30. Oktober 2014

"Es gibt keine Alternative zum Der-Beste-Sein!"

Interview geführt von

Mit manchen Zeitgenossen kann man gar nicht oft genug sprechen: Deswegen treffen wir uns mit dem King of Rap auch zum sechsten Mal (und es wird hoffentlich nicht das letzte bleiben). Obwohl ihm die Prerelease-Party seines Albums "Märtyrer" noch schwer in den Knochen hängt, erzählt Kool Savas gerne und ausführlich und begründet unter anderem, warum er sich gut überlegen würde, noch einmal in eine Battle-Arena zu steigen.

Die S-Bahn hat Verspätung. Die Suche nach einem Taxi gestaltet sich verzweifelt. Irgendwann bin ich trotzdem endlich im Hotel NHOW in Friedrichshain-Kreuzberg angekommen. An der Rezeption: "Guten Tag ich möchte gern zu Frau Dingdong." [die zuständige PR-Dame, d. Red.] "Zu wem?". "Ich habe ein Interview mit ..." "Ah!" (ganz schüchtern, im Flüsterton) "Sie möchten zu Kool Savas!".

Beinahe ehrfürchtig beschreibt mir der Mann hinterm Tresen den Weg. Fahrstuhl, ankommen, ein weiteres Mal das neue Album "Märtyrer" anhören, einen Tag nach der Prerelease-Party. Gemütliches Sofa, Spreeblick und ein absolut entspannter Kool Savas, bereit für meine Fragen: Das Interview kann beginnen.

Willkommen zum mittlerweile sechsten Interview mit laut.de!

Juhu! Früher wars oft mit Max, ne?

Ja, und mit Dani, auf der Autobahn, irgendwo in Ostdeutschland. Wie war denn dein Tag heute?

Ich bin sehr müde aufgestanden. Diesmal hat mich echt der Wecker geweckt. Sonst wache ich immer von allein auf. Wegen der Party gestern war ich echt noch ein bisschen exhausted, aber jetzt bin ich eigentlich drin im Flow. Jetzt zieh' ich durch bis zum bitteren Ende!

Wie lang geht es denn heute noch?

Bis acht!

Puh. Na, dann los! Du hast es gerade schon angesprochen: Wie lief es gestern?

Ich fand es super nice! Ich war sehr sehr aufgeregt, aber ich glaube, es war gut, dass wir auch einige Fans eingeladen hatten. Die haben da echt nochmal so ein bisschen Pepp in die Bude gebracht, die hatten Bock. Und die neuen Dinger sind auch so angekommen, wie ich es mit gewünscht habe. Ich kann mich auf gar keinen Fall beschweren. Ich fand es sehr schön und hoffe auch, dass die Leute vorher und nachher Spaß daran hatten. Ich hab' extra die DJs darum gebeten, dass sie viel 90er-Hip Hop spielen, und so.

Ja, die Tracks gingen ziemlich nach vorn. Wie war die Zeit davor? Du hast ja noch auf der Bühne erzählt, dass du aufgeregt bist.

Ich war gestern und vorgestern sehr nervös. Vor allem, weil wir die Texte noch geprobt haben, und gestern hatte ich gar keine Zeit mehr zu proben. Vorgestern hatte ich auch Interviews, war bei Radio Fritz, das heißt vorvorgestern hatten wir geprobt … Weiß nicht, was war gestern denn überhaupt für ein Tag?

Donnerstag.

Ja, am Dienstag haben wir das letzte Mal geprobt. Dadurch war ich auch der Meinung, dass wir noch nicht sicher genug sind. Dann hatten wir gestern nochmal so einen Vordurchlauf, den wir auch für den Fall gefilmt haben, dass was passiert. Falls es einen großen Verzocker gibt, dass wir dann Footage haben, auf das wir ausweichen können. Insofern war ich doch sehr glücklich, dass das alles gut gelaufen ist. Aber davor war ich echt die ganze Zeit am hin- und hertigern und hab' mir auch 'nen kleinen Tequila gegönnt, um bisschen runterzukommen, weil ich doch echt richtig angespannt war.

