laut.de-Biographie
MC Lyte
"Must I say it again? I said it before: Move out the way when I'm coming through the door." Macht das besser. Genau genommen kommt MC Lyte nämlich nicht durch die Tür. Sie hat sie eingetreten - und alles wegen Salt-N-Pepa. "Sie bedeuteten mir alles, sie waren der einzige Grund dafür, dass ich dachte, ich könne selbst eine MC sein. Ich hörte Salt-N-Pepa und dachte mir: 'Das ist, was ich tun will.'"
Danken wir also Salt-N-Pepa, dass sie ein kleines Mädchen aus Brooklyn dazu inspirierten, sich zu einer MC zu mausern, die diesen Ehrentitel wahrlich verdient hat: mit Skills, Delivery, Inhalten, Attitude, gnadenlosen Punchlines, Bühnenpräsenz und der steten Bereitschaft, alles und jede*n zu battlen, der, die oder das so unvorsichtig ist, sich ihr in den Weg zu stellen.
Okay, es liegt nicht nur an Salt-N-Pepa: Das günstige familiäre Umfeld, in das Lana Michele Moorer am 11. Oktober 1070 hineingeboren wird, trägt schon auch dazu bei, dass ihr Talent auf fruchtbaren Boden fällt. Die Mutter, im medizinischen Bereich tätig, schwelgt zu Hause im Soul von Al Green und Konsorten. Aus dem Tape-Deck des Cousins wummern die ersten frühen Hip Hop-Beats.
Milk Dee und DJ Giz, die später als Audio Two zu Ehren kommen,stehen Lana so nahe wie es sonst nur leibliche Brüder tun. Deren Vater Nat Robinson unterstützt nicht nur die musikalischen Bemühungen seiner Söhne, für die er das Label First Priority Music aus der Taufe hebt. Er steht auch der Stieftochter mit Rat, Tat und vor allem mit Kontakten zur Seite.
Die wiederum schreibt bald selbst die ersten Texte. Mit gerade einmal zwölf Jahren verfasst sie die Lyrics, die später auf ihrer Debüt-Single "I Cram To Understand U" zu hören sein sollen, und beginnt nun, selbst zu rappen. Unter dem Namen Sparkle nimmt sie zwei Jahre später erstmals etwas auf - unter erschwerten Bedingungen: "Ich weiß noch, dass wir ein Vierspurgerät benutzt haben", erinnert sie sich im Interview mit Vibe. "Ständig machte der Boiler irgendwelche Geräusche. Wir mussten die Aufnahmen laufend unterbrechen und warten, bis er ausgeblubbert hatte."
Das größere Problem allerdings: Auch wenn ihre Texte für ihr Alter wahnsinnig komplex, ausgefuchst, reflektiert und glaubwürdig geraten, klingt Lana doch immer noch wie das kleine Mädchen, das sie einfach ist. Ehrgeizig, wie sie eben auch ist, beschließt sie: Sie braucht professionelle Hilfe. Hier hilft der Stiefvater: Er bringt Lana mit einem Gesangscoach in Kontakt, der sie gnadenlos drillt.
Die Plackerei hat Erfolg, wie später das Urteil von Chuck D belegt: "Boom, sie klang rough, rugged and raw", schwärmt er. Kolleg*innen wie Konkurrenz konstatieren in seltener Einigkeit: MC Lyte, wie sie sich inzwischen nennt, hat eine Stimme wie niemand sonst. So lässt sich "I Cram To Understand U" nun auch endlich veröffentlichen. MC Lytes Debüt-Single erscheint - natürlich - bei First Priority Records.
Dass MC Lyte mit dem zugehörigen Album "Lyte As A Rock" ihren Namen in die Hip Hop-Historie eintätowiert, dankt sie ebenfalls ihrem Stiefvater: Er sorgte dafür, dass Atlantic Records, die Interesse an Audio Two bekundeten, auch gleich einen weiteren Deal eintüten: Als erste Rapperin weltweit veröffentlicht MC Lyte im September 1988 ein Solo-Album. Sie schlägt die Schneise für eine Straße, auf der Queen Latifah, Missy Elliott, Lauryn Hill und zahllose weitere rappende Frauen wandeln sollen.
