laut.de-Kritik
Artistik ohne Vokalknödelei. Stimmgewalt ohne Geschrei.
Review von Dani FrommStimmengewirr, eine gesprochene Ansage, dicke Bässe, staubige Drums: "Runnin'" gibt gleich beim Einstieg den Blick auf eine überaus mächtige Kulisse frei. Um so verblüffender, dass Ledisi sich in diesem Wust nicht verliert. Im Gegenteil: Ihr kraftstrotzender Gesang krallt sich die ungeteilte Aufmerksamkeit von Beginn an.
"Abbey erreicht ihr Publikum, indem sie mit dem ersten Ton voll da ist, mit der ersten Note, die sie singt", schwärmte Ledisi einst im Interview mit der Jazz-Zeitung von einem ihrer großen Idole, der Jazz-Sängerin Abbey Lincoln. "Nach dem Motto: Ich krieg' dich, auch wenn du mich jetzt noch nicht kennst."
Es scheint, als habe das Vorbild Schule gemacht: Nirgends lässt sich Ledisi von ihrer Umgebung unterkriegen, sei der Sound auch noch so satt. Homöopathische Dosen Jazz, dafür aber ordentlich Blues und Rock würzen ihre Soul-Stimme. Man meint, eine Tina Turner zu ihren allerbesten Zeiten vor Ohren geführt zu bekommen.
Artistik ohne Vokalknödelei. Stimmgewalt ohne Geschrei. Pop-Appeal und Radiotauglichkeit, ohne austauschbar zu klingen: Der Großteil der kontemporären R'n'B-Divenschaft versucht einem seit Jahren weiß zu machen, es gebe all dies nicht. Ledisi tritt den Gegenbeweis an. Ihr "Turn Me Loose": ein einziger "Es geht doch!"-Schlachtruf.
Musikalisch schlägt das Album in die selbe Kerbe: Soul bedeutet nicht automatisch das Aufspringen auf den fröhlich rollenden Sixties-Zug oder das Surfen auf der Retro-Welle. Funky quakende Wah-Wah-Gitarren und voller Bläser-Einsatz grooven hier völlig up to date.
Der Killer "Knockin'" setzt auf rockende Blues-Gitarren, Orgel und Cowbells. Statt Claps aus der Retorte wird hier noch in die Hände geklatscht. Der abwegige Gedanke an etwaigen AutoTune-Einsatz versteckt sich angesichts Ledisis Gesangsleistung ohnehin im tiefsten Keller.
Die Diktatur des Dancefloors interessiert keine Sau. Nummern wie "Love Never Changes", bei dem immer wieder schräge, unerwartete Noten wirksam vor eventuell aufkeimender Langeweile bewahren, locken stattdessen unwiderstehlich auf den guten alten Tanzboden.
"Turn Me Loose" wirkt auf voller Länge schlicht echt. Das gilt unabhängig davon, ob in "The Answer To Why" - ein bisschen unspannend zwar, aber hübsch anzuhören - von einer Akustikgitarre flankierter Singer/Songwriter-Charme ausgepackt oder - wie in "I Need Love" - an den Reglern eines Synthesizers gedreht wird.
Eine Vielzahl verschiedener Produzenten, darunter Raphael Saadiq und Blackalicious' Chief Xcel, haben die Finger im Spiel. Dennoch und trotz der abwechslungsreichen Ausgestaltung groovt "Turn Me Loose" wie aus einem Guss.
"I need love", das wussten von John Lee Hooker über LL Cool J bis hin zu Robin Thicke bereits Kollegen aller Jahrgänge. Ledisi berichtet ebenfalls über das Leben, die Liebe und den ganzen Rest, ohne sich abgeschmackter Klischees zu bedienen. Noch etwas, das diese Frau der breiten Masse ihrer Kolleginnen voraus hat.
3 Kommentare
Da das erste grandiose Album so toll weggekommen ist, wird doch sicher auch dieser - wieder mal gelungene - Zweitling eine Review bekommen, oder?
Cool!
Traurig, dass so gute Mucke keiner hier diggt..
Hab mir gestern das Album gekauft, die Frau ist echt krass. Tolle Review by the way. Schade, dass ihr weiterer Weg nicht weiterverfolgt wurde. Wobei das Folgealbum leider bisschen enttäuschend ist, zugegebenermaßen. Aber diese Stimme! *_*