Warum willst du eigentlich - ich bezieh' mich da auf ein Interview mit hiphop.de - jedes Mal "wie ein Gestörter alles töten"? Du bist 39 Jahre alt. Trotzdem bist du in "Märtyrer" ziemlich brutal und willst "durch den Takt rattern wie eine Nähmaschine". Was treibt dich an?

(Überlegt) Ich glaub', das ist eine Mischung aus verschiedenen Sachen. Zum einen bin ich aus dem Oldschool-90er-Rap hervorgekommen. Das heißt, dass es wichtig war, krass zu sein. Man musste lyrisch immer state of the art sein und immer top-notch krass abliefern. Solche Typen wie Big L, Jay Z, die haben damals schon krass gerappt. Dann gab es die Dudes wie Eminem, die brutal gerappt haben und nach wie vor brutal rappen. Das sind so die Dinger an denen ich mich orientiere. Ich will da flowtechnisch mindestens mithalten oder meine neuen eigenen Sachen erfinden, die teilweise krasser sind. Ich versuche einfach, krasser als die Leute zu sein, die ich auch selbst höre. Das ist für mich wie ein sportlicher Anreiz und es ergibt keinen Sinn für mich, sich auf irgendwas auszuruhen. Für jeden ist Musik etwas anderes, und für mich ist Musik auf Rap bezogen auch eine sportliche Competition. Manche tragen das über Verkaufszahlen aus, andere wollen einfach eine schöne Melodie haben, und wieder andere wollen einfach nur so Emozeug machen, mit Unter-die-Haut-gehen. Bei mir ist es so: Ich will die Gänsehaut dadurch erzeugen, dass ich irgendwie einfach am Zeiger drehe, dass die Leute sagen und denken: "Der rappt krank, und das macht trotzdem noch Sinn."

Und dann ist da natürlich irgendwo noch so ein innerer Antrieb. Ich weiß nicht, woher der kommt, aber für mich gibt es keine Alternative zum Der-Beste-Sein. (Lacht) Das klingt jetzt voll … Das ist halt voll schwer, darüber zu reden, ohne dass es unbescheiden klingt. Aber ich meine das dann schon auch ernst. Ich will wirklich einfach der Beste sein.

Ich glaube, mittlerweile wird das ganz gut aufgefasst.

Naja! (Lacht)

Du hast einmal darüber gesprochen, dass du früher Texte analysiert hast. Letztens hast du außerdem erzählt, dass du Ami-Rap hörst und …

Ja, besonders viele Battles.

… und viele Battles, genau. Analysierst du die heute auch noch?

Ja. Aber nicht mehr so wie früher, dass ich versuche zu verstehen, wie die Leute reimen. Wie man das so macht, dass es im Takt so flowt, dass man sagt: "Geil, das passt gut", weißte? Da gab es verschiedene Strömungen und verschiedene Styles und Satzlänge und so, und ich bin da schon sehr sehr analytisch/mathematisch rangegangen. Das ist natürlich auch nicht alles, aber wenn man es runterbricht, ist das das Grundfundament. (Überlegt) Wenn es reine Gefühlssache wäre, dann könnte man heute besser rappen, und am nächsten Tag wieder schlechter. Das heißt, man kann da jetzt nicht wirklich eine messbare Entwicklung feststellen. Wenn ich mir anschaue, was ich früher gemacht habe und was ich jetzt mache, sag' ich immer, meine Musik hat keine lineare Entwicklung vom Gefühlten und vom Geschmack her. Aber vom Technischen und davon, wie man die Silben setzt, ist da schon eine Entwicklung zu hören.

Musst du dann heute weniger analysieren als früher? Gibt es so etwas wie ein absolutes Gehör für Rap?

Früher war das ja alles Neuland für mich, weißte? Jetzt ist es schon so, dass ich merke, dass mir komplexe Sachen einfach fallen. Natürlich gibt es Dinge, die technisch stellenweise unmöglich für mich sind. Wenn zum Beispiel ein Twista oder ein Eminem eine gewisse Geschwindigkeit haben. Da wird es bei mir ziemlich undeutlich. Ich kann ziemlich schnell rappen, aber im Doubletime gibt es so eine Maximalgeschwindigkeit, wie "Zweifel Und Bestätigung". Viel mehr kann ich da jetzt auch für mich persönlich nicht machen, viel mehr Silben sauber aussprechen, das krieg' ich nicht hin. Aber jetzt ist es schon so, dass ich mir Sachen anhöre und die direkt peile und verstehe: "Okay, so und so macht der das." Es kommt einem nicht mehr wie Zauberei vor.

