laut.de-Kritik
Betörend, diese Platte zum Tattoo.
Review von Giuliano BenassiDie ersten Lieder überraschen. Im Opener spielt ein Bassist einen scheinbar einfachen Lauf, zu dem er aber gefühlt vier Hände und zwölf Saiten bräuchte, dann setzen verträumte, entrückte Streicher ein, die auch im folgenden "The Valley" zu hören sind. "Wild Fire" klingt gar soulig, "Don't Pass Me By" hätte mit einem twangigen E-Gitarren-Riff und viel Hall das Zeug zum neuen Bond-Song. Laura Marling auf den Spuren Adeles?
Nicht wirklich. Der neue Sound ist einerseits dem Umstand zu verdanken, dass die mittlerweile 27-jährige Britin ihr sechstes Album veröffentlicht. Begleitete sie ihre hohe, ausdrucksstarke Stimme auf ihren ersten Werken vor allem mit einer Konzertgitarre, ist sie nun in einer entrückten Indie-Pop-Welt angekommen.
Andererseits spielt Produzent Blake Mills, der schon John Legend, Conor Oberst oder Fiona Apple betreute, eine entscheidende Rolle. Er war es, der um Marlings Stimme und Gitarre ein verträumtes Geflecht aus Streichern, Hammond-Orgeln, Akustikgitarren und Bässen geflochten hat. Ganz einfach sei das zu Beginn nicht gewesen, gesteht Marling, die es gewohnt ist, alle Fäden selbst zu ziehen. Wie gewohnt erscheint das Werk auf dem eigenen Label.
Das Ergebnis gibt beiden Recht. Umso mehr im zweiten Teil des Albums, in dem beide zur Konzertgitarre greifen und sich nur noch im Hintergrund von weiteren Instrumenten begleiten lassen.
Dass die Aufnahmen in Los Angeles stattfanden, drängt den Vergleich zum Laurel-Canyon-Jazz-Folk zu Beginn der 1970er Jahre nur noch mehr auf. Zumal Marling, die oft mit Joni Mitchell verglichen wird, tief schürft. Was es bedeute, eine Frau zu sein, fragt sie sich. "Varium et mutabile semper femina" ("Launisch und schwankend sind die Frauen") schrieb der lateinische Dichter Vergil vor gut 2.000 Jahren. Der Titel des Albums leitet sich davon ab - wie auch das Tattoo, das sich Marling zu Beginn ihrer Karriere aufs linke Bein stechen ließ.
Einfache Antworten liefert sie natürlich keine, eher Beobachtungen. Die Stücke seien 2015 auf Tour entstanden, erklärt sie. Zunächst habe sie versucht, Frauen aus einer männlichen Perspektive zu betrachten, "doch dann dachte ich, 'das ist kein Mann, das bin ich'. Ich muss nicht vorgeben, ein Mann zu sein, um die Intimität zu rechtfertigen, die Weise, wie ich Frauen betrachte und empfinde."
Die Texte sind durchaus sinnlich, zärtlich und intim, jedoch nicht unbedingt sexuell zu verstehen. Das vermittelt Marling auch im selbst gedrehten Video zu "Soothing", in dem sich zwei Frauen in Latex auf einem Bett räkeln. Zum Schluss schwenkt die Kamera auf die Umgebung und deckt auf, dass sie dabei von einem Publikum beobachtet wurden.
"Das ist Tanz, nicht Sex. Ich wollte das Gefühl einer sich geschlossenen Intimität vermitteln, die dann von der Enthüllung unterbrochen wird. Und zwar auf eine offensichtlich nicht sexuelle Art. Wo sind unsere Grenzen? Was ist sexuell und was nicht? Und was ist überhaupt intim?" fragt Marling in einem Interview mit dem Rolling Stone.
Eine Quelle der Inspiration seien Rainer Maria Rilkes "Duineser Elegien" gewesen und die intensive (platonische) Beziehung des Dichters zur Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé, die wiederum Sigmund Freud und Friedrich Nietzsche eng verbunden war. In einem Brief Andreas-Salomés an Freud fand Marling eine für sie zentrale Aussage: Der Penisneid sei eine Erfindung des Mannes. Die weibliche Sexualität sei von Natur aus nach Innen gerichtet und erhalte sich selbst, sodass es keinen Mangel oder Bedarf an etwas gebe.
Marlings Aussage ist letztlich, dass Frauen vielleicht launisch und schwankend sein mögen, das aber ihre Stärke und nicht ihr Schwäche sei. Also ein feministisches Manifest? Nicht wirklich, spricht die Sängerin auch von ihrer maskulinen Seite und davon, dass Männer durchaus feminin sein können.
"I'd like to think that we're all a link / In what makes the world go round", singt sie im einen herausragenden Stück, dem akustischen "Always This Way": "But you'll be anything you choose / Fickle and changeable are you / And long may that continue" im weiteren, dem ebenfalls akustischen und eigentlichen Titeltrack "Nouel".
Alles kompliziert und doch so einfach, ebenso wie dieses betörende Album. Und der Basslauf zu Beginn: Der stammt nicht von einem einzelnen Instrument, sondern von gleichzeitig gespielten Kontrabass, E-Bass und mexikanischem Guitarròn.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Für den sexistischen Titel (mindestens "Semper Homo" müsste es schon sein) gibt es einen Punkt Abzug, aber dann bleiben ja immer noch 4/5. "The Valley" und "No, Not Really" sind besonders toll.
Sie hatte wohl Angst, man könnte ihr Album dann mit einem schwulen ostdeutschen Opernbesucher verwechseln.
Und wie zuletzt immer öfter bleibt jede Menge Langeweile.
Könnte gefallen
Die ersten und die letzten Tracks sind im.Grunde ziemlich fantastisch.
Gute Platte, gefällt mir
same
mal laura stevenson gehört?