18. März 2009

"Luxus ist zu einer Last geworden"

Interview geführt von

Lyambiko spricht über das Schlüsselerlebnis Nina Simone, "Saffronia", über Äpfel & Orangen, Sturköpfigkeit und Stillstand sowie soziale Unsicherheit, Armut und Rechtsradikalismus.Wegen einer Babypause kommt Lyambiko erst dieser Tage dazu, ihre Hommage an Nina Simone live zu präsentieren. Als sie sich den laut.de-Fragen stellt, steht sie einen Tag vor dem Tourneeauftakt zu "Saffronia" und ist dementsprechend aufgeregt.

Lyambiko, herzlichen Glückwunsch zu deiner Echo-Nominierung, die du mit "Saffronia" in der Kategorie "Beste Jazzproduktion" erhalten hast.

Danke. Mal ehrlich, ich konnte es ja zuerst gar nicht glauben! Ich bekam einen Anruf von Alex von der Plattenfirma und musste mich erst mal setzen. Da wurde mir mal bewusst, wie viele Menschen wir offenbar mit unserer Musik erreichen. Zum Sieg hat es ja dann nicht gereicht, aber ich denke, Till Brönner hat sich das mit seiner Produktion redlich verdient. Dass er in seiner Dankesrede den Preis Esbjörn Svensson gewidmet hat, fand ich sehr sympathisch. Mit diesem Gewinner wurde die "kleine, feine Kategorie" Jazz wirklich gut repräsentiert. Jazzkantine sagt mir natürlich auch was, die gibt's ja auch schon eine ganze Weile. Nur Melody Gardot war mir bis dato absolut unbekannt. Asche auf mein Haupt - ich sollte mich wirklich besser darüber informieren, wer sich so alles im Vocal Jazz austobt.

Oh, das ist ein tagesausfüllender Job. Ich würde dir abraten, denn trotz Krisenstimmung in der Musikindustrie herrscht ein immenser Output, auch an hochkarätigen Newcomern.

Da hast du sicher Recht. Wahrscheinlich müsste man sehr selektiv vorgehen, so ein bisschen in Richtung "Jazzpolizei", um sich halbwegs einen Überblick verschaffen zu können. Aber dann würde ich sicherlich den einen oder anderen Song von mir auch ausklammern müssen. Oder sogar ein ganzes Album. Ich denke dabei etwa an "Inner Sense".

Interessiert dich die Meinung der Jazzpolizei?

Nein. Ich halte nicht viel von Kategorisierung. Genau deshalb bewundere ich Nina Simones Bandbreite, diesen Stilmix in ihrer Arbeit.

Und warum würdest du "Inner Sense" ausklammern?

Nun, ich halte es nicht für das beste, aber das durchmischteste und provozierendste meiner bisherigen Alben. Es hat Ecken und Kanten, es ist bissig. Genau das, was ich damals wollte. Es ist mein liebstes Kind neben "Saffronia". Aber ich muss gestehen, es ist nichts für den typischen Jazzliebhaber.

Gibt es den typischen Jazzliebhaber überhaupt?

In freier Wildbahn ist der meiner Meinung nach kaum mehr anzutreffen. Ich spreche von jenen Leuten, welche ausschließlich Ella, Sarah und Billie im Plattenregal stehen haben und die Meinung vertreten bzw. das Gerücht säen, dass der Jazz ausstirbt. Das ist nicht der Fall. Es gibt eine neue Generation von Musikern, die sich dem Jazz hingibt. Sie lassen die Elemente unserer Zeit in die Musik einfließen, was diese wiederum sehr lebendig macht, findest du nicht?

Wenn aus deinen Stärken plötzlich "fiese, kleinen Feinde" werden ...

Ich stell hier die Fragen. Möchtest du gerne deutlicher als Jazzerin wahrgenommen werden?

Nein. Vor ein paar Jahren hatte ich Jobims "Dindi" in meinem Programm. Den Schluss des Stückes haben wir relativ offen gehalten mit einer möglicherweise etwas vom Pop angehauchten Improvisation am Ende. Ein leicht ergrauter Herr hat später seiner Empörung Luft gemacht, dass das ja gar kein Jazz sondern Popmusik sei, was wir da spielten. Ich muss noch immer schmunzeln, wenn ich daran denke. Wenn Frau Simone in einem Stück Bach zitierte, kam man doch auch nicht plötzlich aus einem klassischen Konzert.

Du bewegst dich zwischen Pop und Jazz. Wie nimmst du den vielbeschworenen Niedergang der Musikindustrie wahr?

Den Niedergang gibt es wohl. Allerdings muss ich sagen, dass ich keine anderen Zeiten als diese kenne. Als ich begann zu touren, hörte ich allerorten Veranstalter klagen über ausbleibende Konzertbesucher. Ich selbst blieb davon bislang, dem Himmel sei dank, verschont. Nun ist es die Musikindustrie. Auch ich habe, zum Glück nur in sehr geringem Maße, aus diesem Problem resultierende Sparmaßnahmen hinnehmen müssen. Was soll's? Wir machen weiter.