Und deswegen bist du der Beste? Weil du alle anderen verstehst und dich krasser findest?

Ne, dann könnte ja jeder von sich behaupten, dass er eine Struktur oder sonstwas versteht und behauptet, sie auch umsetzen zu können. Jeder könnte sich einbilden, das zu können, aber ich kann die Struktur umsetzen. Man hört das dann auch. Man hört dann auch, dass ich mit Pattern spielen kann. Ich kann machen, dass es sich anhört wie ein Big Pun, wie Eminem oder so ein bisschen offbeat, laidback rappen wie Jay Z. Ich glaube, dass andere schon sehen, dass man diese Möglichkeiten hat. Wenn es jetzt Kampfsport wäre, so MMA zum Beispiel, dann würde man sagen: "Hey, sein Grappling ist krass" oder "Sein Stand Up ist krass", "Der boxt gut" der kann dies gut, der kann das gut. Aber ich glaube schon, dass es bei mir eine Summe von allem ist.

In "Matrix" rappst du: "Das hier nennt man Mukke Slash Wissenschaft" Du hast mal in Bezug auf deine Skills gesagt, dass so ein Wissenschaftler immer fortwährend forscht, es sei denn, er steigt ganz aus. Forschst du auch? An welchen Herausforderungen in Sachen Technik und Rap sitzt du gerade?

Also, ich experimentiere nicht großartig, aber ich ändere die Nuancen immer wieder ab. Ich höre mir auch immer wieder mal was Altes an und überlege mir, was ich da gut gemacht habe und was ich verbessern kann. Das sind manchmal Kleinigkeiten, wie du zum Beispiel deine Backups setzt. Früher habe ich eine Zeit lang die Backups sehr leise gehaucht, was mir irgendwann gar nicht mehr gefallen hat, weil das die Sache zu sehr verfremdet hat. Jetzt achte ich darauf, dass ich zwei Spuren sehr, sehr genau übereinander rappe, so dass das wirklich ganz fest und stark klingt. Jetzt versuche ich, mit der Stimme schon eine Grundmelodie zu haben, aber dadurch, dass mein Flow schon so abwechslungsreich ist, will ich jetzt lieber powern. Ich habe 'ne Zeit lang ganz leise gerappt, später lauter und so, aber diese Dynamik versuche ich, wegzulassen. Jetzt halt powermäßig durchballern, aber schon auch mit Stops. Gerade "Matrix" ist ein Song, in dem man das hört. Ich mag das, den Flow so unerwartet zu verändern. Wenn vorne ein Reim ist, dann passiert ein paar Zeilen was ganz anderes, und dann kommt plötzlich ein Reim, der sich auf den ersten bezieht. Solche Sperenzchen mag ich. Ich mag es auch, Dinge einzubauen, die man vielleicht auch erst beim zweiten oder dritten oder vielleicht erst beim 20. Hören mitbekommt.

"Ich hatte viel weniger Kopfkrisen als sonst"

Wie das mit den Körperteilen. [Anm. d. Red.: An dieser Stelle wollen wir noch nicht mehr verraten.]

Genau. Es fällt niemandem auf. Da bin ich persönlich super stolz drauf. Wenn das jemand anderes gemacht hätte, würde ich es zu Tode feiern! Das ist, glaube ich, auch der Einfluss, den ich durch den Battlerap in den Staaten, mit den "schemes", habe. Dass die da Sachen auf zwei Ebenen ablaufen lassen, wie eben das mit den Körperteilen, wenn ... [Anm. d. Red.: Auch an dieser Stelle nicht!] Solche Sperenzchen! Denn irgendwann macht es Klick, und du denkst dir nur "Alter! Was ist denn mit dem los?!" Ich mag das auch selber, wenn ich andere Sachen höre, dass es dann Klick macht.

