laut.de-Kritik

Der traurige Clown.

Review von

Selbst für australische Verhältnisse muss man Kirin J Callinan im besten Sinne des Wortes als verrückt bezeichnen. Der Mann reagiert förmlich allergisch auf jede Art von Textil, pinkelte sich für das Cover seines letzten Albums selbst ins Gesicht, steht bis heute in seinem Heimatland auf der Blacklist zahlreicher Venues, nachdem er sich bei einer Award-Show vor drei Jahren öffentlich entblößte, und seinen größten Hit landete er mit einer Comedy-Nummer über Cowboys und den Weltfrieden, deren Hook daraus besteht, dass sich Jimmy Barnes über einen House-Drop die Lunge aus dem Leib schreit.

Callinan macht Exzentrik zu seinem Mission Statement. Auch der Rollout seines vierten Studioalbums ist symptomatisch dafür. Die erste Single erschien bereits vor über zwei Jahren. Eigentlich sollte das Album bereits letzten Sommer folgen, doch der Australier entschied sich im letzten Moment dagegen und veröffentlichte die LP stark limitiert lediglich auf USB-Sticks und SD-Karten, die man auf einigen wenigen Konzerten kaufen konnte. Im Spätjahr zog Callinan die Promo-Spieluhr halbherzig ein weiteres Mal auf und versprach ein Release im Jahr 2024. Dieses Mal hielt er sich tatsächlich daran, und so können nun alle an dem Wahnsinn teilhaben, der seit dem Beginn der Pandemie in seinem Schädel herumspukt.

Wobei man das Album innerhalb des musikalischen Kosmos des Australiers schon fast als gemäßigt bezeichnen muss. Wo sich "Bravado" stellenweise wirklich anfühlte, als würde einem Callinan mit seinen musikalischen Mittelstrahl die Ohrmuschel ausspülen, erklärt er sich auf seiner neuesten LP deutlich eher dazu bereit, nach den konventionellen Regeln zu spielen und die Outsider-Rolle, die er zum Beginn seiner Karriere bewusst forcieren wollte, ein klein wenig aufzulockern.

"If I Could Sing" wohnt kein Krampf inne, keine Weirdness zum Selbstzweck. Das Album fühlt sich nach der bis dato ehrlichsten Selbstreflektion des 38-Jährigen an, der nicht mehr länger kalkuliert, womit er eine Reaktion aus seinen Hörer*innen entlocken kann, sondern einfach nur noch Musik macht. Der Katalysator dafür findet sich in der Liebe, respektive dem mit ihr einhergehendem Herzschmerz. Die Hässlichkeit, zu der er sich seine gesamte Karriere hingezogen fühlt, fällt ihm in der Folge quasi in den Schoß. Callinans vierte LP ist eine ambivalente Mischung aus brennenden musikalischen Mülltonnen und ermatteten Regenbögen.

"Young Drunk Driver" etwa klingt, als hätte Callinan alle Instrumente seines Studios gegen die Wand gedonnert und ein halbes Skiresort weggekokst. Heraus kommt einer der besten Popsongs der letzten Jahre, der inmitten seiner grandios zelebrierten Absurdität eine fast schon melancholische Dringlichkeit findet. Wenn Callinan die betrunkene Titelfigur darum bittet, ihm nur dieses eine Mal seine Schlüssel zu geben, weil er in einer göttlichen Eingebung sah, dass er hinterm Steuer sterben wird, gibt das nicht nur eine Killer-Hook her, sondern auch eine Allegorie auf gegenseitiges Vertrauen.

Auf der ersten Hälfte der LP setzt Callinan zur Flucht nach vorne aus einer zerbrochenen Beziehung an und bebildert das mit Pop-Songs, die ihre infektiösen Melodien in Bergen von Ketamin und Karnevalsmusik ertrinken. Auf "Anaemic Adonis" schüttet Callinan seinen Gesang so sehr mit Vocal Effekten zu, dass man fast ein Contact High bekommt. "Eternally Hateful" lässt seine Drums und Synths über eine smoothe Bassline komplett am Rad drehen, während der 38-Jährige hörbar Spaß daran hat, sich an seinem Ex-Partner abzuarbeiten und seine gemarterte Seele auf die Streckbank zu spannen.

