laut.de-Kritik
Die Electropop-Pioniere machen deutsche Musik international salonfähig
Review von Erich RenzSie trugen die Plakette 'Made In West Germany' und erwiesen sich als unser größter Exportschlager seit dem Kunstlied: Kraftwerk aus Düsseldorf. Angetrieben von "Autobahn" und "Trans Europa Express", machte der 'Kling-Klang-Apparat' deutsche Musik wieder weltumfassend salonfähig. An ihrer Ikonographie bastelten sie auf "Mensch-Maschine" am fleißigsten und nachdrücklichsten.
Als Ralf Hütter und Florian Schneider aufbrachen, um sich in die Computerwelt einzufühlen, befanden sie sich auf datentechnischem Ödland. Wie an einem Tagebau saßen Arbeiter Hütter und Handwerker Schneider an ihren Schablonen, aus deren Muster sie sorgfältig einen synthetischen Flickenteppich zusammennähten und einige wenige Worte dazu gaben. Spätestens mit dieser LP wurde die Grenzsprengung offensichtlich und Kraftwerk waren zu den Pionieren einer neuen pop-elektronischen Grundsteinlegung geworden.
Ihr Verstand war blitzgescheit und bewies, wie Konzeptkunst nach "Sgt. Pepper" aussehen konnte. Sie zimmerten "Mensch-Maschine" zu einem 'Melting-Pot' minimalistischer Tongewinnung und attraktiver Rhythmus-Bauart. Das Albumcover orientiert sich am russischen Konstruktivisten El Lissitzky: Die Gruppe zeigt sich in Erscheinung, Funktionalität und Körperstarre so, als sei die Evolutionskette in Kraftwerks Musik beim Menschen noch nicht zu Ende gekommen.
Wenn sie von den Arbeitsmaschinen singen ("Die Roboter"), dann stellen sie konsequent bei ihren Auftritten Attrappen statt ihrer selbst auf die Bühne. Die ausgeklügelte Mechanik der Songs übermannt die menschliche Gelenkigkeit und entzieht ihr jede natürlich darstellende Genehmigung – zum Wohl der Perfektion. Diese ausgearbeitete Feinheit geht so weit, dass man bei "Spacelab" glaubt, einen Platz im Klanglabor ergattert zu haben.
"Metropolis" ist wie ein Nachtrag zur modernistisch aufgeputzten Stadt aus Fritz Langs gleichnamigen Film, "Das Model" lechzte seinerzeit als aufpolierter Schlager nach den Top Of The Pops und "Neonlicht" ist gefällig, klar, leicht. Schließlich ist der Roboter-Psalm "Mensch-Maschine" ein Fingerzeig auf den Hip-Hop, wie er uns heute von Jay-Z bekannt ist.
Dieses Album gelang ganz im Erfindergeist des Thomas Alva Edison, für den Genie zu einem Prozent Inspiration und zu neunundneunzig weiteren Transpiration waren. Vielleicht war es aber bei Kraftwerk andersrum?
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare
sehr schön, herr renz!
Großartiges Album!! Bei Metropolis hat man die Hochhausschluchten vor Augen und das Model ist natürlich ein toller Popsong.
Dennoch finde ich das Kraftwerk ihren absoluten Höhepunkt erst mit Computerwelt geschaffen haben.
@mobeat (« Großartiges Album!! Bei Metropolis hat man die Hochhausschluchten vor Augen und das Model ist natürlich ein toller Popsong.
Dennoch finde ich das Kraftwerk ihren absoluten Höhepunkt erst mit Computerwelt geschaffen haben. »):
Hurra, Zitieren klappt wieder!!!
@Alex (« stimmt, aber auch "mensch-maschine" bietet sechs klassiker in reinform. ich finde den bass von "neonlicht" einfach mörderisch geil. speziell in der katalog-version oder live ... hammer. »):
Ja, du hast absolut Recht Mensch Maschine darf in keiner ernstzunehmenden Plattensammelung fehlen. Allerdings finde ich persönlich Computerwelt besser. Allein schon wegen der konsequenten Durchführung des Konzepts. Vom Cover über Titelnamen bis zu den Texten (Interpol und Deutsche Bank FBI und ...), der Abbildug der Band und der Instrumente auf der Rückseite.
Außerdem ist das Argument mit den sechs Klassikern nicht gültig, da es auf beinahe jedes Kraftwerkalbum zutrifft und eigendlich alle Meilensteine sind. ;D
Schöne Serie. Gute Idee.
Was bei diesem Album wenig Erwähnung findet ist das grandiose, stilvolle Coverdesign. Komplett gegen den Strich seiner Zeit, mit dem Konzept der technokratischen Modernität auf Basis der "guten" 1920er.