laut.de-Kritik

... und alles nur wegen Salt-N-Pepa.

Review von

"Eine Frau und Rapperin zu sein - wie ist das so?" Man möchte sich gar nicht ausmalen, wie oft MC Lyte diese Frage gehört haben muss. Sie hatte aber auch die einzige korrekte Antwort parat, die es darauf geben kann: "Das ist, als würdest du mich fragen, wie es sich anfühlt, schwarz zu sein", entgegnete sie im Interview mit Vibe. "Eine female MC zu sein, war damals mein Leben. Ich kannte nichts anderes."

Wer Belege dafür braucht: "Lyte As A Rock" birgt neuneinhalb davon. Einzig (ungeschickterweise ausgerechnet die Einstiegsnummer) "Lyte Vs. Vanna Whyte" stinkt etwas ab, deswegen zählt sie nur halb. Die übrigen neun Tracks allerdings strotzen derart vor Selbstbewusstsein und Skills, dass man auch Jahrzehnte später noch kaum glauben will, dass sie auf das Konto eines Teenagermädchens gehen.

Gerade einmal zwölf Lenze zählte Lana Moorer, als sie den Text schrieb, der vier Jahre später auf ihrer Debüt-Single zu hören sein sollte - und, Hölle! Was ist das für ein Text!? Vordergründig handelt es sich bei "I Cram To Understand U" um eine tragische Liebesgeschichte: Die Erzählerin berichtet von ihren zunehmend vergeblichen Bemühungen, sich das Verhalten ihres offensichtlich untreuen Lovers Sam schönzureden. Der belügt sie und nutzt sie aus, bis sie dahinterkommt, dass die vermeintliche Nebenbuhlerin gar keine andere Frau, sondern eine Droge ist.

MC Lyte bildet mit diesem Track inner- und zwischenmenschliche Dynamiken genau so akkurat ab wie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung in ihrer Hood. Sie dokumentiert ein Stück US-amerikanischer Realität aus einer Perspektive, die es viel zu selten in die Überlieferungen und Geschichtsbücher schafft: betrachtet durch die Augen einer jungen schwarzen Frau, die mitten im Geschehen steckt.

Was auf den ersten Blick wie die Rekapitulation einer in die Brüche gegangenen Beziehung wirkt, entpuppt sich auf den zweiten und dritten als scharf beobachtetes Sittengemälde und leidenschaftliches Plädoyer gegen Drogenkonsum. MC Lyte mag gerade zwölf gewesen sein, als sie die Story ersann. Sie wusste jedoch haargenau, wovon sie da sprach:

"Meine Mutter hat damals im North General Hosptal gearbeitet", erinnert sie sich. "Wann immer ich sie dort besuchte, sah ich eine Menge Heroin- und Cracksüchtige. Das wünsche ich mir weder für mich selbst noch für irgendeinen anderen jungen Menschen, den ich kenne, also machte ich es zu meiner Aufgabe, den Leuten zu erzählen, was Drogen anrichten, so dass sie um Himmels Willen die Finger davon lassen."

Bis "I Cram To Understand U" jedoch den Weg auf Vinyl fand, zogen vier Jahre ins Land. Rappte MC Lyte, inspiriert und motiviert von Salt-N-Pepa, anfangs noch wie das kleine Mädchen, das sie war, setzte sie bald alles daran, ihrer lyrischen Präsenz auch stimmlich gerecht zu werden. Mit einem Vocal-Coach feilte sie hart und ausdauernd an ihrer Delivery:

"Ich habe viel mit Lucien George gearbeitet, dem Vater der Full Force", erinnert sie sich gegenüber Vibe. "Er ließ mich einen Song lernen, den ich wirklich liebte - natürlich war es ein Salt-N-Pepa-Song. Ich habe ihm den buchstäblich wieder und immer wieder vorrappen müssen, und er kritisierte meinen Vortrag und meine Aussprache. George brachte mir bei, wie ich meine Stimme stark klingen lasse und wie man Worte so betont, dass andere Leute sie fühlen können."

Welchen Wahnsinnsjob Mr. Lucien George Sr. da vollbracht hat, erfährt die Welt spätestens im September 1988, als MC Lyte mit "Lyte As A Rock" die Türen eintritt. "I am a rock, and you are just a pebble", lässt sie die staunende Konkurrenz wissen. "Lyte is here, no one can stop me", und weiter: "Must I say it again? I said it before: Move out the way when I'm coming through the door."