Da erübrigt sich schon fast die Frage, wie wissenschaftlich-analytisch du schreibst ...

Sehr wissenschaftlich!

... und wir können direkt über dein Album sprechen. Bei hiphop.de hat eine Umfrage ergeben, dass "Märtyrer" das mit Abstand am meisten erwartete Album für November ist. Die Platte kommt am 14. November. Du hast sinngemäß gesagt: Märtyrer sei zu einhundert Prozent Rap und das, das du dir rapmäßig von anderen MCees wünschst. Ist es deswegen dein bestes Album, oder das Album, mit dem du vielleicht jetzt schon am zufriedensten bist oder sein wirst?

Jetzt gerade mit Sicherheit. Ich war mit "Bello III" auch super zufrieden, und "Aura" mochte ich, weil es gewisse Grenzen gesprengt hat. Nicht so extrem gesprengt, sondern so, dass man gemerkt hat, dass da noch eine Stufe draufgekommen ist. "Der hat da nochmal was gemacht." Bei "Bello III" hat man gemerkt, dass ich mich songwritingmäßig mit den Hooks echt verbessert habe. Und bei "Aura" ist zum Beispiel "Nichts Bleibt Mehr" einer meiner absoluten Liebslingssongs. Der ist genau so geworden, wie ich es mir gewünscht habe, mit dem Scala-Chor und meinem Dad am Anfang, mit dem Gedicht. Das ist emotional, das ist gut gerappt, da passt alles. Und Jetzt bei "Märtyrer" ist es wieder so: voll eingesetzt, alles was ich irgendwie kann, aber dann doch total gnadenlos, erbarmungslos, ohne auf die Charts zu gucken, ohne irgendwelche Kompromisse! Ich habe früher auch nicht gehofft, dass was in den Charts abgeht, aber das ist jetzt halt wirklich purer Rap. Aber dann doch noch Hitrap, also nicht nur öde, sondern Song für Song, und das steht für etwas.

Ich finde, dass das ganze Album sehr hungrig klingt.

Geil, habe ich oft gehört! Super!

Da stell' ich mir die Frage, was da eigentlich bei dir passiert ist. Vielleicht hattest du gar keine andere Wahl, du musstest jetzt ein Rap-Album machen.

Nö, ich ...

Ich habe ein Rap-Album erwartet, ohne einen spezifischen Grund zu haben. Du hast in den letzten Monaten ja auch nicht so viel preisgegeben.

Ja? Vielleicht ist es auch das, dass man sagt, sowas schön Ungewohntes. Vielleicht war das auch das. Wenn tausend Leute sowieso schon erwarten, dass das nächste Album voll mit Gesang sein wird, vielleicht denkt man dann unterbewusst schon: "Ja, wartet mal ab, ihr werdet schon sehen!" Aber ich war super relaxt, ich hatte viel weniger Kopfkrisen als sonst. Ich befinde mich auch privat in so einer angenehmen und sicheren Komfortzone und konnte mich einfach auf das Album konzentrieren. Ich saß in Bamberg, hab' an meinem Album geschrieben, hab' da mein Zeug gemacht, hab' mir ganz viel Zeit gelassen, um Beats zu hören, und hab' mir einfach gesagt, dass ich durchziehe, dass ich einfach mein Ding mache.

Wie viel Beats waren es diesmal? Wieder 500 bis 2000?

Es waren sehr, sehr viele, weil ich ja auch einen Aufruf über Twitter und Facebook gestartet habe, dass die Leute mir Beats schicken sollen. Ich hab' solche Unmengen an Beats bekommen! Ich habe es zwar leider zu spät gestartet, so dass ich nur eine Woche hatte, aber die Leute haben mich bis zum Gehtnichtmehr zugespamt. Ich wollte aber auch nicht eklig sein und wollte wirklich sagen, dass ich mir jeden Beat mindestens einmal anhöre. Das wurde dann irgendwann so mühsam, dass wir teilweise nächtelang kurz vor dem Einschlafen dagesessen sind und einfach nur Beats gehört haben, die ganze Zeit. Das sieht man auch der DVD in der Limited Edition. Dann haben wir angefangen, rauszufiltern. Dann habe ich mir die nochmal angehört und nochmal. Das werde ich das nächste Mal auf jeden Fall auch wieder so machen. Es war richtig geil, weil man auf einmal so einen Pool an Möglichkeiten hat. Und das an einer Stelle, an der man sonst immer so reduziert war, wo man sonst immer bei Null anfangen musste. Trotzdem sind viele Beats von Smoove und mir drauf, weil es natürlich nochmal etwas anderes ist, wenn man punktgenau auf seinen eigenen Geschmack produziert.

