laut.de-Kritik
Wie Jarre und Kraftwerk auf 'Raumpatrouille Orion'.
Review von Martin TenschertCaroline Herve aka Miss Kittin aka Kittin stellt ein neues Solo-Werk vor, das ihren musikalischen "Cosmos" und ihre Sicht auf die Entwicklung der elektronischen Tanzmusik der letzten Zeit wiedergibt. Das Weglassen der "Miss" kann als Zeichen von Reife oder aber auch als Emanzipation von Erwartungshaltungen, die mit ihrer Electroclash Vergangenheit verknüpft sind, verstanden werden. Immerhin hat sie mit ihrem Kollegen "The Hacker" Anfang der 2000er den Electro Hype um Dj Hells Gigolo Label mehr als befeuert. Außerdem fanden auch ihre Skills als DJ große Beachtung, dabei wertet die Grenoblerin Sets auch gerne mit Effekten und Live Gesang auf.
So sehr sie auch als DJ präsent ist, so wichtig ist Kittin auch ihre Arbeit als Produzentin und Gestalterin eigener Tracks und Songs. Das Release-Datum ist gut gewählt, der Sound von "Cosmos" passt gut in die eher dunkle Jahreszeit. Diffizil, ausgereift, gerade NICHT die ganz große Rave-Fanfare. Ästhetin, die sie ist, bleibt zualleroberst erst die Covergestaltung hängen, schwarz-weiß holzschnittartig und eine Hommage an das legendäre "Unknown Pleasures"-Cover von Joy Division.
"Utopia" ist einer der hellsten Sterne in Kittins "Cosmos". Der Track ist als melancholische Elektro-Ballade angelegt, irgendwo zwischen dem (zurecht) omnipräsenten Jean Michel Jarre und Kraftwerk, die Dienst auf der Raumpatrouille Orion schieben. Analog, stilsicher präsentiert sich die Produktion. Sie wird zudem von Hervés Franco-Melancho-Vocals geadelt.
Beats sind bei einer solchen Klangfülle absolut überflüssig, für mich ist "Utopia" einer der stärksten elektronischen Songs der letzten Jahre. Trotz der Erfahrung, die Caroline die letzten zwei Jahrzehnte zu dem gemacht hat, was sie ist, flackert immer noch eine gewisse Unschuld und Naivität durch, die ihre Produktionen so einzigartig machen.
Ähnliche Qualität hat das hypnotische Sprechgesangs-Stück "Multiverse". Schön, dass auch hier die Rhythmik und Perkussion eher eine subtile, begleitende Funktion einnehmen. Dadurch kommen das Songwriting und die vielen kleinen, einzelnen Töne sehr viel besser zur Geltung. Ein weiteres Kleinod ist "Are You There". Kittin, die Kate Bush der Postmoderne. Herzschmerz, Kitsch, sirenenhaft sexy, verrucht. Und das alles noch umwoben von einer ambientesken Synthesizer-Armada. Ein ehrlicher, gefühlvoller Song aus Meister(innen)hand. Bleibt nur zu wünschen: Please keep going out on a hunt every day, every night.
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