Macht das mal besser. Diese Frau kommt, und sie kommt in völlig kompromissloser Battle-Laune. Mit selbstbewusster Attitüde und einem Flow, der so natürlich und mühelos wirkt, dass man den in ihn investierten Aufwand niemals vermuten würde, hätte sie nicht selbst davon erzählt, zelebriert MC Lyte quasi alle Tugenden, die eine(n) gute(n) MC ausmachen: Bühnenpräsenz, Wortspiele, Message, knallharte Punchlines, keinerlei Gnade mit eventuellen Rival*innen, dafür Liebe zur Hood und Respekt und Shout-Outs ans eigene Team, die Producer und DJs: Setzt getrost einen dicken Haken hinter jeden einzelnen Punkt.

"Boom, sie klang rough, rugged and raw", begeistert sich Chuck D. "Eine der großartigsten Stimmen aller Zeiten." Lytes DJ K Rock erklärt, warum: "Der Stil manch anderer Rapperin lässt sich kopieren", befindet er. "Eine Stimme wie die von Lauryn Hill oder von MC Lyte oder Lil' Kim hörst du aber sonst nie. Sie stehen für sich allein."

Lob von Public Enemy Number One und in einem Atemzug mit zwei großen Kolleginnen genannt werden: Kaum anzunehmen, dass Klein-Lana sich das einst ausmalen konnte, auch wenn ihre familiären Voraussetzungen den perfekten Nährboden für eine Karriere boten: Aufgewachsen in Queens zwischen dem Soul von Al Green und Konsorten, den ihre Mutter laufen ließ, und den ersten Hip Hop-Beats aus dem Tape-Deck des Cousins, traf die spätere MC Lyte der Sound von Salt-N-Pepa mitten ins Herz: "Sie bedeuteten mir alles, sie waren der einzige Grund dafür, dass ich dachte, ich könne selbst eine MC sein. Ich hörte Salt-N-Pepa und dachte mir: 'Das ist, was ich tun will.'"

Dass sie ihre Stiefgeschwister Milk Dee und DJ Giz betrachtete, als handle es sich um ihre leiblichen Brüder, diese als Audio Two zu Hip Hop-Ehren gelangten und ihr Vater Nat Robinson für sie ein Label namens First Priority Music gründete: auch keine schlechte Ausgangsbasis. Noch besser: Als Atlantic Interesse an Audio Two anmeldete, ließ Robinson sie nur unter der Bedingung ziehen, dass die Plattenfirma auch seiner Stieftochter einen Deal anbietet. So begab es sich, dass die erste Rapperin, die einen Solo-Longplayer gepresst bekam, genau wie die, die Jahre später als erste Solo-Rapperin für einen Grammy nominiert wurde, MC Lyte heißt.

Ganz allein ihr Verdienst ist, dass sich "Lyte As A Rock" heute noch gut hören lässt. Lytes bereits aufgelistete Tugenden trösten über die inzwischen doch arg angestaubten Beats mühelos hinweg - wobei man auch die dafür Verantwortlichen nicht allzu derbe schmähen sollte. Stetsasonics Prince Paul, King of Chill, Alliance und natürlich Audio Two haben eben Produkte ihrer Zeit produziert: eher drum- als samplelastig, eher minimalistisch als ausgefuchst, weniger eigenständige Songs als Vehikel, um die Talente einer MC zu unterstreichen, die diesen Titel auch wirklich verdient hat.

MC Lyte präsentiert sich als der geborene Representer. Wer nach "Lyte As A Rock" oder "Lyte Thee MC" ihren Künstlerinnennamen immer noch nicht buchstabieren kann, sollte sich wirklich auf eine Lese/Rechtschreibschwäche testen lassen. Sie repräsentiert außerdem ihre Crew und ihr Viertel: "Kickin' For Brooklyn". Sie warnt - das hatten wir schon bei "I Cram To Understand U" - vor Drogenmissbrauch und seinen Folgen.