Den Beat von "Rap Über Rap" hast du beispielsweise zusammen mit Smoove produziert. Gerade bei dem Track habe ich wegen der Synthies und Bässe einen großen Kontrast bemerkt. Ganz zu Beginn hat man das Gefühl, dass man den Beat schon kennt, und von einem auf den anderen Moment wird man vom Gegenteil überzeugt. Hast du viel mit solchen Brüchen gearbeitet? Bei "Es Ist Wahr" ist das ja ähnlich: Wer rechnet nach einem Kindersolo mit solch einem Brett?

Schön, dass du das bemerkst! Das ist ja schon eher so eine Sache, über die sich Musiker - hoffentlich - Gedanken machen und über die ich mir Gedanken mache. Bei "Rap Über Rap" habe ich die Drums gemacht. Wenn wir zusammen produziert haben, habe ich meistens die Drums ausgesucht. Ich habe zu Smoove gesagt, dass ich voll Bock hab', 'nen Beat zu machen, bei dem die Drums Eastcoast sind und sich so anfühlen wie A Tribe Called Quest früher, wo es so in war, wo man so … (kleine Beatboxeinlage) … so ganz kleine Drums und dazu, aber dann doch die Melodie so Downsouth-artig, weißte? Diese Downsouth-Beats haben ja auch oft, dass sie … (Imitation) oder (Imitation) … wie bei "Rap Über Rap". Da ist ja auch diese durchgehende Arpeggio-Melodie. Das zu kombinieren, hat nie jemand gemacht. Eastcoast-Sound mit Downsouth-Sound, das gibt es eigentlich gar nicht.

Und genau was du sagst, mit Kontrast: Das finde ich super. Auf dem Album kommt das die ganze Zeit vor. Ich hab' das mal mit Essen verglichen. Essen schmeckt am besten, wenn es kontrastreich ist. Mit dem Cover ist es genauso: Ein gezeichnetes Cover mit so einem asozialen Titel wie "Märtyrer", und dazu ein Kinderbild?! Das löst etwas aus. Genauso bei "Es Ist Wahr": Der Beat ist einer meiner Lieblingsbeats, weil der schon fast verstörend ist, das ist das Geile daran. Bei dem hab' ich mir auch gesagt, dass ich mir Zeit lasse, weil ich das Ding so sehr liebe. Ich wollte dem Beat gerecht werden und hab zu Smoove von Anfang an gesagt, dass er mir den safen soll. Smoove hat mir immer wieder Beats gesafet, und dieser Beat ist der einzige, der es wirklich über zwei, drei Jahre geschafft hat. Bei dem war immer klar, dass das mein Beat ist. Ich hab' den schon ganz früh Leuten vorgespielt und meinte nur: "Hör' dir den an, bei dem ist alles vorbei." Ich wusste einfach, dass der so besonders und so anders ist. Das gab es noch nie. Der ist so einmalig, für mich ist das ein Meisterwerk, ganz ehrlich! Und das, obwohl es so wenig ist: Das ist ein Drumloop und das Kindersample, und dann halt der Zusammenschnitt. Ich finde es Wahnsinn.

Hat man gestern auch an der Reaktion des Publikums gemerkt.

War krass, ne? Die Leute sind abgegangen!

In dem Skit ist deine Großmutter mit einer netten Geschichte zu hören. Bezüge zu deiner Familie ziehen sich durch deine Diskografie. In Hinsicht auf das Konzept von "Märtyrer": Willst du damit zeigen, dass du schon in sehr jungen Jahren, als du noch nicht gerappt hast, in der Lage warst, den "kindlichen Mittelfinger zu zeigen"? Du hast deine Großmutter ja ein wenig veralbert.