Dieser Niedergang wird wohl ein Dauerzustand sein, mit dem wir lernen müssen zu leben. Es sind halt Zeiten des Überflusses, Luxus ist zu einer erdrückenden Last geworden. Höher, weiter, schneller - ja, klar. Besser? Nun ja, Zweifel sind berechtigt.

"Luxus ist zu einer erdrückenden Last geworden" ... wie meinst du das?

Genau so. Es gibt ein Überangebot von allem. Ich will jetzt nicht behaupten, früher sei alles besser gewesen. Aber als man noch ins Geschäft ging um Butter zu kaufen, da gab es halt einfach nur Butter. Fertig. Aus. Und heute? Nicht dass ich die Errungenschaften unserer Zeit nicht zu schätzen wüsste, nur machen Dinge, die einem eigentlich das Leben erleichtern oder verschönern sollen, manchmal eher das Gegenteil.

Und wie ist es mit der Musik? Soll sie das Leben erleichtern, verschönern ... und richtet manchmal das Gegenteil an? Oder ist sie gar zweckfrei?

Ich denke, die Musik ist frei von jeder Schuld. Die Technologie entwickelt sich jedoch schneller, als sich uns ihr Sinn erschließt. Der Übergang von LP zu MC, von MC zu CD war grundsätzlich im Sinne nachvollziehbar. Wir wissen, dass bei mp3-Files eine gewisse Klangqualität verloren geht. Aber wen schert das schon, wenn er dadurch 8 GB (oder mehr) Musik speichern kann. Eigentlich betrügt man sich damit selbst: man bekommt mehr von weniger.

Aber zurück zur Musik, sie ist etwas, dass schon bevor wir auf die Welt kommen unser Leben begleitet. Der Herzschlag der Mutter, das Rauschen ihres Blutes, Geräusche aus der Umwelt - das alles nehmen wir schon war. Das ist unser erster Soundtrack und unsere erste unbewusste Wahrnehmung außerhalb des Ichs, der Beginn der Kommunikation, eine Sprache, die wir alle sprechen und verstehen. Musik gibt uns außerdem die Möglichkeit, uns an das Gefühl der Geborgenheit im Mutterleib zu erinnern. Dieses Gefühl braucht jeder Mensch zum überleben und darum braucht der Mensch auch Musik.

Sind dir deine Musik und deine immer steiler bergauf gehende Karriere manchmal unheimlich?

Ich habe ein Ziel. Und dieses Ziel ist, ein von Musik erfülltes Leben zu führen und dieses mit anderen teilen zu können. Ich möchte keine musikalische Eintagsfliege sein. Das ist mir bislang, glaube ich, ganz gut gelungen. Von außen betrachtet mag das vielleicht nach einem Aufstieg aussehen. Für mich geht es einfach nur voran, nicht schnurgeradeaus sondern in Mäandern. Ich habe nicht vergessen, woher ich komme, und ich bin mir sowohl meiner Fähigkeiten als auch meiner Defizite bewusst. Als Mutter von zwei Kindern stehe ich sowieso mit beiden Beinen auf dem Boden.

In der Reihenfolge bitte ... was meinst du mit "Ich hab nicht vergessen, wo ich herkomme"?

Ich bin in recht einfachen Verhältnissen in einem Haushalt mit drei Geschwistern und ohne Vater aufgewachsen. Wir hatten nicht viel. Aber ich hatte meine Musik. Und dass die Musik heute Mittelpunkt meines beruflichen Daseins ist, macht mich zum glücklichsten Menschen.

Was würdest du als deine Fähigkeiten bezeichnen?

Komisch, hört sich an wie eine Frage aus einem Bewerbungsgespräch. Ich bin relativ ehrgeizig, ziemlich sturköpfig und kann Stillstand nur schwer ertragen. Ich habe einen dramatischen Hang zur Selbstkritik.

Ich hatte nach Stärken gefragt …

(lacht) Eben. Es ist das feine Zusammenspiel, welches deine Stärken zu Stärken macht. Kommt dieses aus dem Gleichgewicht, verwandeln sich deine vermeintlichen Stärken plötzlich in deine fiesen, kleinen Feinde.

"Wir machen nicht Musik, wir lassen sie geschehen."

Oh, das kenne ich. Ich bin ziemlich geduldig. Das ist Stärke und fieser Feind zugleich. Aber bevor wir uns jetzt gegenseitig "bewerben" … du hast vorhin Nina Simone erwähnt. Warum?

Auf "Saffronia" beschäftige ich mich in erster Linie mit den Stücken, mit denen ich Nina Simone erstmals gehört habe. Das waren also hauptsächlich Standards und Interpretationen von Popsongs. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis, ein äußerst passender Einstieg in den Jazz. Somit ist "Saffronia" für mich nichts weniger als mein Einstieg in den Jazz und damit die Entdeckung eines anderen Bewusstseins neben dem des Konsumenten. Es ist ein Rückblick auf meinen Anfang, meine Geburt sozusagen und vor allen Dingen ist es mein Dankeschön an die meiner Meinung nach großartigste Jazzmusikerin überhaupt.

