laut.de-Kritik

Oldies-Show als Porträt Kaliforniens Anfang der 70er.

Review von

Bio-Obst gab's schon 1971. Damals verfasste Jackson Browne sein Stück "Jamaica Say You Will" über ein Mädchen, das auf einer Plantage für Bio-Früchte arbeitet. Mit dem er nie spricht, aber in das er verliebt ist. Mit der jungen Plantagenarbeiterin entspinnt er im Kopf eine imaginäre Beziehung, und die fixe Idee vermischt sich dann mit allerlei Fabelanteilen. Diesen Erzählansatz verehren die Latino-Kalifornier Los Lobos. Sie covern auf "Native Sons" jenes "Jamaica Say You Will" und ein Dutzend andere Nummern, oft weniger bekannte. Die Sammlung glänzt als profund kuratierte Oldies-Show, zumal die Bandmitglieder tief auf Schatzsuche diggen, dabei Geschmack beweisen und schöne Nuggets zutage fördern, die sie wiederum elektrisierend gut nachspielen.

Denkbar simple Fragen gingen voraus und lenkten die Auswahl der Lieblingssongs: Was mögen die Musiker? Was hatte ursprünglich Einfluss auf die Leute von Los Lobos, als sie mit der Musik begannen? Welche anderen Westcoast-Bands hatten einen Bezug zu Mexiko, wo mehrere Lobos-Musiker herstammen? Welche anderen US-Bands referieren auf L.A., wo sich das Kollektiv vor fast 50 Jahren gründete? Man spürt, dass die in die Jahre gekommenen Herren sich in dem Material wohlfühlen und das Kind im Manne beim Herumstöbern im Soundtrack ihrer Jugend rauskitzeln.

Der weit gespreizte jugendliche Geschmack der verschiedenen Los Lobos-Musiker vereint sich jetzt unter dem distinktiven Marken-Sound, unter dessen Emblem die Band vieles verzahnt: Americana-Surf-Soul-Klang mit Westcoast- und Southern Rock-Zitaten sowie regionalen mexikanischen Einflüssen, wie Mariachi inklusive Geigen und Trompete, ferner der Akkordeon-Musik Norteño. Dann Hippie-Folk und tiefer Funk, sogar beides im spannenden Ringen miteinander in "The World Is A Ghetto". Mehrmals mischt sich Vintage-Soul in die Liedauswahl, darunter mit dem Stück "Misery", das heute wohl Nick Waterhouses Nerv träfe, retro-zeitgemäß, cool.

Los Lobos covern "Bluebird" und "For What It's Worth" aus dem Fundus von Neil Young und Buffalo Springfield, mit einer schön gleichmäßig eiernden Bassgitarre. Die Geschichte zu "For What It's Worth" geht auf einen Polizeieinsatz zurück. Die Staatsgewalt versus jugendliche Musikfans, eine Auseinandersetzung in und rund um Clubs auf dem Sunset Strip, 1.000 Demonstrierende empfanden ihre Bürgerrechte durch eine Sperrstunde bedroht. 'Wozu? Wofür lohnt es sich?', soll sich Stephen Stills gedacht haben, der seine Zeilen dazu notierte. David Hidalgo und seine Lobos-Kumpanen forschten den Geschichten hinter allen Liedern nach, an diesem hier ändern sie im Grunde gar nichts (außer dass sie ihn mit "Bluebird" zu einem Quasi-Medley zusammen bauen). Kongenial ahmen sie die räumliche Aufnahmetechnik nach, die die Stimmung des Original-Tracks unverwechselbar prägt: Stephen Stills und Neil Young kamen aus zwei verschiedenen Lautsprecher-Ecken, genauso ordnen Los Lobos die beiden Gitarren an.

Die 'Latin-Selection' umfasst Songs im Zwischenmilieu zwischen ausländisch und eingewandert, 'Chicano'-Kultur nennt man dieses mexikanisch-US-amerikanische Zwitter-Modell. Die Songs dazu heißen "Los Chucos Suaves" mit Rumba aus dem Schellackzeitalter oder "Dichoso", ein weiterer hispanophiler Song, Salsa-Vorläufer, Latinjazz-Schnulze, von Willie Bobo. Die kurzlebige Band Thee Midniters (sic! mit beiden Schreibfehlern) machte als Pionier-Combo mexikanische Einflüsse kommerziell groß. Ihr Garagerock in "Love Special Delivery" bietet den Lobos Platz für den Auftritt der Posaune, hat was von der "Bonanza"-Titelmelodie.

Mit der Entscheidung für zahlreiche obskure oder vergessene Nummern geht einher, dass manches Aha-Erlebnis eintritt. "Sail On Sailor" (Perle und Anspieltipp!) übersetzt die Gruppe aus dem Beach Boys-Original von 1973 in die heutige Aufnahmetechnik. Der Song ist einer der wenigen, den bei den Wilsons Gast-Bassist Blondie Chaplin singt. Los Lobos geht es darum, den "mystischen Kalifornien-Vibe dieses Songs einzufangen". Gelingt vortrefflich, überragt die Vorlage.
 
Die mittleren Sechziger bis frühen 70er als eine der fruchtbarsten Phasen der Pop-History schöpfen die Senioren super aus. Dabei umgehen sie scheinbare Pflichtbeiträge wie The Mamas & The Papas, Jefferson Airplane, The Doors, Santana und andere erwartbare Schwergewichter, und diese überaus subjektive Haltung im Weglassen zeichnet die Retrospektive genauso aus wie die spielerische Raffinesse.

Covern heißt hier Konservieren. Hidalgo dazu: "Die Idee war: 'Lasst uns sehen, wie nah wir den Originalen kommen können. Einfach aus Spaß.'" "Native Sons" wirkt wie eine smart gestaltete Radiosendung aus einem bestens sortierten DJ-Koffer, wo die Vielfalt und die persönliche Verbundenheit mit den Tracks zählt.

Trackliste

  1. 1. Love Special Delivery
  2. 2. Misery
  3. 3. Bluebird
  4. 4. For What It's Worth
  5. 5. Los Chucos Suaves
  6. 6. Jamaica Say You Will
  7. 7. Never No More
  8. 8. Native Son
  9. 9. Farmer John
  10. 10. Dichoso
  11. 11. Sail On Sailor
  12. 12. The World Is A Ghetto
  13. 13. Flat Top Joint
  14. 14. Where Lovers Go

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