Nee, mir ging es eher darum, wie ich sie veralbert habe, sprich: Dass ich damals schon mit Worten was gemacht habe. Ihr jedes Wort andersrum zu sagen, fand ich witzig. Ich war wirklich kein freches Kind. Da war meine Großmutter auch viel zu sehr Autoritätsperson für mich. Daher hätte ich mir nie angemaßt, sie großartig auf den Arm zu nehmen. Das war so ein Level, mit dem ich und mit dem sie klargekommen ist. Ich war aber auch noch sehr jung, drei oder so. Ich find' es sympathisch.

In "Nie Mehr Gehen" von "Aura" gibt es eine Line: "Es stimmt …"

"... Märtyrer geraten in Vergessenheit, merkwürdig, ich fühle mich unsterblich, wenn ich Texte schreib'."

Genau! War das beabsichtigt oder einfach Zufall?

Teils, teils. Cool, du setzt dich mit den Dingern auseinander, das find' ich geil. Bei "Aura" zum Beispiel: Ich hab' ein Feature auf 'nem Kaas-Album gehabt, da hab' ich nur zwei Sätze gehabt, und am Ende "Aura" gesagt. Ich hab' auch schon auf "Bello II" "Aura" als Wort benutzt. In irgendeiner Form ist es oft so, dass ich auf dem einem Album auf das nächste Album hinweise. Diesmal habe ich das so nicht gemacht, weil ich wirklich nicht weiß, was das nächste Album sein wird oder wie es sein wird. Aber stimmt schon, dass da eine gewisse Verbindung zu "Märtyrer" besteht, mit dem Unterschied, dass ich auf dem jetzigen Album dieses Pathos gar nicht aufgegriffen habe, den andere Songs auf "Aura" aber haben.

Die letzten Male gab es immer wieder Gimmicks. Diesmal gibt es unter anderem eine Schablone. Folgt das deiner Forderung nach mehr Authentizität, Graffiti, back to the roots? Oder hattest du einfach nur Bock drauf?

Ich glaube, es hat diesmal ganz gut gepasst, weil ich seit einigen
Jahren Graffiti wieder für mich entdeckt habe und jetzt auch häufiger malen gehe. In der Promophase haben wir auch ein Märtyrer-Wholecar gemalt, das wir auch dokumentiert haben. Bei so einer Box überlegt man sich natürlich immer irgendwelche Spielereien. Ob dann so eine Schablone immer für jeden sinnvoll ist, sei mal dahingestellt. Ein Gimmick, so wie sich das Yps-Heft auch jedes Mal was neues für uns ausdenken musste, von den Urzeitkrebsen bis hin zum Furzkissen.

"Für ein gutes Battle müsste ich mich klonen"

Ein weiteres Mitbringsel in der Limited-Edition ist ein Zugang zu einem sogenannten Black-Twitter-Account. [Anm. d. Red.: erstmalige Zusammenarbeit zwischen Künstler und Twitter. Leute mit Code gelangen dort an exklusive Tweets] Du hast dich mal recht skeptisch über Social Media geäußert ...

Tu' ich nach wie vor

... und jetzt verkaufst du so etwas. Wie passt das zusammen?

Das passt insofern, dass ich nach wie vor meine Meinung dazu habe. Auf der anderen Seite kann ich das auf einer persönlichen Ebene machen, ohne darin zu sehr zu verschwinden. Ich nehm' das auch mit einer gewissen Gelassenheit und mit Humor. Für mich ist das nicht die echte Welt, auch wenn echte Menschen dahinterstecken. Schon allein, weil sich da jeder anders porträtiert, als er eigentlich ist, ist das für mich kein Grund, dort alles als bare Münze zu nehmen und zu akzeptieren, was da abgeht.