Du stehst kurz vor dem Auftakt deiner Tournee, auf der du deine Simone-Hommage präsentierst. Freust du dich?

Und wie! Ich werde mit ein paar klasse Musikern auf Reisen gehen. Wir werden an einigen Orten spielen, die wir schon in der Vergangenheit mehrfach besucht haben, wie z.B. Kiel, Worpswede oder Freiburg, und Leute wieder sehen, mit denen wir damals schon zusammengearbeitet haben. Das macht Freude. Und unsere Neugier auf neue Orte wird ebenfalls gestillt. Morgen geht’s dann endlich los!

Im Übrigen erscheint am 13. März anlässlich der Tournee eine Special-Edition von "Saffronia" mit den zwei Bonustracks, "Don't Explain" und "Seeline Woman". Plus einer Überraschung als Extra, rein hören lohnt sich also!

Wie schaffst du es jeden Abend, die intime Atmosphäre von "Saffronia" live zu transportieren?

Darauf bin ich selbst gespannt (lacht). Ganz im Ernst, im letzten Jahr bin ich in Sachen Konzerte ja schon etwas weniger aktiv gewesen wegen der Babypause. So wie die Musik von Nina Simone für mich den Einstieg in den Jazz symbolisiert, wird das "Saffronia"-Programm auch meinen Neuanfang auf der Bühne in diesem Jahr begleiten. Müsste eigentlich perfekt passen oder? Die Stücke auf "Saffronia" sind für mich alle von großer persönlicher Bedeutung.

Das hört man ihnen an. Ist die Platte deshalb deine bisher beste?

Vielen Dank! Ist sie das? Grundsätzlich freut mich das sehr, denn ein Fortschritt in der Entwicklung ist mein erklärter Wunsch. Und du bestätigst ihn hiermit gewissermaßen. Aber ganz ehrlich, mein Favorit ist "Inner Sense". Wahrscheinlich nicht nur der Musik wegen, sondern auch wegen der Stimmung, aus der diese Platte heraus geboren wurde.

Mein Favorit ist "Saffronia", aber ich will mich nicht mit dir streiten. Denn, egal welche Platte man sich von dir anhört, es geht immer um die zugrundeliegende Stimmung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Lyambiko nur genießen kann, wenn man innerlich bereit dafür ist.

Das kenne ich. So geht es mir auch mit vielen Dingen, nicht nur mit der Musik, die ich höre. Wenn ich Lust auf einen Apfel habe, wird mich eine Orange kaum zufrieden stellen. Aber nun würde mich schon interessieren, welche Stimmung das bei dir ist. Darf ich ausnahmsweise gegenfragen?

Apfelstimmung.

(lacht)

Deine/eure Musik lebt von der Reduktion, von den Noten und Instrumenten, die nicht gespielt werden. In diesem Sinne zeigt ihr euch ziemlich "nackt". Ist dir das manchmal unheimlich?

Ich finde, Musik wird nicht einfach gemacht. Musik ist da. Wenn ich mit Marque, Robin und Heinrich auf die Bühne gehe, dann nehmen wir auf, was wir sehen, hören, fühlen, und geben das wieder. Wir machen nicht Musik, sondern wir lassen sie geschehen und beeinflussen sie mit unseren Stimmungen und Gefühlen. Und so gesehen ist jeder nackt, egal ob er laut oder leise spielt - oder gar nicht. Unheimlich ist mir da nichts. Aber auch Angst ist ein Gefühl, das eine wichtige Rolle spielt. Die Frage ist nur, wie man dieser Angst begegnet.

Und wie begegnest du deinen Ängsten?

Wenn es sich um Dinge handelt, die mit meiner Person zusammenhängen, bemühe ich mich um Konfrontation. Aber momentan habe ich das Gefühl, dass die schlechten Nachrichten mehr denn je auf dem Vormarsch sind. Da fühlt man sich einfach vollkommen machtlos. Gerade habe ich von dem Amoklauf an einer Schule in der Nähe von Stuttgart gehört. 16 Menschen einfach so dahin! Unfassbar! Neulich wurde hier um die Ecke ein Geschäft überfallen. Derzeit werden Tag für Tag verwahrloste Kinder aufgegriffen. Rechtsradikale Elemente machen sich die Hilf- und Orientierungslosigkeit der Menschen zunutze. Das alles geschieht hier und jetzt.

Was glaubst du, sind die Ursachen?

Nun ja, schauen wir uns doch um. Es hat schon bessere Zeiten gegeben. Immer dann, wenn es den Leuten schlecht geht (soziale Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Verarmung etc.), sehen eben diese ihre Chance. Sie gaukeln den Leuten vor zu wissen, wie sie die Probleme in den Griff bekommen können. Wohin das dann führt, hat man ja vor fast einem dreiviertel Jahrhundert gesehen, oder?

Ich bin so froh und dankbar um meine Familie, welche mich daran glauben lässt, dass es sich weiterzumachen lohnt.


Das ist ein wunderschönes Schlusswort, das kauf ich. Lyambiko, ich wünsche dir viel Spaß auf der anstehenden Tour, viel Erfolg mit deiner Musik, Glück im Leben und überhaupt ...

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