Auf "Chop Chop", das klingt, als hätte Trent Reznor Frostschutz gesoffen, verliert Callinan endgültig den Verstand und dissoziiert Nonsens lallend auf der Clubtoilette. Hier bewegt er sich an der Grenze, an der das musikalische Konzept nur noch einen bedingten Mehrwert abwirft, der über stumpfe Exzentrik hinausgeht.

Man kann also fast schon froh sein, dass er für einen Großteil der LP einen anderen Weg einschlägt. Denn den richtigen Hosen-Runter-Moment von Callinans vierter LP hält der Titeltrack bereit, der sich des Themas komplett frei von ironischen doppelten Böden oder musikalischen Berauschungsmitteln annimmt. Stattdessen bekommen wir einen genuinen Love-Song serviert, der ungeschönt die Emotionen auf den Tisch legt. Seine Liebe sei eine Melodie in seinem Kopf, der schönste Song der Welt, und er ist sich sicher, dass sein Gegenüber ihm zustimmen würde, wenn er doch nur singen könne. Ein ebenso tragisches wie kitschiges Eingeständnis, das nur funktioniert, weil es Callinan mit größtmöglicher Hingabe besingt.

Auch "Crazier Idea" richtet den Blick nach innen und reflektiert in Form von ansteckend gutem Bowie-Worship über Callinans Drang zum Außergewöhnlichen, über die Jagd nach der nächsten verrückten Idee, sowohl in der Liebe als auch in seiner Kunst. Er singt: "We reap not what we sow / To save us from ourselves / And do the best we can / In our make believe/ I believe in a crazier idea": In Form von "If Could Sing" findet sich diese Idee oftmals nicht in der größtmöglichen Fanfare und dem wildesten Exzess sondern in den wenigen Momenten der Ruhe und der Ehrlichkeit.

Nichts verleiht diesem Argument so eindrucksvoll Nachdruck wie der Closer "...in Absolutes". Einen Song, dessen Melodie Callinan bereits mit 19 Jahren konzipierte. Bis er die richtigen Worte dafür fand, und bis diese Worte ihre Bedeutung entfalten konnten, dauerte es fast zwei Dekaden. Das Ergebnis ist eine mäandernde, nüchterne und zutiefst emotionale Auseinandersetzung mit Trauer, Liebe und Schmerz, die so nackt daherkommt wie kein Song in seiner bisherigen Diskographie.

Wenn Callinan bereits zuvor auf diesem Album zum Seelenstriptease ansetzte, dann reißt er sich hier auch noch die Haut vom Leib, bis sein blutendes Herz frische Luft atmet. Sechs Minuten lang versucht er, seine Situation zu relativieren und Metaphern für seinen Gefühlszustand zu finden, ehe ihn die Trauer übermannt und die Ehrlichkeit geradezu aus ihm heraussprudelt. "You broke my heart" schreit er als finales Statement des Albums unter Gitarrenjaulen in den Nachthimmel, und es fühlt sich wie eine Läuterung an. Wie der erste Moment, in dem nicht länger der Musiker Kirin J Callinan zu uns spricht, sondern der Mensch. Der Moment, in dem er aufhört, sich zu verstecken, zu relativieren, zu fliehen und zu fluchen. Der Moment, in dem er seine Stimme findet und endlich zu singen beginnt.

Trackliste

  1. 1. Bread Of Love (feat. Naeem)
  2. 2. Young Drunk Driver (feat. Hubert Lenoir)
  3. 3. Anaemic Adonis
  4. 4. Eternally Hateful
  5. 5. If I Could Sing
  6. 6. Crazier Idea
  7. 7. Chop Chop
  8. 8. It's The Truth
  9. 9. Untitled 8
  10. 10. My Little One
  11. 11. ...in Absolutes
  12. 12. Disdain's Not Dead

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