laut.de-Kritik

Das 'Porno-Pamphlet' kehrt mit Bonusmaterial zurück.

Review von

Stellvertretend für viele Sender und Magazine listete der Rolling Stone Liz Phairs Debüt von 1993 unter den 500 wichtigsten Alben aller Zeiten auf. Fünfzehn Jahre, nachdem es auf den Markt kam, liegt "Exile In Guyville" in einer erweiterten Edition mit drei Bonustracks und einer Doku-DVD vor.

Es wäre vermessen zu behaupten, dass die Platte damals einschlug wie eine Bombe. Während Gruppen wie Hole ihre weiblich verpackte Aggressivität herausrotzten, präsentierte sich die zierliche Chicagoerin schon fast schüchtern. Mit einer E-Gitarre um den Hals und einfachen - um nicht zu sagen simplen - Arrangements sang sie von Ängsten, Liebe, Unsicherheiten – und Sex.

"Every time I see your face, I get all wet between my legs … I want to fuck you like a dog … I'll fuck you 'til your dick is blue", trägt sie fast unbeteiligt im wohl bekanntesten Stück des Albums, "Flower", vor. Und: "I want to be your blowjob queen". Eine Zeile, die "Exile" den wenig ehrenhaften Ruf eines Porno-Pamphlets einbrachte. Was aber an der Wahrheit vorbeischrammt, denn die Texte fallen zwar explizit aus, sind aber nicht aufreizend, sondern erzählen von unerfüllten Sehnsüchten und der Suche nach Anerkennung.

Was aus dem Titel deutlich hervorgeht. Einerseits stellt er eine Verbindung zu "Exile On Main Street" der Rolling Stones her, denn Phair konzipierte ihr Album als Antwort, Stück für Stück, auf ebenjene Platte. Andererseits steht er für Phairs Drang nach Unabhängigkeit. In der brodelnden Chicagoer Szene zu Beginn der 90er Jahre war sie eine unter vielen. Die größte Aufmerksamkeit zogen Männer auf sich, allen voran Smashing Pumpkins.

Im Grunde genommen sei "Exile" eine Liebeserklärung an Kato Nash, den Sänger von Urge Overkill, erklärt Phair fünfzehn Jahre später. Es ist eine der netten Anekdoten, die aus der beigefügten DVD stammen. Mit 83 Minuten etwas zu lang geraten, kommen im selbst gedrehten Film viele der Beteiligten von damals zu Wort, unter ihnen der Schauspieler John Cusack und auch Dave Matthews, bei dessen Label ATO Phair mittlerweile gelandet ist.

Am Interessantesten ist es, dem langhaarigen und verwahrlost wirkenden Kato zuzuschauen, wie er sich hinter einer riesigen Wasserpfeife abmüht, zwei zusammenhängende Sätze zu produzieren. Da ist die immer noch jugendlich wirkende Phair deutlich besser in Schuss. Sie scheut sich auch nicht, den Produzenten Steve Albini zu befragen, der sich damals über das Album ziemlich ausließ.

Heute stellt sich heraus: Er hatte recht. Produzent Brad Wood und Phair selbst ist es nicht gelungen, die Texte in ein zeitloses Klangkostüm einzukleiden. Mal rockiger, mal ruhiger, hören sich die Arrangements zu simpel und zu sehr nach der ersten Hälfte der 90er Jahre an, um heute noch aktuell zu wirken. Die Stärke der Aufnahmen liegt in Phairs unemotionaler Stimme. Sie singt, als ob sie zu schüchtern für ihre Phantasien wäre. Das erzeugt eine intime Atmosphäre, die die Spannung der Platte ausmacht. Die Zeilen sind allerdings nicht leicht zu verstehen, womit sich erklärt, warum die Sängerin außerhalb der USA kaum bekannt ist.

Neben den achtzehn Stücken des Originals sind hier noch drei weitere vorhanden, von denen "Ants In Alaska" eines der besten des gesamten Albums ist. "Für dich bin ich nichts weiter als eine Ameise in Alaska", beschwert sich Phair, während sie sich alleine auf der Gitarre begleitet. Entbehrlich fallen dagegen der Reggae-Verschnitt "Say You" und das textfreie "Instrumental" aus.

Fünfzehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ist "Exile In Guyville" tatsächlich so etwas wie ein Meilenstein. Nicht musikalisch, sondern wegen seiner Ehrlichkeit und den zutiefst persönlichen Texten. Auf jeden Fall ist die Neuausgabe so etwas wie der Neustart von Phairs Karriere, die im weiteren Verlauf der 90er Jahre ins Stocken geriet und im neuen Jahrtausend gänzlich versiegte. So lebensfroh, wie sie sich auf der DVD zeigt, ist auf jeden Fall noch Potential vorhanden.

Trackliste

CD

  1. 1. 6'1"
  2. 2. Help Me Mary
  3. 3. Glory
  4. 4. Dance of the Seven Veils
  5. 5. Never Said
  6. 6. Soap Star Joe
  7. 7. Explain It to Me
  8. 8. Canary
  9. 9. Mesmerizing
  10. 10. Fuck and Run
  11. 11. Girls, Girls, Girls
  12. 12. Divorce Song
  13. 13. Shatter
  14. 14. Flower
  15. 15. Johnny Sunshine
  16. 16. Gunshy
  17. 17. Stratford-On-Guy
  18. 18. Strange Loop
  19. 19. Ant in Alaska (Bonus)
  20. 20. Say You (Bonus)
  21. 21. Instrumental (Bonus)

DVD

  1. 1. Guyville Redux (Dokumentation)

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