laut.de-Kritik

Musik direkt aus der Dancepop-Hölle von Baku.

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Ein unbeschriebenes Blatt ist sie nicht mehr, die Schwedin mit marokkanischen Wurzeln. Schließlich hat Loreen im Sommer gerade mal genauso lässig wie prophezeit den Eurovision Song Contest gewonnen. Ob man das heute noch an den großen Fahnenmast hängen darf? Schließlich werden beim Grand Prix selten bahnbrechende Entdeckungen gemacht. Und England, das Pop-Land schlechthin, hat ja dieses Jahr bereits wohlwollend auf die Teilnahme am Wettbewerb verzichtet, in dem es Oldie Engelbert ins Rennen schickte. Keine Konkurrenz also für mittelguten wie melodischen Dancepop mit ambitionierten Hooks.

Das wahre Gesicht der Siegerin Loreen würde sich also erst mit ihrem Album zeigen. Jetzt ist es da, das zwölf Tracks umfassende "Heal". Gute 48 Minuten entführt es in eine Welt von Dance mit massig 90er-Synths, viel Charts-Pop und R&B.

Mit nervöser Melodie, einer melancholischen Stimmlage und wabberndem Bass zieht der Opener "In My Head" vorbei. Stimmlich harmoniert das mit dem Instrumental. Nur kommen irgendwann unsägliche Techno-Tröten hinzu, und das sich durch den ganzen Song ziehende Arpeggiato wurde zum letzten mal wohl tatsächlich so ungestüm in den 90ern gebraucht.

Das Album mausert sich dann im zweiten Track "My Heart Is Refusing Me" zur absoluten Dancepop-Platte. Während das Wort "Dancepop" an sich mit einer unabstreitbaren Ästhetik behaftet ist, klingt die in diesem Fall damit begriffene Musik eintönig und schon mal gehört. Da macht auch die Ballade "Everytime" keine Ausnahme. Die Beats des Albums sind belang- und lieblose Anhäufungen von "Bums" und "Tschaks". Beim ESC-Sieger "Euphoria" weiß man ja bereits, woran man ist. Langsames Streicher-Intro, durchbrochen von einer Synthline und dem tragenden Gesang Loreens darüber. Ein kleiner Lichtblick an dieser Stelle. Gemessen an dem, was noch kommt.

Die meisten Titel beginnen mit einem ruhigen, gesanglichen Intro, wobei da "Sidewalk" schon eine Ausnahme ist. Von Beginn an gibt's nen Drum-Loop. Der entwickelt sich danach aber einmal mehr zum dumpfen Beat, und so plätschert der Song vor sich hin. Loreens stimmliche Ausbrüche unterfüttern das auch nicht zureichend. Jeder Track ist irgendwo tanzbar, wie "Sober" mit rauen Synths und 16tel-Beat. Doch für den Club ist das zu depressiv - und einen depressiven Menschen kann dieses Material nun wirklich nicht wieder glücklich stimmen.

Spannend wird's erst wieder bei Song Nummer elf. "See You Again" erinnert nämlich an das grandiose Tanzhallen-Gedudel "I Got A Feeling" der Black Eyed Peas. Egal, wie man die Amerikaner finden mag - im Albumkontext beschert das hier willkommene Abwechslung. Eine schwungvolle Melodie und die dem Song zugrunde liegende positive Stimmung lassen das Stück die Milchhaut auf dem Standard-Vanillepudding-Brei durchbrechen. Wenn auch nur sachte mit Zahnstocher statt Teelöffel.

Wer auf mehr Süßes wartet, wird enttäuscht: Das Gros des Albums geht runter wie Öl - und bietet wenige überraschende Momente. Zurück bleiben Songgerüste, die bestenfalls auf dem Weg gewesen wären, gute Dance-Nummern zu werden. Dafür reicht nämlich ein bloßer Griff in die Klischeekiste der durch Vocoder gejagten Teenie-Herzschmerz-Lyrics nicht aus.

So sind die Strukturen immer ähnlich, auf ein Intro mit Gesang und Synth folgen Beat, zuerst dezent und dann wummernd. Rar sind die Stellen, an denen die Melancholie etwas Sphärisches und Packendes erschafft - wie im Titeltrack "Heal". Und so fährt das Album dann doch wieder direkt dorthin zurück, wo es hergekommen ist: In die brennende Dancepop-Hölle von Baku.

Trackliste

  1. 1. In My Head
  2. 2. My Heart Is Refusing Me
  3. 3. Everytime
  4. 4. Euphoria
  5. 5. Crying Out Your Name
  6. 6. Do We Even Matter
  7. 7. Sidewalk
  8. 8. Sober
  9. 9. If She’s the One
  10. 10. Breaking Robot
  11. 11. See You Again
  12. 12. Heal

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