Auf der anderen Seite ist es natürlich sehr, sehr schwer, als Independent-Label zu sagen, dass wir vollkommen darauf verzichten, anstatt die Möglichkeit zu nutzen, sein - in dem Fall leider Gottes - Produkt auch zu bewerben und alles, was damit zu tun hat an die Leute heranzubringen, die sich damit auseinandersetzen wollen. Du hast Abonnenten bei YouTube, Twitter-Follower oder Leute, die deine Facebook-Seite geliket haben. Das ist heutzutage der Weg, wie man die Leute anspricht. Ansonsten müsste man wahrscheinlich für sehr viel Geld viel mehr Fernseh- und Radiowerbung schalten, und die Leute würden hinterher trotzdem noch fragen, auf welche Seite sie gehen können, um sich das anzugucken. Es ist ja so, dass die Leute das wollen. Deswegen muss ich es nicht selber total abfeiern.

Dieser Black-Twitter-Zugang ist für viele ein Extra, das sie interessant finden und deswegen für mich auch ein wenig ein Kompromiss, der der neuen Form der Werbung entgegen kommt. Ich verstehe schon, wenn man sagt, dass es vielleicht augenscheinlich andere Leute geben würde, zu denen das besser passt. Aber es kommt auch darauf an wie man darüber denkt.

Darüber bist du ja auch zu zwei oder drei Beats gekommen.

Ja, genau! Ich hab' es für mich positiv genutzt. Da war dann auch sehr sinnvoll!

Zurück zu deiner Musik: Du rappst immer wieder davon, wie sich Deutschrap entwickelt hat, seitdem du da bist, und betonst immer wieder dein Standing in der Szene. Besteht die Gefahr, dass du dich wiederholst.

[Frau Dingdong mischt sich ein: Nur noch fünf Minuten, ja?]

Puh, okay!

Jetzt rattern wir durch!

Glaubst du, dass du dafür mitverantwortlich bist, wie die Szene momentan aussieht? Folgende These: Du setzt den Maßstab, so dass alle anderen nur schlechter sein können und es automatisch nicht besser oder groß anders gemacht werden kann. Deine Kritik an der Szene wäre dann richtig, aber nicht unbedingt berechtigt, weil du zu krass bist.

(Lacht) Das wäre schön, wenn das so ist. Darüber habe ich so noch nicht nachgedacht. In meinem Fall ist das eine sehr schmeichelhafte These.

Konkreteres Beispiel: Da will jemand in eine bestimmte Richtung gehen, aber du bist schon da. Deswegen sagt er dann: "Da trau' ich mich nicht ran und gehe jetzt einen anderen Weg und mache zum Beispiel nur noch Trap."

Ich verstehe, was du meinst. Was dagegen spricht ist, dass, wenn ich mir irgendein YouTube-Video von einem super unbekannten Typen oder irgendein Freestyle irgendwo anschaue und da Potenzial drin sehe, und wenn ich finde, dass es irgendwie geil, dass es kreativ und fresh ist, dass es echt ist, dann poste ich das. Dann geb' ich dem auch öffentlich Props. Insofern sporne ich die Leute in irgendeiner Form auch an. Ich glaube, die These wäre richtig, wenn es so wäre, dass ich dann auch immer in die Wunde langen würde. Wenn ich sagen würde, dass das und das schlecht ist, das sind deine Schwächen, und so. Aber es ist schon so, dass, wenn ich bei jemandem Stärken sehe - auch bei meiner Konkurrenz - Props gebe. Natürlich! Ich freue mich über meine Position, aber auf der anderen Seite fänd' ich es supergeil, wenn es auch Konkurrenz gäbe. Das würd' ich auch abfeiern und es würde mich auch nochmal krass pushen.

In einem Interview bei Vevo hast du gesagt, dass die Rapper, die nur halb so alt sind wie du, eigentlich doppelt so gut sein sollten. Damit kritisierst du ja eine Leidenschaftslosigkeit.

Ja, mit Sicherheit.

Geht das mehr in die Richtung "Ich hab' mehr Leidenschaft als ihr und damit lebe ich Rap mehr!" oder ist das eher so Vater/Trainer-mäßig: "Ja, kommt schon, strengt euch mal mehr an!"?

