laut.de-Kritik

Der George Harrison von Sonic Youth vermeidet den Krach.

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Nach der Trennung von Kim Gordon und Thurston Moore sind Sonic Youth in ihre sonischen Einzelteile zerfallen. Während sich Gordon mit ihrem Projekt Body/Head feministisch grollenden Feedback-Improvisationen aus den Anfangstagen in New York zugewendet hat, versuchte Moore mit seiner neuen Band Chelsea Light Moving an den lauten, coolen Pop-Krach von SY-Alben wie "Dirty" anzuschließen.

Sie, die Verlassene, sucht also den trotzigen Rückzug in die Avantgarde, er einen Anknüpfungspunkt an die erfolgreichsten Jahre. Gitarrist Lee Ranaldo, treuer Weggefährte dieses langjährigen Traumpaars des American Underground, wird bei diesem längst psychologisch wie diskographisch geführten Rosenkrieg schnell vergessen. Vielleicht, weil er wie ein George Harrison (Ranaldo selbst findet diesen Vergleich ziemlich ulkig) immer etwas im Schatten der kreativen Antagonisten Gordon und Moore stand.

Dabei hat Ranaldo, vom amerikanischen Musikmagazin Spin zusammen mit Moore zum besten Gitarristen aller Zeiten gewählt, 2012 mit seinem Solo-Album "Between The Times And Tides" gezeigt, dass die Kompaktheit und Klarheit der späten Sonic Youth auch sein Mitverdienst gewesen sind.

Nach dem Traditionalisten Neil Young, bisweilen auch nach der Vor-Euphorie von R.E.M. klang dieses versiert hingegniedelte, aber auch sorgsam eingebremste Rock-Album, bei dem man sich vor allem daran gewöhnen musste, dass Ranaldo das Mikrofon mit seinem charakteristischen und doch wenig nuancierten Anwaltsgesang nicht nach maximal drei Songs wieder Gordon oder Moore überließ.

"Last Night On Earth" macht im Prinzip genau an dieser Stelle weiter, wenngleich Ranaldo auf dem neuen Album die Songs noch konsequenter an seinem Erzählstil ausrichtet. Allein sieben der neun Songs haben eine Überlänge von sieben Minuten. Sie kommen aber ohne die programmatischen Lärmsequenzen von Sonic Youth aus. Das fast zwölfminütige "Blackt Out", das den Hauch Existenzialismus eines New Yorker Künstlers im Angesicht von Hurrikan Sandy als thematischen Überbau des Albums mit einsam aufheulender Gitarre nachstellt, einmal ausgenommen.

Ansonsten ist es ein Album, dass in seinen komplexen Spannungszuständen einerseits an weithin unterschätzte SY-Alben wie "Murray Street" und "Sonic Nurse" erinnert, dabei aber auch einen Fokus auf die psychedelisch angehauchten Folk-Harmonien von Crosby, Stills And Young legt. Hübsche Songs sind dabei herausgekommen, etwa "Lecce, Leaving", das noch nahe am Indie-Rock von Built To Spill gebaut ist. Oder "Late Descent #2", das mit seinem dezenten Cembalo-Einsatz wie eine leichherzige Pop-Miniatur von Yo La Tengo klingt.

Einen offensichtliche Alternative-Hit haben Sonic Youth seit Jahren nicht mehr geschrieben. Lee Ranaldo will an diesem Umstand auch gar nichts ändern. Gleichwohl ist "Last Night On Earth", aufgenommen mit der Begleitband The Dust, der auch SY-Schlagzeuger Steve Shelley angehört, als Ganzes der eindrucksvolle Beweis, dass Ranaldo den Vergleich mit George Harrison besser ausfüllt denn je.

Trackliste

  1. 1. Lecce, Leaving
  2. 2. Key/Hole
  3. 3. Home Chds
  4. 4. The Rising Tide
  5. 5. Last Night On Earth
  6. 6. By The Window
  7. 7. Late Descent #2
  8. 8. Ambulancer
  9. 9. Blackt Out

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