "ein großer Deutscher, der Deutschland aus der Asche geholt und zur größten Kampfmaschine des 20. Jahrhunderts gemacht hat". Äh ... sorry, das sind so die Momente, in denen ich echt nicht mehr mitkomme. Verbuchen wir vielleicht am besten generös unter: "You fucked up, that's okay. Ain't nobody perfect." Oder auch nur unter "You fucked up."
Neben Religion und Rebellion wird in Atlanta aber zum Glück seit jeher auch Rap mit großem R geschrieben. Also bereitet euch besser auf ein wahres Rapstar-Defilee vor, das deutlich weniger schalen Nachgeschmack hinterlässt: Mikes alter Mentor André 3000 ist mit im Boot und beschwört, genau wie Cee-Lo Green, den Geist vergangener Dungeon Family-Tage herauf. Mit 6lack geht zudem ein Crooner der nächsten (wenn nicht schon übernächsten) Generation an Bord, außerdem Future, Young Thug, Ty Dolla Sign, Curren$y und 2 Chainz ...
Kurz vor Schluss vollziehen Killer Mike und El-P in "Don't Let The Devil" doch wieder den Brooklanta-Schulterschluss und entfesseln die inzwischen bestens bewährte RTJ-Power. Spätestens hier wird aufs Neue überdeutlich, wie stark Killer Mike vom offenbar regulierenden Einfluss seines Partners (und von dessen Beats) profitiert. Nichtsdestotrotz: Interessant und erhellend war er, der tiefe Blick ins Innere dieses Michael Santiago Render.
3 Kommentare
Krasser Dude, feier ich seit jeher. Hab diverse Songs von diesem Album gesehen und gehört. Down by Law schon mal sehr stabil.
Ist erst einmal durchgelaufen bei mir, aber das holt mich komplett ab. Atmosphärisch superdicht, jede Menge Hits (wie geil is den bitte Don´t let the devil?!?) und die Features liefern auch. Schon lange nicht mehr so Bock gehabt, mich richtig mit der Erzählung auf nem US Rap Album zu beschäftigen. Erster Eindruck 4/5, könnte aber durchaus noch mehr gehen.
Mittlerweile einer aus meiner Top-5 Dead or Alive (in der sich, glaube ich kein Toter versteckt).
Texte, Technik & Delivery sind bei dem wahnsinnig stark und auch die Attitüde passt im großen und ganzen, auch wenn ich manche Widersprüchlichkeiten nicht in Abrede stellen will.
Das Album ist auch mal locker das bisher beste Rapalbum des Jahres, auch wenn es für mich ein paar Features weniger und (wie immer) ein paar Banger mehr sein könnten.
Außerdem nur Liebe für No.ID. Der sollte viel öfter als Executive Producer auftreten.