Ne, ich glaube, dass es oftmals konstruktive Kritik ist. Wenn die mir zu sehr auf den Geist gehen und zu viel Unsinn erzählen, dann ist es schon auch so ein In-die-Grenzen-Weisen. Wodurch auch immer, sei es jetzt ein Song oder ein Statement. Auf der anderen Seite will ich nicht zerstören. Ich will lieber dazu beitragen und dabei helfen, dass wir was Schönes aufbauen können. Ich kann auf einem Festival sein und gerne in der Crowd stehen und auch andere Rapper abfeiern, egal welches Standing die haben. Egal, ob jemand 20 Stufen von Verkauf und Fame unter oder über mir steht. Ich muss nur das Gefühl haben, dass wir in einem Boot sitzen und an einem Strang ziehen, dann mache ich das super gerne! Bloß wenn ich das Gefühl habe, dass das eine reine Ausbeutung der Hip Hop-Kultur ist, braucht man meiner Meinung nach auch keinen Rap machen. Natürlich kann jeder sagen, dass das Kunst ist, aber Rap war doch auf der einen Seite immer Competition und auf der anderen Seite immer ein Werkzeug, besonders für junge Menschen, um ihre Probleme in irgendeiner Form zu thematisieren oder auch anders auszuleben, in Form von Battles. Das hatte nie mit Respektlosigkeit und sowas zu tun. Deswegen bin ich meinen Konkurrenten gegenüber nicht respektlos. Ich versuche es auch nicht. Ich will einfach besser sein als die, das stimmt.

Oder du erwähnst sie erst gar nicht.

Oder so! Aber ich will nicht kaputtmachen, ich will lieber beim Aufbauen helfen. Oder kaputt machen und dann neu aufbauen, das können wir auch gerne machen. (Grinst)

Wir haben ja schon Battles angesprochen. Du hast die Absicht geäußert, mehr in Richtung MCeen zu gehen. Hast du eigentlich noch Lust, selbst anzutreten? Egal, in welchem Format?

Nee, ich glaube ich müsste mich zu lange dafür vorbereiten. Ich hätte zwar die Fähigkeit, das gut hinzukriegen, aber zwei Dinge: Zum einen weiß ich nicht, ob meine Nerven dazu ausreichen. Das ist der Grund, warum MCees, die noch kein großes Standing haben, das besser machen können. Die haben Zeit, um zu üben und können eine Niederlage einstecken, ohne dass es ihre Karriere zerstört - denn sie haben noch keine. Sie können das machen, lernen und gehen durch einen gewissen Prozess. In meinem Fall hätte ich immer das Gefühl, dass ich ein bisschen verliere, egal, was ich mache. Wenn ich gegen XY gewinne, dann ist es nur: "Ja, er ist der King of Rap, er muss ja gewinnen", und wenn ich gegen ihn verliere, sagen sie "Oah, er hat den King of Rap geschlagen." Zum anderen müsste ich gegen jemanden antreten, der auf meinem Level ist, und das müsste sich so hochpuschen und in einem Grande Finale entladen. Aber dafür müsste ich mich klonen. (Grinst)

Ganz andere Frage: Hast du dir eigentlich mittlerweile ein Wohnwagen gekauft?

Noch nicht, man! Ich bin immer noch ganz wild drauf. Ich laber' meine Frau schon voll. Nächstes Jahr wollen wir auf jeden Fall mal so eine Wohnwagengeschichte machen. Ich find' es cool, dass sie da nicht so abgeneigt ist. Sie ist aber auch kein großer Fan, weil ich ihr gesagt habe, dass das gewissermaßen auch eine Luxuseinbuße ist. Normalerweise bin ich auch faul, aber ich habe ihr gesagt, dass sie es lieben wird, weil es so gemütlich und so gechillt ist. Wenn man mit den richtigen Menschen campen geht, ist es das allerallerbeste und für mich das Maximum an Urlaub, besser gehts nicht.

Was steht in der kommenden Zeit noch an?

Jetzt kommen noch zwei Videos, und als nächstes großes Ding natürlich die Tour. Und dann bin ich eigentlich relativ offen. Ich werde vielleicht ein bisschen mehr Beats machen. Mal gucken!

Na dann! Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem Album und der Tour!

Ich danke dir, Alter!

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