Die Entscheidung, für "I Am A Woman" den gleichnamigen Track von Helen Reddy zu zitieren, einer Hymne der Frauenbewegung aus dem Jahr 1972, würde man heute wahrscheinlich mit dem Label "female empowerment" versehen, genau wie ihre Sichtweise auf Beziehungen in "Paper Thin". "Hit the road", empfiehlt sie da in Anlehnung an Ray Charles ihrem uns nun bereits bekannten Ex Sam. Nach dem löchern sie die Leute übrigens noch Dekaden später: "Immer noch kommen Leute auf der Straße auf mich zu und fragen mich nach Sam", zitiert Brian Coleman sie 2007 in seinem Buch "Check The Technique". "Aber er war ein durch und durch fiktiver Charakter."

1981 sei sie elf Jahre alt gewesen und habe sich, anders als in "I Cram To Understand U" behauptet, noch nicht einmal in der Nähe des Empire Boulvards herumgetrieben. "Dort war ich erst ab 14. Dort gab es eine Rollerskate-Bahn, und samstags WAR das Hip Hop. Kurtis Blow und New Edition sind dort aufgetreten, aber meistens gab es dort nur Rollerskating und gute Musik." Der schlichte Umstand, dass die Leute ihre Lyrics aber unhinterfragt für bare Münze nehmen, spricht schon dafür, wie nah an der Realität sie textet und wie glaubwürdig sie ihre Lines präsentiert.

Das zeigt sich auch an "10% Dis", einer fünfminütigen Schimpftirade in Richtung ihrer Kollegin Antoinette, die für ihren Track "I Got An Attitude" Audio Twos Beat aus "Top Billing" geklaut haben soll. "Sie wollten aber keine Frau dissen, darum sagten sie: 'Deshalb musst du das tun.'" Gift und Galle predigt MC Lyte also auf die angebliche Rivalin herab, dabei erklärte sie später: "Wir kannten uns noch nicht einmal." Den Beef, der sich noch über mehrere Veröffentlichungen hinzog, hatten geschäftstüchtige Hintermänner eingefädelt. "Das war Business, nichts Persönliches."

Schwer zu glauben, das. Schon eher, dass die Schmähungen in besagtem Track lediglich zehn Prozent dessen abbilden, das Lyte eingefallen ist. "100 Prozent effektiv", resultiert Rob Kenner im Complex Magazine. Ihre Erfolg bricht MC Lyte selbst auf die Formel herunter: "85 Prozent Arbeit, 15 Prozent Spaß." Klingt mühsam? Lasst euch nicht abschrecken: Der Spaß überstrahlt alles, und seine Strahlkraft wurzelt in MC Lytes offenkundigen Skills:

"Mit diesem Album hat MC Lyte indirekt jeden herausgefordert, der behauptete, sie könne keinen oder würde niemals Erfolg als Rapper haben", schreibt Dominique Zonyee bei XXL. "Obwohl sie offensichtlich feministische Töne anschlägt, macht MC Lyte bei ihren Lyrics keinerlei Kompromisse. Auf so vielen Ebenen wurde das Debüt dieser Rapperin zu einer Säule der Hoffnung für weibliche MCs, es hat sie inspiriert und anderen Ladys dabei geholfen, Grenzen im Game niederzureißen." Eine Frage jedoch bleibt unbeantwortet: "Wie konnte danach noch irgendjemand leugnen, dass weibliche Rapper nicht genauso viel draufhaben wie ihre männlichen Kollegen?" Ja. Wie?!

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Lyte Vs. Vanna Whyte
  2. 2. Lyte As A Rock
  3. 3. I Am Woman
  4. 4. MC Lyte Likes Swingin'
  5. 5. 10% Dis
  6. 6. Paper Thin
  7. 7. Lyte Thee MC
  8. 8. I Cram To Understand U
  9. 9. Kickin' 4 Brooklyn
  10. 10. Don't Cry, Big Girls

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LAUT.DE-PORTRÄT MC Lyte

"Must I say it again? I said it before: Move out the way when I'm coming through the door." Macht das besser. Genau genommen kommt MC Lyte nämlich nicht …

1 Kommentar

  • Vor 3 Jahren

    "Money, cash, hoes – the Guantanamera
    Ain′t nothing changed!
    Everyone still want the Benz and the Range
    Everybody still want the gems and the chains
    Everybody got a few friends in the game and they still act strange
    The only thing different is the color of the Tims
    The only thing different is the size of the rims
    Now we got Foxy Browns and Little Kims
    But they still fight, like Antoinette and Mc Lyte"

    Kann zu der Dame selbst nix sagen, zu der Zeit war ich noch tief im Beatles-Studium. ;)