laut.de-Kritik

Im Kampf mit dem Spießbürgertum - und der überforderten Stimme.

Review von

"Ich möchte den Leuten richtig auf dem Kopf rumhämmern, dass sie sich nicht zufrieden geben mit Konsum und kleinen Statements", erklärte Lena Stoehrfaktor vor einigen Wochen gegenüber der taz. Mit ihrer bisherigen Live-Band Das Rattenkabinett prangert sie nun auf Albumlänge "Spießbürgertum" und "sexistische Macker" an. Der Pressetext verspricht gar "eine neue Ära für rotzig, punkigen DeepCoreRap" mit der ihr eigenen Form der "Große-Fresse-Attitüde". Klingt übertrieben, aber nach der musikalisch recht festgefahrenen "Essenz EP" fällt jedes Wagnis begrüßenswert aus.

Als handele es sich um ein Album von Frauenarzt oder Blokkmonsta eröffnet "Die Zukunft..." mit einem spannungsgeladenen Synthesizer, den später schonendes Gitarrenspiel ablöst. Lena Stoehrfaktor verhallt dazu unverständlich im Hintergrund. Entweder haperte es an der Abmischung oder ihr Beitrag spielt für den wohl besser instrumental gehaltenen Song ohnehin keine Rolle. Extrem holprig klingt sie wiederum in der Single "Gather" mit der griechischen Rapperin Daisy Chain. Und "99 Flaschen" behandelt aufdringliche Männer, während E-Gitarren ihre überforderte Stimme traktieren.

Ordentlich schlägt sich Lena Stoehrfaktor dagegen in "Golden Horse". Auf der "Essenz EP" hat sie Rap noch mit einem Boxkampf verglichen, nun setzt sie das Musikgeschäft mit einem Pferderennen gleich. Ihre Stimme steht gut hörbar im Fokus, als sie auf der metaphorischen Piste von Hypes, Missgunst, Sabotage, Integrität, Labelpolitik und Konkurrenzdenken erzählt. Der Synthie-Sound weist die glattpolierte Route in Richtung Erfolg, dabei war das Gefecht längst verloren, als "im Vertrag das Kleingedruckte" übersehen wurde: "Und jetzt läufst du auf der Bahn deinen verfickten Träumen nach."

"Kerstin" beginnt als Lagerfeuer-Lied, weicht mit einem Dance-Sample aus "Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)" kurzzeitig auf tanzbare Gefilde aus, bevor schrabbelnde Gitarren eine Punk-Haltung vorgeben. Das wiederkehrende Sample von C+C Music Factory und Freedom Williams hätte auch anstelle eines Refrains funktioniert. Stattdessen stimmt Lena Stoehrfaktor einen melodischen Gesang an, der sich selbst zu wenig zutraut. Zur leisen Akustikgitarre am Anfang passt dieser noch einigermaßen, aber neben den elektronischen Gitarren als auditive Konkurrenz geht sie rasch unter.

Besser funktioniert sie im melancholischen "Niemals Rebellen", der sich am ehesten auf den Rap-Vortrag konzentriert. Lena Stoehrfaktor arbeitet sich darin zunächst an einer rassistischen, selbst ernannten "Alternative" ab. Schnell erweitert sie das Spektrum und beleuchtet das Thema in seiner vielseitigen Abscheulichkeit. "Sie spielen tolerant, wollen Weltfrieden schaffen", erklärt sie und weckt dabei Assoziationen zu pseudolinken Manifest-Verfassern und ehemaligen Bild-Chefredakteuren mit eigenem YouTube-Kanal: "Sie lachen über impulsive Wutbürger, aber brauchen sie als Zuhörer."

Sie "hassen die Schwachen", dürfte ein gemeinsamer Nenner der Querfront sein. Faschismus und Frauenhass gehen dabei Hand in Hand. "Wenn Herrenmenschen es krachen lassen, sind alles Fotzen außer Mutti, weil die ihnen das Essen machen", schlägt sie in "Seeräuber Lena" gegen komplexbeladene Männer zurück, die ihre Gewalttätigkeit vornehmlich im Schutz der Gruppe ausleben. Als recht rabiate Auslegung ihres Vorsatzes, "Finger in gesellschaftliche Wunden" zu legen, rollen am Ende wortwörtlich Köpfe. So liefert sie die versprochenen Statements, die jedoch zu oft im Sound untergehen.

Trackliste

  1. 1. Die Zukunft...
  2. 2. Golden Horse
  3. 3. Kerstin
  4. 4. Niemals Rebellen
  5. 5. Gather (mit Daisy Chain)
  6. 6. 99 Flaschen
  7. 7. Immer Wenn Es Knallt
  8. 8. Seeräuber Lena
  9. 9. Für Euch (Knochen Brechen, Herzen Sind Stabil)
  10. 10. ...War Gut

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2 Kommentare

  • Vor einem Jahr

    Ich mag tatsächlich vieles, was sie macht. Doch ich finde das hier tatsächlich auch ein wenig durchwachsen. Positiv ist, dass sie in Sachen Flow und Performance große Sprünge gemacht hat, nur ist die Stil-Wahl nicht ganz so mein Geschmack.

    Rock und Rap in Kombi ist für mich immer schon eine schwierige Kombi gewesen. Bei Rage Against The Machine und einigen Nu-Metal-Bands hat das gut funktioniert, weil die Stimmen und Performances auch auf die Instrumentale passten. Lena hat ziemlich markante Vocals und eine eigene Art, Worte zu betonen und das passt meiner Meinung nach mehr auf alternative Boombap-Sachen wie man es z. B. bei Earl Sweatshirt oder The Alchemist findet. Hinzu kommt, dass das Mixing bei Rap Vocals mit verzerrten Gitarren wirklich eine Herausforderung ist, die hier bei vielen Songs einfach nicht gut bestanden wurde.

    Aber hey, gute Message und sie soll sich ausleben.

  • Vor einem Jahr

    Nicht meins, aber wer mit Stimme und Flow klarkommt, wird hier seine Freude haben. Experimente in die Rockrichtung find ich immer gut. Klappen nur leider fast nie. "Wie ein Schuss" von Banjo kam noch relativ nah dran, das hat er dann allerdings mit dem unhörbaren Rockprojekt mit'm Arsch wieder eingerissen.