laut.de-Kritik

Memes, oder: Wie die Musikindustrie sich selbst frisst.

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Man kann sich nur ausmalen, wie er da gestanden hat: Lil Nas X, der neue heiße Scheiß. Drei Monate auf dem ersten Platz der Charts mit "Old Town Road", einem der größten Hits der letzten zwanzig Jahre. Country-Trap. Meme-Rap. Ein zwanzigjähriger Niemand aus Atlanta schlägt im Meeting des Major-Labels auf, das ihn auf den Erfolg des Songs hin unter Vertrag genommen hat und steht etwas verloren den CEOs, Produzenten und Songwritern gegenüber. "Hmm", wird er gesagt haben. "Hmm", wird der Raum tonlos echoen. "Hmm" ist in der Tat die perfekte Beschreibung dessen, das als erstes Release aus diesem Erlenmeyerkolben emporsteigt.

Das Problem an Lil Nas X ist, dass er ein Späßchenmacher ohne wirkliche Identität ist. Vom Twitter-Meme-Dude zum ernsten Rapstar sind es eben doch mehr Schritte als ein viraler Hit, und auch wenn "Old Town Road" vieles ist, von unverschämt catchy bis legitim ansprechend, ist es doch kein besonders ernster Song und schon gar nichts, das ernsthaften Einfluss auf die Musikszene hat. Es ist im Endeffekt einfach nur ein Trap-Song mit einem Nine Inch Nails-Sample, das etwas nach Country klingt. Young Thug hat das mit "Family Don't Matter" auch schon gemacht, nur eben weniger glatt und ohne den einschlägigen Chorus.

Was Lil Nas auf "7" dann zusammenrauft, um "Old Town Road" nicht zum absehbaren One Hit Wonder werden zu lassen, ist ein Konglomerat an halblebigen Song-Entwürfen, die mit den Ideen von "Old Town Road" spielen, aber durch Hochglanzproduktion und etwas erzwungenes Songwriting blutleer erscheinen. Wer "7" hört, weiß danach nichts Neues über den Memelord aus Atlanta.

"F9mily (You & Me)" tauscht das Country-Thema mit einem Rock-Thema aus, lässt es aber von Travis Barker so quietschsauber ausproduzieren, dass das dudelnde Pop-Punk-Instrumental selbst die blumigsten Blink 182-Songs wie Anthrax aussehen lässt und vermutlich nicht einmal für eine "Die Schlümpfe"-Compilation genug rockt. Dagegen haben die klassischeren Trap-Songs wie "Panini" oder "Kick It" mehr Hand und Fuß, auch wenn sich die Produzenten spürbar an Travis Scotts Erfolgsformel orientieren.

Nichts Neues über Lil Nas X lernen heißt übrigens nicht nur, dass die Geschichten über seinen frisch gefundenen Ruhm sehr schablonenhaft klingen. Man lernt nicht einmal, was für ein Musiker er eigentlich ist. Seine Singstimme ist solide und sein Rap akzeptabel, aber im Laufe von "7" passt er sich im Grunde jedes Mal nur der Energie an, die seine Gastmusiker ihm anbieten. Sein Punk-Appeal versandet ein wenig, wenn man überlegt, dass da nicht nur große Trap-Produzenten an den Reglern sitzen, sondern auch Musikindustrie-Veteranen wie Travis Barker und auch noch Ryan Tedder von OneRepublic Texte schreiben.

Es ist ja nicht einmal so, dass die Songs an sich nicht funktionieren. Lil Nas X bereitet sein limitiertes Skillset auf den sechs neuen Tracks zumindest formidabel auf und liefert absolut hörbare Songs. Vielleicht hebt sich auch noch einmal einer davon ab. "Panini" könnte ja ein Gordon Ramsey-Feature bekommen. Cardi B gibt "Rodeo" zumindest artifiziell etwas Yeehaw-Romantik, und das Boi-1da-Instrumental auf "C7osure (You Like)" klingt wunderbar.

Man muss allerdings auch anerkennen, dass "7" deutlich zeigt, wie wenig Lil Nas X aus eigener Kraft an diesen Punkt gekommen ist. Wenig von dem, das hier in einem sehr industriellen, sehr großflächigen Team-Effort aufgefahren wurde, lässt Rückschlüsse auf seine Vision oder sein Talent als Musiker zu. Nicht einmal seine sympathische Persönlichkeit oder seine Kreativität, die "Old Town Road" so unterstützenswert gemacht haben, scheinen hier noch besonders durch.

Das Projekt "7" weiß spürbar selbst nicht so recht, wo es eigentlich hin will. So ziemlich jeder Song scheint den Hörer zu bitten, doch noch einmal für diesen Twitter-Punk die Daumen zu drücken, noch einmal dem Establishment einen reinzudrücken. "Haha, guckt mal, jetzt macht er auch noch Rock, jetzt macht er auch noch ernste Musik! Wäre doch abgefahren, wenn das noch einmal ein Hit wird, oder?"

Es hieß ja immer, die Endstufe des Kapitalismus' sei erreicht, wenn er versuche, auch den Widerstand gegen sich selbst zu verkaufen. Das Signing von Lil Nas X ist genau so ein Moment. Wenn die Musikindustrie versucht, von einem Dude zu profitieren, dessen einziger Appeal es ist, überhaupt nicht mit ihr konform zu gehen, dann landet man in einem schrägen Uncanny Valley des rebellischen Geistes. Man kann nicht sagen, "7" funktioniere nicht, so solide es klingt. Aber gab es überhaupt einen Plan, wie ein funktionierender Lil Nas X ausgesehen hätte? "7" gibt zumindest kein klares Bild davon ab.

Trackliste

  1. 1. Old Town Road - Remix (feat. Billy Ray Cyrus)
  2. 2. Panini
  3. 3. F9mily (You & Me)
  4. 4. Kick It
  5. 5. Rodeo (feat. Cardi B)
  6. 6. Bring U Down
  7. 7. C7osure (You Like)
  8. 8. Old Town Road

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