laut.de-Kritik
Zumindest Angst vor Veränderung muss hier niemand haben.
Review von Rinko HeidrichAlle guten Dinge beginnen mit Angst, behaupten Franz Ferdinand und widmen dem von vielen Menschen als unangenehm empfundenen Grundgefühl das Album "The Human Fear". Wohl wahr, ohne Angst wären unsere Vorfahren sehr optimistisch, aber mit ungutem Ausgang in eine Mammutherde hinein gestolpert. Auch das berühmte Bauchgefühl kann vor schlechten Entscheidungen schützen.
In einer vernünftigen Dosis trägt sie zu unserem Überleben bei und führt zum sechsten Album der Indie-Veteranen. Mit dem Initialmoment "Take Me Out" begann auch in Europa die große Retro-Welle der Nullerjahre. Ein bedeutender Moment in der jüngeren Rock-Historie. Keine abgefuckten Ami-Rocker-Posen, dafür britischer Dandy-Style und schicke Tanzklamotten. Die Band aus Glasgow gehört in jede vernünftige Kanonisierung der Nullerjahre und bleibt auch für ewig darin verhaftet. Gut frisierte Rock-Musik für alle, nicht nur für den Boys Club. Die Aufregung um die Band ist schon lange abgeebbt, seitdem kehren sie alle paar Jahre zurück, wie die Einladung zum Klassentreffen.
Als ob seitdem nichts passiert wäre, kündigt Alex Kapranos in betonter Lässigkeit "Audacious" mit einem beiläufigen "Here we go with riff one" an und schüttelt ein Beatles-eskes Liedchen aus dem seidenen Hemdsärmel. Er weiß nach 21 Jahren Karriere mit Franz Ferdinand, was funktioniert, und bleibt bei dem bewährten Mix aus Post-Punk-Riffs und Songmaterial der klassischen Schule. Angst vor Veränderung muss die Fans nicht umtreiben, hier bleibt alles wohlgeordnet an seinem Platz. Funktioniert, dampft und produziert einen weiteren Ferdinand. Ach, wären Franz Ferdinand doch nur eine Kaffeemaschine.
"Build It Up" und ähnliche Schunkler im sicheren Verwaltungsmodus gälten als Garant für solides Handwerk. Nur darf und möchte ich als Musik-Fan doch mehr erwarten, weil diese Band mal für die aufregenden Momente des Retro-Rocks stand. Voller Adrenalin, atemlos und komplett durchgeschwitzt ließ einen seinerzeit etwa "This Fire" zurück.
Der Funk-Electro-Sound von "Hooked" soll noch einmal diese Gefährlichkeit vermitteln, das Potential, den Dancefloor mit einem Riff zu killen. Dabei klingt es aber sehr bekannt. Wie eine Gruppe Zeitreisender wirkten sie auch schon vor zwanzig Jahren, eigentlich konsequent, dass sie nun den alten Timbaland-Sound in die Gegenwart holen. Nach ein paar Durchläufen muss man zugeben: Es funktioniert ziemlich gut, auch wenn der Song eine gewisse Eskalationsstufe anteasert, die dann doch dem schottischen Coolness-Diktat weichen muss.
Verantwortlich für die prägende Synthie-Line ist übrigens Julian Corrie, der mit seinem Projekt Miaux Miaux spannende Electronic-Music veröffentlicht und als Keyboarder bei den Retro-Rockern unter seinen Möglichkeiten bleibt. Franz Ferdinand in Dance-Rock klingt ungleich spannender als der formelhafte Abschlusstrack "The Birds". Einer dieser Songs, die Franz Ferdinand in der Vergangenheit und sehr wahrscheinlich auch in Zukunft zu häufig auf jedes Album kopieren.
Schade um den wirklich guten Einstieg in "The Human Fear", der mit "Hooked" und "The Doctor" zeitweise für ein gewisses Kribbeln sorgt. Da kommt sie doch zurück, diese Motivation, wieder ein Konzert der Schotten zu besuchen. Denn bei aller Kritik am routinierten Ablauf ihrer Alben, beruhigt diese Verlässlichkeit ja auch. Du siehst ein Plakat der Band und bekommst den vollen Nostalgie-Kick in eine gefühlt einfachere Zeit. "Life is never going to be easy / but if you're living it with me / we're gonna livе it up night or day", verspricht Alex Kapranos in "Night or Day". Schön, solche treuen Freunde an seiner Seite zu wissen.
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