Obwohl schon früh mit feministischen, gesellschaftskritischen Botschaften gegen Sexismus, Rassismus und Drogenkonsum unterwegs, behält MC Lyte den Battle-Aspekt ihrer Kultur stets im Blick. Sie beweist, dass sich engagieren und eine*n Gegner*in verbal zerpflücken sich gegenseitig überhaupt nicht ausschließen müssen. In einem (von geschäftstüchtigen Strippenziehern orchestrierten) Schlagabtausch mit Rapperin Antoinette behält sie locker die Oberhand. Die geschickt eingefädelte Auseinandersetzung zieht sich über mehrere von MC Lytes Veröffentlichungen. Trotzdem betont sie: "Es war nichts Persönliches. Ich kannte Antoinette ja noch nicht einmal."
Gehen "Lyte As A Rock" und das Nachfolgealbum "Eyes On This" noch als straight Rap durch, entwickelt sich MC Lytes Stil auf "Act Like You Know" in Richtung R'n'B. Auf dessen typische Themen - Liebe und Sex - lässt sich MC Lyte aber nicht festlegen. Sie berichtet weiterhin aus ihrer Hood, textet über Drogenmissbrauch, HIV oder Diskriminierung.
An softe Balladen sind MC Lytes Skills allerdings komplett verschwendet, weswegen "Ain't No Other" wieder deutlich stärker auf Hardcore-Hip Hop setzt. Eine gute Idee, wie es scheint: Für den Track "Ruffneck" wird MC Lyte als erste Frau für einen Grammy in der Kategorie "Beste Rap-Performance" nominiert. Die Nummer geht Gold - ein Erfolg, den vor ihr ebenfalls keine weibliche Hip Hop-Künstlerin für sich verbuchte.
Damit scheint MC Lyte ihren kommerziellen Zenit jedoch bereits überschritten zu haben. Die folgenden beiden Alben verkaufen sich nicht mehr annähernd so gut. Da es sich auf einem Bein ohnehin schlecht steht, sucht sich MC Lyte ein zweites - und findet es in der Schauspielerei. Sie spielt zunächst am Theater. Neben Rollen in diversen Serien dreht sie später eine ganze Reihe von Werbespots für die unterschiedlichsten Firmen und Produkte.
Deutlich näher am Herzen dürfte ihr aber ihr gesellschaftliches Engagement liegen: MC Lyte unterstützt Kampagnen gegen häusliche Gewalt, klärt über Drogen und die damit verbundenen Gefahren auf, arbeitet in der AIDS-Prävention und plädiert dafür, zur Wahl zu gehen. Sie gibt Workshops und hält Vorträge. Zudem gehört MC Lyte zu den Gründerinnen der Hip Hop Sisters Foundation. Die stellt nicht nur College-Stipendien und Support für Frauen bereit, sondern kümmert sich auch um die Männer: "Educate Our Men" lautet die (offenbar dringend notwendige) Devise.
Ihre musikalische Karriere jedoch kommt etwas ins Schlingern. Nach zwei kommerziell mäßig erfolgreichen Alben trennen sich 1998 ihre und die Wege ihres Labels East West Records. Erst 2003 veröffentlichte sie independent das nächste Album. Dessen Titel "The Undaground Heat" soll sich als prophetisch erweisen: Es bleibt Untergrund, weil es - kommerziell betrachtet - kaum jemanden interessiert, entpuppt sich aber - Heat! - als Liebling der Kritik. Wieder einmal beschert es MC Lyte eine Grammy-Nominierung, außerdem eine für einen BET Award als "Best Female Hip Hop Artist".
In den kommenden Jahren tritt sie hier und da in Erscheinung. Mal, weil einer ihrer Tracks seinen Weg in den Soundtrack eines Videospiel findet, mal in irgendeiner TV-Produktion, mal als Coach in einer Rap-Castingshow.
Bei der Verleihung der BET Awards 2013 erhält MC Lyte den "Icon Lifetime Achievement I Am Hip Hop Award" für ihren Beitrag zur Hip Hop-Kultur: hoch verdient. Dass sie eine Rap-Ikone ist, steht seit ihrem Debüt-Album außer Frage: "I am a rock and you are just a pebble", ließ sie schon da die Konkurrenz wissen. "Never underestimate Lyte the Emcee."
"Mit diesem Album hat MC Lyte indirekt jeden herausgefordert, der behauptete, sie könne keinen oder würde niemals Erfolg als Rapper haben", schreibt Dominique Zonyee anlässlich des bevorstehenden 30. Jubiläums von "Lyte As A Rock" 2017 bei XXL. "Auf so vielen Ebenen wurde das Debüt dieser Rapperin zu einer Säule der Hoffnung für weibliche MCs, es hat sie inspiriert und anderen Ladys dabei geholfen, Grenzen im Game niederzureißen."
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